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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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die Gleichheit vor dem Gesetz gab dem Bürgerstande neues Leben, die Rhein-
schiffahrtsoctroi ward geordnet, Köln ward Freihafen. Allmälig verbesserte sich
auch die Verwaltung, seit Napoleon am Ruder war, wurden keine Unterschleife
und Vergewaltigungen geduldet, mit Nachdruck ward für die Herstellung polizei¬
licher Sicherheit gesorgt, das Schulwesen ward neu organisirt, der katholische
Cultus wiederhergestellt. Alle diese Resultate der Rcgierungsthätigkeit Napoleons
wurden anerkannt und führten eine für die französische Herrschaft nicht ungün¬
stige Stimmung herbei. Dazu kam. daß die unmittelbaren Kriegsdrangsale
dem Lande erspart blieben, der Durchzug der Heere gab neben einzelnen Lasten
auch viel Verdienst, bei den hohen Kornpreisen machten die Bauern große Ge¬
winne an den Lieferungen für die Armee. Aber neben diesen Wohlthaten
eines wenigstens äußerlich aufbauenden Regimentes machten sich auch von An¬
fang an große Schattenseiten geltend, vor allem der Druck, der auf dem geisti¬
gen Leben lag, das ganze Kaiserreich war eben doch ein großer intelligenter
Despotismus. Kirche, Schule und Presse wurden unter strengster Aufsicht gehal¬
ten; dabei mußte natürlich eine vollständig mechanische Behandlung eintreten,
meHr und mehr ward alles nach französischem Schnitt eingerichtet, die Lyceen
bekamen einen klösterlich militärischen Charakter. Franzosen drängten sich in die
Lehrerstellen ein, man suchte den deutschen Unterricht so viel wie möglich zu be¬
seitigen. Dies wurde unmuthig gefühlt, aber das Gefühl ging noch nicht tief,
das linke Rheinufer hatte mit dem übrigen Deutschland die Zeit der geistigen
Erstarrung, aber nicht die Erweckung gekannt, Lessing und Klopstock waren
spurlos an ihm vorübergegangen. Der Unmuth drang in die Massen erst, als
der materielle Druck durch Steuern und Conscription sich unter den unauf¬
hörlichen Kriegen von Jahr zu Jahr steigerte, besonders seit dem Beginn des
russischen Feldzuges.

Einzelne bedeutendere Männer aber fanden sich auch früher, welche den
Geistesdruck fühlten und nur im festen Anschluß an das nationale deutsche
Leben Rettung sahen; von ihnen sind Görres und Boisser6e die bedeutendsten.
Bitter über seine geträumte Republik durch die Republikaner getäuscht, hatte
Görres nach seiner Rückt'ehr von Paris sich auf eine Lehrerstelle am Gymnasium
in Coblenz zurückgezogen und sich poetisch-philosophischen Studien hin¬
gegeben. Er schloß sich an die aufblühende romantische Schule. Arnim und
Brentano fesselten ihn, er warf sich auf Kunst und Poesie des Mittelalters und
ward in der Stille seiner von französischen Behörden unbeachteten Arbeiten aus
einem Dekadenspötter zu einem katholischen Deutschen, dessen seit 1810 in
Perthes vaterländischen Museum erscheinende Aufsätze den tiefsten Ingrimm
gegen die Fremdherrschaft athmeten. "Da ist keine Achtung für Besonderheit
und Nationalität," schrieb er 181.1. "jener altfranzösische Gartengeschmack, der aus
Bäumen Menschen schnitt, schneidet jetzt Menschen zu Wänden und Hecken. Inder


die Gleichheit vor dem Gesetz gab dem Bürgerstande neues Leben, die Rhein-
schiffahrtsoctroi ward geordnet, Köln ward Freihafen. Allmälig verbesserte sich
auch die Verwaltung, seit Napoleon am Ruder war, wurden keine Unterschleife
und Vergewaltigungen geduldet, mit Nachdruck ward für die Herstellung polizei¬
licher Sicherheit gesorgt, das Schulwesen ward neu organisirt, der katholische
Cultus wiederhergestellt. Alle diese Resultate der Rcgierungsthätigkeit Napoleons
wurden anerkannt und führten eine für die französische Herrschaft nicht ungün¬
stige Stimmung herbei. Dazu kam. daß die unmittelbaren Kriegsdrangsale
dem Lande erspart blieben, der Durchzug der Heere gab neben einzelnen Lasten
auch viel Verdienst, bei den hohen Kornpreisen machten die Bauern große Ge¬
winne an den Lieferungen für die Armee. Aber neben diesen Wohlthaten
eines wenigstens äußerlich aufbauenden Regimentes machten sich auch von An¬
fang an große Schattenseiten geltend, vor allem der Druck, der auf dem geisti¬
gen Leben lag, das ganze Kaiserreich war eben doch ein großer intelligenter
Despotismus. Kirche, Schule und Presse wurden unter strengster Aufsicht gehal¬
ten; dabei mußte natürlich eine vollständig mechanische Behandlung eintreten,
meHr und mehr ward alles nach französischem Schnitt eingerichtet, die Lyceen
bekamen einen klösterlich militärischen Charakter. Franzosen drängten sich in die
Lehrerstellen ein, man suchte den deutschen Unterricht so viel wie möglich zu be¬
seitigen. Dies wurde unmuthig gefühlt, aber das Gefühl ging noch nicht tief,
das linke Rheinufer hatte mit dem übrigen Deutschland die Zeit der geistigen
Erstarrung, aber nicht die Erweckung gekannt, Lessing und Klopstock waren
spurlos an ihm vorübergegangen. Der Unmuth drang in die Massen erst, als
der materielle Druck durch Steuern und Conscription sich unter den unauf¬
hörlichen Kriegen von Jahr zu Jahr steigerte, besonders seit dem Beginn des
russischen Feldzuges.

Einzelne bedeutendere Männer aber fanden sich auch früher, welche den
Geistesdruck fühlten und nur im festen Anschluß an das nationale deutsche
Leben Rettung sahen; von ihnen sind Görres und Boisser6e die bedeutendsten.
Bitter über seine geträumte Republik durch die Republikaner getäuscht, hatte
Görres nach seiner Rückt'ehr von Paris sich auf eine Lehrerstelle am Gymnasium
in Coblenz zurückgezogen und sich poetisch-philosophischen Studien hin¬
gegeben. Er schloß sich an die aufblühende romantische Schule. Arnim und
Brentano fesselten ihn, er warf sich auf Kunst und Poesie des Mittelalters und
ward in der Stille seiner von französischen Behörden unbeachteten Arbeiten aus
einem Dekadenspötter zu einem katholischen Deutschen, dessen seit 1810 in
Perthes vaterländischen Museum erscheinende Aufsätze den tiefsten Ingrimm
gegen die Fremdherrschaft athmeten. „Da ist keine Achtung für Besonderheit
und Nationalität," schrieb er 181.1. „jener altfranzösische Gartengeschmack, der aus
Bäumen Menschen schnitt, schneidet jetzt Menschen zu Wänden und Hecken. Inder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/515>, abgerufen am 06.02.2025.