Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.Die Wahlen im Großherzogthum Hessen. Die Bewegung, die gegenwärtig im Hessen-Darmstädtischen vor sich geht, bean¬ Aber auch an sich schon ist es eine Freude, zu sel>en, wie das hessische Volk ' > Das hessische Wahlgesetz, von einer octroyirten Kammer gutgeheißen, ist eines 61*
Die Wahlen im Großherzogthum Hessen. Die Bewegung, die gegenwärtig im Hessen-Darmstädtischen vor sich geht, bean¬ Aber auch an sich schon ist es eine Freude, zu sel>en, wie das hessische Volk ' > Das hessische Wahlgesetz, von einer octroyirten Kammer gutgeheißen, ist eines 61*
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Die Wahlen im Großherzogthum Hessen.
Die Bewegung, die gegenwärtig im Hessen-Darmstädtischen vor sich geht, bean¬
sprucht, so klein das Land im Verhältniß zu andern deutschen Vaterländern ist, ein
besonderes Interesse auch außerhalb der Grenzen desselben. Zunächst ist es immer¬
hin von ebner gewissen Bedeutung, wenn in einem der kleineren Mittclstaaten sich
von unten herauf ein Umschwung der Dinge vorbereitet, der mit der großen natio¬
nalen Bewegung im Wesentlichen zusammenfällt. Sodann aber bildet das Gro߬
herzogthum Hessen durch seine Läge wie durch die Art seiner Bewohner einen der
Uebergänge aus dem Norden zum Süden Deutschlands, und je nachdem es sich da¬
hin oder dorthin neigt, wird es mehr oder minder bestimmend für die öffentliche
Meinung im Süden. Wie ein Land gleich dem Königreich Sachsen sich entscheidet,
ist für den Bayern, den Schwaben und den Badener weit weniger bedeutsam, als
die Richtung, die das dreimal schwächere Großherzogthum Hessen einschlägt. Man
erinnere sich, daß letzteres der erste deutsche Staat war, der sich dem von Preußen
beabsichtigten Zollverein in seiner vollen Ausdehnung anschloß, und man bedenke,
welche Wirkung der Beitritt desselben zu dem preußisch-französischen Handelsvertrag
gegenwärtig auf die Regierungen in den beiden südlichsten Staaten der Würzburger
Koalition ausüben würde. ^ ,
Aber auch an sich schon ist es eine Freude, zu sel>en, wie das hessische Volk
nach sechsjähriger systematischer Ertödtung seines constitutionellen Lebens rüstig ans
Werk geht, sich sein Recht wieder zu gewinnen. Der Kampf, zu dem es sich in
den Wahlen anschickt, ist derselbe, der vor einigen Jahren in Bayern mit dem
Sturz des Pfordtenschcn Regiments endigte, und die Persönlichkeit, der es hier gilt,
ist nicht weniger eine Stütze aller illiberalen und antinationalen Bestrebungen ge¬
wesen, als der ehemalige bayerische Premier. Noch erhöht aber wird das Interesse,
wenn wir bemerken, wie Wind und Sonne hier weit ungleicher vertheilt sind als
dort, und wie trotzdem das Volk mit derselben Energie und Siegeszuversicht an die
politische Arbeit geht.
' > Das hessische Wahlgesetz, von einer octroyirten Kammer gutgeheißen, ist eines
der abnormsten und ungeheuerlichsten in ganz Deutschland. Es macht den Sieg
der Fortschritts- und Rechtspartei dem Anschein nach fast unmöglich, wird aber in
diesem Fall zum Beweis werden, daß ein überwiegend freisinnig denkendes Volk
auch mit dem schlechtesten Wahlgesetz gute Wahlen zu Stande bringt, falls es
nur zweckmäßig organisirt ist und einmüthig zusammensteht. An guten Beispielen
dazu hat es nicht gefehlt, an geschickten Führern ebenso wenig. Preußen lieferte in
seinen letzten Wahlen das Vorbild, der Nationalverein hat trefflich gewirkt, aufzu¬
klären, zu gewinnen und zu bestärken; das Ergebniß dieser Einflüsse wird eine
Kammer sein, die in ihrer Mehrheit das Gegentheil von dem darstellen wird, was
die Schöpfer des Wahlgesetzes beabsichtigten. Nach letzterem ist die Wahl eine in-
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