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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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und Unzucht auf vier Jahre in seine Heimathsgemcinde eingegrenzt. Die Ein¬
grenzung geschieht auch auf unbestimmte Zeit und wird bisweilen durch das
Verbot, des Nachts auszugehen, verschärft, in der Regel auch durch Untersagung
des Besuchs von Märkten, wovon 1S55 ein Fall vorkam.

Besonders häufig sind, für Männer wie für Frauen, die Ehrcnstrafern
"Einstellung im Activbürgerrecht", Ehrloserklärung u. f. w. Fälle der Art waren
in letztverflossenen Jahrzehnt: Peter Joseph Sigrist, Steiniseps, von der
Schwendi, wegen qualisicirten Diebstahls und Vagantität, auf zehn Jahre ehr¬
los erklärt, auf vier in der Schwendi eingegrenzt, serner Eugen von Aa, wegen
Diebstahls auf zwei Jahre mit nächtlichem Hausarrest belegt; auf acht ehrlos
erklärt, wozu noch auf zwei Jahre das Verbot Handelschaft zu treiben kam,
endlich Franz Joseph Zumbühl, Muhlefranzen. von Stanz, der wegen Bank¬
rotts durch Urtheil des Regierungsraths ehrlos gemacht und aus Obwalten
verwiesen wurde. "Wer daher," so schloß das Erkenntniß, "diesem Zumbühl
hierorts Aufenthalt gestattet, verfällt in die durch Art. 13 der Verordnung für
Fremdenpolizei festgesetzte Strafe von 10 bis 50 Franken."

Oft kommt die Ausstellung auf dem "Lasterstein" mit der Ruthe in der
Hand vor. In Obwalten verurtheilte das Gericht noch 1855 einen Mann
und dessen Frau wegen schlechter Erziehung und Verpflegung ihrer Kinder, erste¬
ren außerdem wegen Spiel- und Trunksucht, zu solcher öffentlichen Ausstellung,
wobei über dem Lasterstein die Worte "pflichtvergessene Eltern" zu lesen waren.
Die Ruthe ist das Zeichen verwirkter körperlicher Züchtigung,' im Mittelalter
konnte jeder dieselbe nehmen und den Missethäter damit schlagen. Gewöhnlich
ist der Lasterstein nicht eine selbständige Strafe, sondern gehört in die Kategorie
der Zugaben.

"In Nidwalden lautete 1351 das Urtheil gegen eine Brandstifterin, sie
solle 1) eine Viertelstunde lang unter Läutung der Glocke und Verlesung des Straf¬
urtheils auf den Lasterstcin gestellt werden, 2) an einem Sonntag unter dem
vormittägigen Gottesdienste in der Pfarrkirche Stans vorknien und es solle zu¬
gleich eine auf das Verbrechen der Brandstiftung bezügliche Predigt gehalten
werden, 3) werde sie auf zwei Jahre zum Zuchthaus condemnirt, 4) nach ver¬
büßter Zuchthausstrafe solle sie vier Jahre lang an Sonn- und gebotenen
Feiertagen den vor- und nachmittägigen Gottesdienst besuchen und alle zwei
Monate ihre Andacht verrichten (beichten und communiciren?), 5) sie.sei nach
Entlassung aus dem Zuchthause der Aufsicht der Polizei und der Freundschaft
unterstellt, welche letztere nöthigenfalls für ihren Unterhalt zu sorgen habe,
6) sie sei der Ehrenfähigkeit verlustig erklärt." Der Ehemann dieser Frau, wel¬
cher der intellectuelle Urheber ihres Verbrechens gewesen, bekam acht Jahre
Zuchthaus. Da er diese Strafe ungerecht fand, so entwich er, aber nur, um
beim Bundespräsidenten in Bern sein heimisches Criminalgericht zu verklagen.


Grenzboten III. 1862. 63

und Unzucht auf vier Jahre in seine Heimathsgemcinde eingegrenzt. Die Ein¬
grenzung geschieht auch auf unbestimmte Zeit und wird bisweilen durch das
Verbot, des Nachts auszugehen, verschärft, in der Regel auch durch Untersagung
des Besuchs von Märkten, wovon 1S55 ein Fall vorkam.

Besonders häufig sind, für Männer wie für Frauen, die Ehrcnstrafern
„Einstellung im Activbürgerrecht", Ehrloserklärung u. f. w. Fälle der Art waren
in letztverflossenen Jahrzehnt: Peter Joseph Sigrist, Steiniseps, von der
Schwendi, wegen qualisicirten Diebstahls und Vagantität, auf zehn Jahre ehr¬
los erklärt, auf vier in der Schwendi eingegrenzt, serner Eugen von Aa, wegen
Diebstahls auf zwei Jahre mit nächtlichem Hausarrest belegt; auf acht ehrlos
erklärt, wozu noch auf zwei Jahre das Verbot Handelschaft zu treiben kam,
endlich Franz Joseph Zumbühl, Muhlefranzen. von Stanz, der wegen Bank¬
rotts durch Urtheil des Regierungsraths ehrlos gemacht und aus Obwalten
verwiesen wurde. „Wer daher," so schloß das Erkenntniß, „diesem Zumbühl
hierorts Aufenthalt gestattet, verfällt in die durch Art. 13 der Verordnung für
Fremdenpolizei festgesetzte Strafe von 10 bis 50 Franken."

Oft kommt die Ausstellung auf dem „Lasterstein" mit der Ruthe in der
Hand vor. In Obwalten verurtheilte das Gericht noch 1855 einen Mann
und dessen Frau wegen schlechter Erziehung und Verpflegung ihrer Kinder, erste¬
ren außerdem wegen Spiel- und Trunksucht, zu solcher öffentlichen Ausstellung,
wobei über dem Lasterstein die Worte „pflichtvergessene Eltern" zu lesen waren.
Die Ruthe ist das Zeichen verwirkter körperlicher Züchtigung,' im Mittelalter
konnte jeder dieselbe nehmen und den Missethäter damit schlagen. Gewöhnlich
ist der Lasterstein nicht eine selbständige Strafe, sondern gehört in die Kategorie
der Zugaben.

„In Nidwalden lautete 1351 das Urtheil gegen eine Brandstifterin, sie
solle 1) eine Viertelstunde lang unter Läutung der Glocke und Verlesung des Straf¬
urtheils auf den Lasterstcin gestellt werden, 2) an einem Sonntag unter dem
vormittägigen Gottesdienste in der Pfarrkirche Stans vorknien und es solle zu¬
gleich eine auf das Verbrechen der Brandstiftung bezügliche Predigt gehalten
werden, 3) werde sie auf zwei Jahre zum Zuchthaus condemnirt, 4) nach ver¬
büßter Zuchthausstrafe solle sie vier Jahre lang an Sonn- und gebotenen
Feiertagen den vor- und nachmittägigen Gottesdienst besuchen und alle zwei
Monate ihre Andacht verrichten (beichten und communiciren?), 5) sie.sei nach
Entlassung aus dem Zuchthause der Aufsicht der Polizei und der Freundschaft
unterstellt, welche letztere nöthigenfalls für ihren Unterhalt zu sorgen habe,
6) sie sei der Ehrenfähigkeit verlustig erklärt." Der Ehemann dieser Frau, wel¬
cher der intellectuelle Urheber ihres Verbrechens gewesen, bekam acht Jahre
Zuchthaus. Da er diese Strafe ungerecht fand, so entwich er, aber nur, um
beim Bundespräsidenten in Bern sein heimisches Criminalgericht zu verklagen.


Grenzboten III. 1862. 63
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/505>, abgerufen am 06.02.2025.