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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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seinen Söhnen gegen die umstrickende Schlange, gegen den modernen gallischen
Cäsar, und seine nächtliche Ruhe wird gestört durch das drohende Gespenst
des piemontesischen Italiens. Rom war stets eine Freistatt der Könige.
Johann von Brienne, König von Jerusalem, Schwiegervater und Gegner Kaiser
Friedrich des Zweiten, zThomas Paläologus von Morea, Catharina von
Bosnien, Charlotte von Cypern, Gemahlin und Erbin des letzten Königs, die
ihre Ansprüche an das Haus Savoyen vermachte, weshalb die sardinischen
Könige auch noch den Titel eines Königs von Cypern führen, Christine von
Schweden, die vertriebenen Stuarts von Jacob Edward bis zum Cardinal von
Uork, Carl der Vierte von Spanien, Carl Emanuel der Vierte von Sardi¬
nien, die napoleoniden, Don Miguel von Portugal, Christine von Spanien
und endlich in neuester Zeit die ganze neapolitanische Königsfamilie fanden in
Rom gastfreie Aufnahme; auch Prinz Heinrich von Preußen schloß hier sein
Leben.

Nach den officiellen Angaben des Generalvicariats betrug die Volkszahl
Ende 186t 194,587 Menschen, davon 40 Bischöfe, 1385 Weltgeistliche, 2474
Ordensgeistliche. 2032 Nonnen, 2613 Zöglinge in Klöstern und Conventen, 283
Akatholiken, 4226 Juden. Hierzu kommen noch die Fremden, deren Zahl man auf
25,000 jährlich schätzt, und die Garnison, Franzosen und Italiener, etwa 12,000
Mann. Mithin kommen auf 34 Menschen ein Geistlicher, auf 16 ein Soldat. Das
sind eigenthümliche Verhältnisse. Die Bevölkerung ist auf 54 Pfarrkirchen ver¬
theilt, welche 32 Bischöfen unterworfen sind. Nimmt man den Straßen Roms
die Geistlichen, Soldaten und Bettler, so werden sie nicht allein bedeutend öder,
sondern nehmen auch ein durchaus charakteristisch verschiedenes Aeußere an.

Wir steigen hinab aufs Forum. Die Straße ist hoch ausgemauert; links
unter ihr, am Fuße des Capitols schauen wir auf die zu Tage gelegten Trüm¬
mer des Alterthumes untev dem Tabularium. Dort liegen der Bogen des Seve-
rus, die gewaltigen Säulenreste der Tempel der Concordia und Fortuna und
manches andere Räthsel der Archäologen; da wandeln Inglesi umher mit dem
Murrav in der Hand, einzelne träge Arbeiter liegen neben ihren Schubkarren,
denn arbeitsunfähige Arme sind es, die man dort unten mit den Ausgrabungen
beschäftigt. "Wie sie elend sind" sagt eine alte Frau zu uns, und "wes¬
halb?" "weil sie arbeiten müssen". Dort steht die Rednerbühne, von welcher
aus Cicero seine schöngesetzten und der modernen Gymnasialjugend so qualvollen
Reden ans Volk hielt. Das Forum sah manche Versammlung thatkräftiger
Republikaner. Wie staunten die alten ehrwürdigen Trümmer, als nach tausend¬
jähriger Ruhe in neuester Zeit wiederum das Volk unter ihnen zusammenströmte.
Es war im März dieses Jahres, am Giovedi grasso, dem Haupttage der Car-
nevalswoche. als fast 30,000 Römer sich auf dem Forum versammelten zu einer
Demonstration gegen das Governo; denn dieses, obgleich ihm alles daran lag,


Grenzboten III. 1362. > , 61

seinen Söhnen gegen die umstrickende Schlange, gegen den modernen gallischen
Cäsar, und seine nächtliche Ruhe wird gestört durch das drohende Gespenst
des piemontesischen Italiens. Rom war stets eine Freistatt der Könige.
Johann von Brienne, König von Jerusalem, Schwiegervater und Gegner Kaiser
Friedrich des Zweiten, zThomas Paläologus von Morea, Catharina von
Bosnien, Charlotte von Cypern, Gemahlin und Erbin des letzten Königs, die
ihre Ansprüche an das Haus Savoyen vermachte, weshalb die sardinischen
Könige auch noch den Titel eines Königs von Cypern führen, Christine von
Schweden, die vertriebenen Stuarts von Jacob Edward bis zum Cardinal von
Uork, Carl der Vierte von Spanien, Carl Emanuel der Vierte von Sardi¬
nien, die napoleoniden, Don Miguel von Portugal, Christine von Spanien
und endlich in neuester Zeit die ganze neapolitanische Königsfamilie fanden in
Rom gastfreie Aufnahme; auch Prinz Heinrich von Preußen schloß hier sein
Leben.

Nach den officiellen Angaben des Generalvicariats betrug die Volkszahl
Ende 186t 194,587 Menschen, davon 40 Bischöfe, 1385 Weltgeistliche, 2474
Ordensgeistliche. 2032 Nonnen, 2613 Zöglinge in Klöstern und Conventen, 283
Akatholiken, 4226 Juden. Hierzu kommen noch die Fremden, deren Zahl man auf
25,000 jährlich schätzt, und die Garnison, Franzosen und Italiener, etwa 12,000
Mann. Mithin kommen auf 34 Menschen ein Geistlicher, auf 16 ein Soldat. Das
sind eigenthümliche Verhältnisse. Die Bevölkerung ist auf 54 Pfarrkirchen ver¬
theilt, welche 32 Bischöfen unterworfen sind. Nimmt man den Straßen Roms
die Geistlichen, Soldaten und Bettler, so werden sie nicht allein bedeutend öder,
sondern nehmen auch ein durchaus charakteristisch verschiedenes Aeußere an.

Wir steigen hinab aufs Forum. Die Straße ist hoch ausgemauert; links
unter ihr, am Fuße des Capitols schauen wir auf die zu Tage gelegten Trüm¬
mer des Alterthumes untev dem Tabularium. Dort liegen der Bogen des Seve-
rus, die gewaltigen Säulenreste der Tempel der Concordia und Fortuna und
manches andere Räthsel der Archäologen; da wandeln Inglesi umher mit dem
Murrav in der Hand, einzelne träge Arbeiter liegen neben ihren Schubkarren,
denn arbeitsunfähige Arme sind es, die man dort unten mit den Ausgrabungen
beschäftigt. „Wie sie elend sind" sagt eine alte Frau zu uns, und „wes¬
halb?" „weil sie arbeiten müssen". Dort steht die Rednerbühne, von welcher
aus Cicero seine schöngesetzten und der modernen Gymnasialjugend so qualvollen
Reden ans Volk hielt. Das Forum sah manche Versammlung thatkräftiger
Republikaner. Wie staunten die alten ehrwürdigen Trümmer, als nach tausend¬
jähriger Ruhe in neuester Zeit wiederum das Volk unter ihnen zusammenströmte.
Es war im März dieses Jahres, am Giovedi grasso, dem Haupttage der Car-
nevalswoche. als fast 30,000 Römer sich auf dem Forum versammelten zu einer
Demonstration gegen das Governo; denn dieses, obgleich ihm alles daran lag,


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[0489] seinen Söhnen gegen die umstrickende Schlange, gegen den modernen gallischen Cäsar, und seine nächtliche Ruhe wird gestört durch das drohende Gespenst des piemontesischen Italiens. Rom war stets eine Freistatt der Könige. Johann von Brienne, König von Jerusalem, Schwiegervater und Gegner Kaiser Friedrich des Zweiten, zThomas Paläologus von Morea, Catharina von Bosnien, Charlotte von Cypern, Gemahlin und Erbin des letzten Königs, die ihre Ansprüche an das Haus Savoyen vermachte, weshalb die sardinischen Könige auch noch den Titel eines Königs von Cypern führen, Christine von Schweden, die vertriebenen Stuarts von Jacob Edward bis zum Cardinal von Uork, Carl der Vierte von Spanien, Carl Emanuel der Vierte von Sardi¬ nien, die napoleoniden, Don Miguel von Portugal, Christine von Spanien und endlich in neuester Zeit die ganze neapolitanische Königsfamilie fanden in Rom gastfreie Aufnahme; auch Prinz Heinrich von Preußen schloß hier sein Leben. Nach den officiellen Angaben des Generalvicariats betrug die Volkszahl Ende 186t 194,587 Menschen, davon 40 Bischöfe, 1385 Weltgeistliche, 2474 Ordensgeistliche. 2032 Nonnen, 2613 Zöglinge in Klöstern und Conventen, 283 Akatholiken, 4226 Juden. Hierzu kommen noch die Fremden, deren Zahl man auf 25,000 jährlich schätzt, und die Garnison, Franzosen und Italiener, etwa 12,000 Mann. Mithin kommen auf 34 Menschen ein Geistlicher, auf 16 ein Soldat. Das sind eigenthümliche Verhältnisse. Die Bevölkerung ist auf 54 Pfarrkirchen ver¬ theilt, welche 32 Bischöfen unterworfen sind. Nimmt man den Straßen Roms die Geistlichen, Soldaten und Bettler, so werden sie nicht allein bedeutend öder, sondern nehmen auch ein durchaus charakteristisch verschiedenes Aeußere an. Wir steigen hinab aufs Forum. Die Straße ist hoch ausgemauert; links unter ihr, am Fuße des Capitols schauen wir auf die zu Tage gelegten Trüm¬ mer des Alterthumes untev dem Tabularium. Dort liegen der Bogen des Seve- rus, die gewaltigen Säulenreste der Tempel der Concordia und Fortuna und manches andere Räthsel der Archäologen; da wandeln Inglesi umher mit dem Murrav in der Hand, einzelne träge Arbeiter liegen neben ihren Schubkarren, denn arbeitsunfähige Arme sind es, die man dort unten mit den Ausgrabungen beschäftigt. „Wie sie elend sind" sagt eine alte Frau zu uns, und „wes¬ halb?" „weil sie arbeiten müssen". Dort steht die Rednerbühne, von welcher aus Cicero seine schöngesetzten und der modernen Gymnasialjugend so qualvollen Reden ans Volk hielt. Das Forum sah manche Versammlung thatkräftiger Republikaner. Wie staunten die alten ehrwürdigen Trümmer, als nach tausend¬ jähriger Ruhe in neuester Zeit wiederum das Volk unter ihnen zusammenströmte. Es war im März dieses Jahres, am Giovedi grasso, dem Haupttage der Car- nevalswoche. als fast 30,000 Römer sich auf dem Forum versammelten zu einer Demonstration gegen das Governo; denn dieses, obgleich ihm alles daran lag, Grenzboten III. 1362. > , 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/489>, abgerufen am 05.02.2025.