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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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dem Carneval sein altes fröhliches Gesicht, dem Volke seine Spiele zu lassen,
hatte doch, wie im vorigen Jahrej, das Tragen der Gesichtsmasken verboten.
Kein Römer ließ sich auf dem Corso blicken; das Confetti- und Blumenwerfen
blieb ein Vergnügen und zwar ein recht brutales, poesieloses, für die Fremden
und für die Gassenbuben; die liberalen Römer aber zogen aus der modernen
Stadt in ihre großen Erinnerungen aufs Forum; schweigend wandelte die
Masse auf und ab, bis die Glocken des Ave Maria ertönten. Es lag doch
etwas Feierliches, sinnvolles in dieser Demonstration.

Man muß die Römer seit zwei Jahren kennen, um zu wissen, wie jede
Fiber in ihnen dem Gedanken des einigen Italiens entgegenschlägt, wie sie
jede Gelegenheit benutzen, um dem gegenwärtigen Governo ihre Abneigung zu
erkennen zu geben, mit welcher Geschicklichkeit das revolutionäre Comite die
Fäden der Bewegung in Händen hat. In der auf jene Demonstration
folgenden Nacht schlug aber der Blitz in die Jtalianissimi; denn nach jahre¬
langer vergeblicher Bemühung gelang es endlich der Polizei, jenes Comite mit
allen Listen, Geldern, Waffendepots in einer seiner Sitzungen zu überraschen
und aufzuheben. Da in allen Schichten der Bevölkerung, bis in die höchsten
Beamtenregionen, sich Compromittirte befanden und sofort zu den umfassend¬
sten Verhaftungen geschritten wurde, so war am stillen Freitage die Stadt
unter dem dumpfen Drucke eines panischen Schreckens, man fürchtete eine revo¬
lutionäre Erhebung. Da, plötzlich um Mittag besetzten 6000 Franzosen den
Corso und sperrten ihn hermetisch ab; erst gegen Abend ward die freie Circu-
lation wieder gestattet. Die öde Straße, weiß von dem Gipsstaube der in den
vorigen Tagen geworfenen Confetti, gewährte einen eigenthümlichen Anblick;
erstaunt schauten die Menschen von den mit bunten Teppichen und Blumen
geschmückten Balkonen und aus den Fenstern herab, neugierig, wie sich die
Sache weiter entwickeln würde. Die Römer aber sind ein leichtfertiges Volk,
denn als wenige Tage darauf, am letzten Carnevalsabende, der Corso in dem
mährchenhaften Glänze der Moccoli leuchtete, da jauchzte das Volk in wahr¬
haft bachantischer Lust, rief sein "sen^Ä rrweoolil" und trieb seine tollen Späße
mit harmloser, ausgelassener Heiterkeit. Tausende und aber Tausende wog¬
ten in den buntesten Costümen auf und ab -- als ob keine Trübsalswolke
am Horizonte, als ob nicht das Damoklesschwert über jedem schwebe. Der
Römer kann alles dulden, allem entsagen, aber von seinem Moccoliabend
lassen, das kann er nicht.

(Fortsetzung folgt.)




dem Carneval sein altes fröhliches Gesicht, dem Volke seine Spiele zu lassen,
hatte doch, wie im vorigen Jahrej, das Tragen der Gesichtsmasken verboten.
Kein Römer ließ sich auf dem Corso blicken; das Confetti- und Blumenwerfen
blieb ein Vergnügen und zwar ein recht brutales, poesieloses, für die Fremden
und für die Gassenbuben; die liberalen Römer aber zogen aus der modernen
Stadt in ihre großen Erinnerungen aufs Forum; schweigend wandelte die
Masse auf und ab, bis die Glocken des Ave Maria ertönten. Es lag doch
etwas Feierliches, sinnvolles in dieser Demonstration.

Man muß die Römer seit zwei Jahren kennen, um zu wissen, wie jede
Fiber in ihnen dem Gedanken des einigen Italiens entgegenschlägt, wie sie
jede Gelegenheit benutzen, um dem gegenwärtigen Governo ihre Abneigung zu
erkennen zu geben, mit welcher Geschicklichkeit das revolutionäre Comite die
Fäden der Bewegung in Händen hat. In der auf jene Demonstration
folgenden Nacht schlug aber der Blitz in die Jtalianissimi; denn nach jahre¬
langer vergeblicher Bemühung gelang es endlich der Polizei, jenes Comite mit
allen Listen, Geldern, Waffendepots in einer seiner Sitzungen zu überraschen
und aufzuheben. Da in allen Schichten der Bevölkerung, bis in die höchsten
Beamtenregionen, sich Compromittirte befanden und sofort zu den umfassend¬
sten Verhaftungen geschritten wurde, so war am stillen Freitage die Stadt
unter dem dumpfen Drucke eines panischen Schreckens, man fürchtete eine revo¬
lutionäre Erhebung. Da, plötzlich um Mittag besetzten 6000 Franzosen den
Corso und sperrten ihn hermetisch ab; erst gegen Abend ward die freie Circu-
lation wieder gestattet. Die öde Straße, weiß von dem Gipsstaube der in den
vorigen Tagen geworfenen Confetti, gewährte einen eigenthümlichen Anblick;
erstaunt schauten die Menschen von den mit bunten Teppichen und Blumen
geschmückten Balkonen und aus den Fenstern herab, neugierig, wie sich die
Sache weiter entwickeln würde. Die Römer aber sind ein leichtfertiges Volk,
denn als wenige Tage darauf, am letzten Carnevalsabende, der Corso in dem
mährchenhaften Glänze der Moccoli leuchtete, da jauchzte das Volk in wahr¬
haft bachantischer Lust, rief sein „sen^Ä rrweoolil" und trieb seine tollen Späße
mit harmloser, ausgelassener Heiterkeit. Tausende und aber Tausende wog¬
ten in den buntesten Costümen auf und ab — als ob keine Trübsalswolke
am Horizonte, als ob nicht das Damoklesschwert über jedem schwebe. Der
Römer kann alles dulden, allem entsagen, aber von seinem Moccoliabend
lassen, das kann er nicht.

(Fortsetzung folgt.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/490>, abgerufen am 10.02.2025.