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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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des Sultans, namentlich durch Kundschafterdienstc, zu einer solchen Niederlage
mitwirken würden.

Ganz anders würden sich die Dinge gestalten, wenn wir selbständig wären-
Nach der eignen Angabe der Türken beläuft sich die Zahl der in den europäischen
Provinzen der Pforte lebenden Christen auf 12 Millionen. Starke Sonder-
interesscn trennen die einzelnen Stämme derselben nicht, und ob Bulgar oder
Serbe, ob Bosnier oder Herzegowina, käme in diesem Fall nicht in Betracht.
Unser aller Herzen beten zu einem Gott, unsre Zungen sprechen mit geringen
Unterschieden die eine südslavische Sprache, wir alle haben ein und dasselbe
Ziel: Selbständigkeit und freie Ausgestaltung unsres nationalen Wesens. Wir
sind ferner kräftige und zum großen Theil kriegerisch gesinnte Völker, die nur
der Organisation bedürfen, um ein starkes Heer aufzustellen. Wenn das kleine
Fürstenthum Serbien mit nicht mehr als einer Million Seelen ein Heer von
mindestens hunderttausend Mann Militär und Landwehr auf die Beine zu brin¬
gen vermag, sollten wir. Bulgaren, Serben, Bosnier und Montenegriner, ver¬
eint nicht im Stande sein, eine wenigstens dreimal so starke Armee für die
Vertheidigung unsrer Selbständigkeit aufzubringen? Jeder würde mit Freuden
zu einem solchen Heer stoßen oder seine Söhne stellen, niemand würde sich da¬
gegen erheben, niemand den heranrückenden Feind unterstützen." --

"Dock Sie sagen ja," so fuhr ich zu meinem Engländer fort, "daß wir
russisch gesinnt sind. Nun, darauf kann ich nur mit der Frage erwidern, ob
Sie die Engländer, die 1853 mit den Franzosen gegen Rußland, oder ob Sie
die Italiener, die 1859 gegen Oestreich ins Feld rückten, französisch gesinnt
nenrten wollen. Natürlich scheint mir zu sein, daß die Verfolgung eines gemein¬
samen Zieles, des Ziels der Verdrängung des Halbmonds aus unserm Welttheil bei
uns Sympathien für Nußland wachrief. Die Griechen, die Serben, die Bewohner
der jetzt vereinigten rumänischen Fürstentümer haben mit Rußland sympathisirt.
weil sie von ihm Hülfe erwarteten. Sie haben dann, als sie ihre Selbstän¬
digkeit errungen hatten, noch aus diese Macht geblickt, so lange sie glauben
konnten, sie sei Wächter dieser ihrer Selbständigkeit gegenüber den Türken. Diese
Neigung der Südslaven zu Rußland ist eine rein diplomatische nach dem Grund¬
satz: Wer mit mir ist, mit dem bin auch ich. Sie müßte sofort aufhören oder
sich doch theilen, sobald eine andere Großmacht mit uns dieselben Zwecke ver¬
folgte, und sie hat sich bereits getheilt. Sie würde dem Gegentheil Platz ma¬
chen, sobald Nußland Anstalten träfe, die Stelle der Türken einzunehmen.

Wollen Sie Beispiele und Beweise, so kann ich damit dienen. Als die
Russen 1854 gegen die Donau vorrückten, befanden sich bei ihrem Heere gegen
zehntausend Bulgaren, die ein eignes Corps mit bulgarischer Fahne und bul¬
garischen Offizieren bildeten, und die -- ich war selbst dabei -- den alten
Fürsten Milosch Obrenowitsch zum König zu proclamiren beabsichtigten, sobald


des Sultans, namentlich durch Kundschafterdienstc, zu einer solchen Niederlage
mitwirken würden.

Ganz anders würden sich die Dinge gestalten, wenn wir selbständig wären-
Nach der eignen Angabe der Türken beläuft sich die Zahl der in den europäischen
Provinzen der Pforte lebenden Christen auf 12 Millionen. Starke Sonder-
interesscn trennen die einzelnen Stämme derselben nicht, und ob Bulgar oder
Serbe, ob Bosnier oder Herzegowina, käme in diesem Fall nicht in Betracht.
Unser aller Herzen beten zu einem Gott, unsre Zungen sprechen mit geringen
Unterschieden die eine südslavische Sprache, wir alle haben ein und dasselbe
Ziel: Selbständigkeit und freie Ausgestaltung unsres nationalen Wesens. Wir
sind ferner kräftige und zum großen Theil kriegerisch gesinnte Völker, die nur
der Organisation bedürfen, um ein starkes Heer aufzustellen. Wenn das kleine
Fürstenthum Serbien mit nicht mehr als einer Million Seelen ein Heer von
mindestens hunderttausend Mann Militär und Landwehr auf die Beine zu brin¬
gen vermag, sollten wir. Bulgaren, Serben, Bosnier und Montenegriner, ver¬
eint nicht im Stande sein, eine wenigstens dreimal so starke Armee für die
Vertheidigung unsrer Selbständigkeit aufzubringen? Jeder würde mit Freuden
zu einem solchen Heer stoßen oder seine Söhne stellen, niemand würde sich da¬
gegen erheben, niemand den heranrückenden Feind unterstützen." —

„Dock Sie sagen ja," so fuhr ich zu meinem Engländer fort, „daß wir
russisch gesinnt sind. Nun, darauf kann ich nur mit der Frage erwidern, ob
Sie die Engländer, die 1853 mit den Franzosen gegen Rußland, oder ob Sie
die Italiener, die 1859 gegen Oestreich ins Feld rückten, französisch gesinnt
nenrten wollen. Natürlich scheint mir zu sein, daß die Verfolgung eines gemein¬
samen Zieles, des Ziels der Verdrängung des Halbmonds aus unserm Welttheil bei
uns Sympathien für Nußland wachrief. Die Griechen, die Serben, die Bewohner
der jetzt vereinigten rumänischen Fürstentümer haben mit Rußland sympathisirt.
weil sie von ihm Hülfe erwarteten. Sie haben dann, als sie ihre Selbstän¬
digkeit errungen hatten, noch aus diese Macht geblickt, so lange sie glauben
konnten, sie sei Wächter dieser ihrer Selbständigkeit gegenüber den Türken. Diese
Neigung der Südslaven zu Rußland ist eine rein diplomatische nach dem Grund¬
satz: Wer mit mir ist, mit dem bin auch ich. Sie müßte sofort aufhören oder
sich doch theilen, sobald eine andere Großmacht mit uns dieselben Zwecke ver¬
folgte, und sie hat sich bereits getheilt. Sie würde dem Gegentheil Platz ma¬
chen, sobald Nußland Anstalten träfe, die Stelle der Türken einzunehmen.

Wollen Sie Beispiele und Beweise, so kann ich damit dienen. Als die
Russen 1854 gegen die Donau vorrückten, befanden sich bei ihrem Heere gegen
zehntausend Bulgaren, die ein eignes Corps mit bulgarischer Fahne und bul¬
garischen Offizieren bildeten, und die — ich war selbst dabei — den alten
Fürsten Milosch Obrenowitsch zum König zu proclamiren beabsichtigten, sobald


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[0478] des Sultans, namentlich durch Kundschafterdienstc, zu einer solchen Niederlage mitwirken würden. Ganz anders würden sich die Dinge gestalten, wenn wir selbständig wären- Nach der eignen Angabe der Türken beläuft sich die Zahl der in den europäischen Provinzen der Pforte lebenden Christen auf 12 Millionen. Starke Sonder- interesscn trennen die einzelnen Stämme derselben nicht, und ob Bulgar oder Serbe, ob Bosnier oder Herzegowina, käme in diesem Fall nicht in Betracht. Unser aller Herzen beten zu einem Gott, unsre Zungen sprechen mit geringen Unterschieden die eine südslavische Sprache, wir alle haben ein und dasselbe Ziel: Selbständigkeit und freie Ausgestaltung unsres nationalen Wesens. Wir sind ferner kräftige und zum großen Theil kriegerisch gesinnte Völker, die nur der Organisation bedürfen, um ein starkes Heer aufzustellen. Wenn das kleine Fürstenthum Serbien mit nicht mehr als einer Million Seelen ein Heer von mindestens hunderttausend Mann Militär und Landwehr auf die Beine zu brin¬ gen vermag, sollten wir. Bulgaren, Serben, Bosnier und Montenegriner, ver¬ eint nicht im Stande sein, eine wenigstens dreimal so starke Armee für die Vertheidigung unsrer Selbständigkeit aufzubringen? Jeder würde mit Freuden zu einem solchen Heer stoßen oder seine Söhne stellen, niemand würde sich da¬ gegen erheben, niemand den heranrückenden Feind unterstützen." — „Dock Sie sagen ja," so fuhr ich zu meinem Engländer fort, „daß wir russisch gesinnt sind. Nun, darauf kann ich nur mit der Frage erwidern, ob Sie die Engländer, die 1853 mit den Franzosen gegen Rußland, oder ob Sie die Italiener, die 1859 gegen Oestreich ins Feld rückten, französisch gesinnt nenrten wollen. Natürlich scheint mir zu sein, daß die Verfolgung eines gemein¬ samen Zieles, des Ziels der Verdrängung des Halbmonds aus unserm Welttheil bei uns Sympathien für Nußland wachrief. Die Griechen, die Serben, die Bewohner der jetzt vereinigten rumänischen Fürstentümer haben mit Rußland sympathisirt. weil sie von ihm Hülfe erwarteten. Sie haben dann, als sie ihre Selbstän¬ digkeit errungen hatten, noch aus diese Macht geblickt, so lange sie glauben konnten, sie sei Wächter dieser ihrer Selbständigkeit gegenüber den Türken. Diese Neigung der Südslaven zu Rußland ist eine rein diplomatische nach dem Grund¬ satz: Wer mit mir ist, mit dem bin auch ich. Sie müßte sofort aufhören oder sich doch theilen, sobald eine andere Großmacht mit uns dieselben Zwecke ver¬ folgte, und sie hat sich bereits getheilt. Sie würde dem Gegentheil Platz ma¬ chen, sobald Nußland Anstalten träfe, die Stelle der Türken einzunehmen. Wollen Sie Beispiele und Beweise, so kann ich damit dienen. Als die Russen 1854 gegen die Donau vorrückten, befanden sich bei ihrem Heere gegen zehntausend Bulgaren, die ein eignes Corps mit bulgarischer Fahne und bul¬ garischen Offizieren bildeten, und die — ich war selbst dabei — den alten Fürsten Milosch Obrenowitsch zum König zu proclamiren beabsichtigten, sobald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/478>, abgerufen am 29.08.2024.