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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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gerichte durchgeführt. Da die Generale fürchteten, daß das Land sich gegen
den Druck auflehnen werde, griffen sie zu den schärfsten Vorsichtsmaßregeln,
alle Waffen mußten abgeliefert werden, jedes gefährliche Gespräch sollte vor
die Revolutionstribunale gebracht werden; dagegen lösten sich ungestraft alle
socialen Bande, Raub, Plünderung. Erpressung waren an der Tagesordnung;
bald begann auch das Hinwegscbleppen der Kunstschätze nach Paris. Aber
während die Bevölkerung keinerlei Grund hatte sich des Einbruchs der Fran¬
zosen zu freuen, so gab es wohl enthusiastische Köpfe, welche von den neuen
Ideen berauscht und von der Verkommenheit der alten Zustände angewidert,
die Republikaner mit Begeisterung begrüßten; die bedeutendsten von ihnen waren
Georg Forster und Joseph Görres. Förster ist von Perthes mit besonderer
Vorliebe behandelt, eigentlich in einer vollständigen Biographie, die uns zu sehr
aus dem Rahmen des Buches herauszutreten scheint. Dies war kaum nöthig;
denn kaum wird noch jemand der Ansicht von Gervinus sein, der Forster als
großen deutschen Staatsmann empfiehlt, während er doch nur ein hochbegabter
Mensch war, der in allem Dilettant blieb. Nicht allein im Mangel religiöser
Gesinnung, sondern auch namentlich in dem männlicher Kraft, welche dem
Unglück fest die Stirne bietet, lag Forsters tragisches Verhängniß, das ihn bei
seiner beweglichen Natur von einer Verirrung zur andern trieb, bis er enttäuscht
ein einsames Grab in Paris fand. Anders stand es mit Görres. Weit jünger
als Forster erfaßte er die Idee der Republik mit Begeisterung, aber die wirk¬
lichen Republikaner enttäuschten ihn bald gründlich, und auch er ward ihnen
schnell verhaßt, als er gegen Corruption und Gewaltsamkeit seine Stimme
unerschrocken erhob. Wie für Forster schwanden für ihn durch einen Besuch in
Paris alle Illusionen, aber er kam geheilt von dort zurück, und nun entwickelte
sich in ihm eine heilsame Reaction.

Die cisrhenanische Republik, welche trotz aller Bemühungen von Schwärmern
und Ehrgeizigen keine einzige Gemeinde des linken Rheinufers für sich hatte
und nur durch Militärgewalt durchgeführt ward, war eine flüchtig vorüber¬
gehende Erscheinung, die Lehre von den natürlichen Grenzen verlangte die Ein¬
verleibung; französische Gouvernementscommissare übernahmen die Verwaltung,
endlich wurden 1802 die vier rheinischen Departements den französischen gleich¬
gestellt. Eine vollkommene Umwälzung aller Rechtsverhältnisse trat ein. Adel.
Klerus, städtische und gutsherrliche Obrigkeiten hatten ihre Stellung verloren.
Alle Prärogative, Exemtionen und Privilegien wurden aufgehoben, die Adels¬
titel und Substitutionen abgeschafft, die Klöster säcularisirt, spät,er der eocle
vivit eingeführt. Dies waren große Vortheile für das Volk, die Bauern wur¬
den von allen gutsherrlichen Lasten befreit und erwarben die Güter als Eigen¬
thum, die sie bisher nur in erblicher Nutzung gehabt, gar mancher harte Amt¬
mann zog jetzt höflich vor dem oitoz?oll den Hut. Die Aufhebung der Zünfte.


gerichte durchgeführt. Da die Generale fürchteten, daß das Land sich gegen
den Druck auflehnen werde, griffen sie zu den schärfsten Vorsichtsmaßregeln,
alle Waffen mußten abgeliefert werden, jedes gefährliche Gespräch sollte vor
die Revolutionstribunale gebracht werden; dagegen lösten sich ungestraft alle
socialen Bande, Raub, Plünderung. Erpressung waren an der Tagesordnung;
bald begann auch das Hinwegscbleppen der Kunstschätze nach Paris. Aber
während die Bevölkerung keinerlei Grund hatte sich des Einbruchs der Fran¬
zosen zu freuen, so gab es wohl enthusiastische Köpfe, welche von den neuen
Ideen berauscht und von der Verkommenheit der alten Zustände angewidert,
die Republikaner mit Begeisterung begrüßten; die bedeutendsten von ihnen waren
Georg Forster und Joseph Görres. Förster ist von Perthes mit besonderer
Vorliebe behandelt, eigentlich in einer vollständigen Biographie, die uns zu sehr
aus dem Rahmen des Buches herauszutreten scheint. Dies war kaum nöthig;
denn kaum wird noch jemand der Ansicht von Gervinus sein, der Forster als
großen deutschen Staatsmann empfiehlt, während er doch nur ein hochbegabter
Mensch war, der in allem Dilettant blieb. Nicht allein im Mangel religiöser
Gesinnung, sondern auch namentlich in dem männlicher Kraft, welche dem
Unglück fest die Stirne bietet, lag Forsters tragisches Verhängniß, das ihn bei
seiner beweglichen Natur von einer Verirrung zur andern trieb, bis er enttäuscht
ein einsames Grab in Paris fand. Anders stand es mit Görres. Weit jünger
als Forster erfaßte er die Idee der Republik mit Begeisterung, aber die wirk¬
lichen Republikaner enttäuschten ihn bald gründlich, und auch er ward ihnen
schnell verhaßt, als er gegen Corruption und Gewaltsamkeit seine Stimme
unerschrocken erhob. Wie für Forster schwanden für ihn durch einen Besuch in
Paris alle Illusionen, aber er kam geheilt von dort zurück, und nun entwickelte
sich in ihm eine heilsame Reaction.

Die cisrhenanische Republik, welche trotz aller Bemühungen von Schwärmern
und Ehrgeizigen keine einzige Gemeinde des linken Rheinufers für sich hatte
und nur durch Militärgewalt durchgeführt ward, war eine flüchtig vorüber¬
gehende Erscheinung, die Lehre von den natürlichen Grenzen verlangte die Ein¬
verleibung; französische Gouvernementscommissare übernahmen die Verwaltung,
endlich wurden 1802 die vier rheinischen Departements den französischen gleich¬
gestellt. Eine vollkommene Umwälzung aller Rechtsverhältnisse trat ein. Adel.
Klerus, städtische und gutsherrliche Obrigkeiten hatten ihre Stellung verloren.
Alle Prärogative, Exemtionen und Privilegien wurden aufgehoben, die Adels¬
titel und Substitutionen abgeschafft, die Klöster säcularisirt, spät,er der eocle
vivit eingeführt. Dies waren große Vortheile für das Volk, die Bauern wur¬
den von allen gutsherrlichen Lasten befreit und erwarben die Güter als Eigen¬
thum, die sie bisher nur in erblicher Nutzung gehabt, gar mancher harte Amt¬
mann zog jetzt höflich vor dem oitoz?oll den Hut. Die Aufhebung der Zünfte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/514>, abgerufen am 06.02.2025.