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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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das Heer in Bulgarien einmarschirt sein würde. Als die Russen sich nach Bess-
arabien zurückzogen und diese Hülfstruppen bemerkten, daß der Krieg nicht
mehr für ihr Interesse, sondern nur noch für das russische geführt werden sollte,
gingen sie ohne Verzug auseinander. Als später die Tartarenauswanderung
aus der Krim stattfand, gab sich die russische Regierung große Mühe, das men¬
schenleere Land mit Bulgaren aus den türkischen Provinzen zu besiedeln, wobei
ihr zu Statten kam, daß sie auf ältere Bulgarencolonien der Halbinsel hinweisen
konnte, die wohlgediehen waren. Massen meiner Landsleute ließen sich gewin¬
nen, als sie aber an Ort und Stelle ankamen und fanden, daß jene Bulgaren
nicht mehr bulgarisch, sondern russisch sprachen, kehrten sie fast ohne Ausnahme
wieder heim. Endlich ist zu erwähnen, daß, seit wir erfahren haben, daß Ru߬
land in Konstantinopel die griechische Partei unterstützt, der russische Einfluß
bei uns beinahe allenthalben aufgehört hat.

Wir Bulgaren haben ganz wie unsre serbischen Freunde sehr gute Gründe,
nicht an Rußland fallen zu wollen. Wir streben nach Selbständigkeit, nach
freier Entwickelungsbahn für unsre Talente. Wir wissen, was es bedeutet, unter
einer Weltherrschaft zu stehen, wir haben durchaus keine Neigung, unsre Be¬
strebungen von Befehlen aus Petersburg durchkreuzen, uns von kaiserlichen
Generaladjutanten dictiren zu lassen, was Recht ist, wir kennen das russische
Tschinownikwesen zur Genüge. Es ist uns nicht entfernt darum zu thun, blos
den Gebieter zu wechseln. Im Gegentheil, so lange wir unter türkischem Joch
schmachten, haben wir Hoffnung, uns einmal zu befreien und unsrer Nationa¬
lität in Gemeinschaft mit den Serben staatliche Gestalt zu geben. Sind wir
eine russische Provinz geworden, so ist es damit zu Ende, nach wenigen Jahr¬
zehnten wären wir in Russen umgewandelt.

Ja aber, der Panslavismus, sagt man, wenn der nicht wäre! Der
Panslavismus die Vereinigung aller slavischen Stämme unter der russischen
Krone ist. so viel ich weiß, eine von verdrehten Köpfen in Böhmen erfundene,
in Wien zum Schreckbild für das übrige Europa großgezogne Phantasterei,
an die du uns ebenfalls nur ein paar verdrehte Köpfe glauben, die sich nie
realisiren wird, die schon durch das Verhältniß Polens zu Rußland für alle
Verständigen widerlegt wird. Das deutsche Volk, welches Eine Sprache und
Literatur innig verbindet, welches dicht beisammen wohnt, hat sich bis jetzt
nicht unter Einem Herrscher vereinigen können, und die Slaven, die in Nord
und Süd zerstreut sind, deren Sprachen wohl ähnlich, aber doch so verschieden
sind, daß die einzelnen Stämme sich theils gar nicht, theils nur schwer einander
verständlich machen können, diese Slavenstämme, sage ich, von denen jeder seine
eigne Geschichte und Literatur, seine eignen Sitten, Gebräuche und Bestrebun¬
gen hat, sie sollten sich unter einen Hut bringen lassen?

Ist dies aller menschlichen Berechnung nach unmöglich, so ist dagegen ein


das Heer in Bulgarien einmarschirt sein würde. Als die Russen sich nach Bess-
arabien zurückzogen und diese Hülfstruppen bemerkten, daß der Krieg nicht
mehr für ihr Interesse, sondern nur noch für das russische geführt werden sollte,
gingen sie ohne Verzug auseinander. Als später die Tartarenauswanderung
aus der Krim stattfand, gab sich die russische Regierung große Mühe, das men¬
schenleere Land mit Bulgaren aus den türkischen Provinzen zu besiedeln, wobei
ihr zu Statten kam, daß sie auf ältere Bulgarencolonien der Halbinsel hinweisen
konnte, die wohlgediehen waren. Massen meiner Landsleute ließen sich gewin¬
nen, als sie aber an Ort und Stelle ankamen und fanden, daß jene Bulgaren
nicht mehr bulgarisch, sondern russisch sprachen, kehrten sie fast ohne Ausnahme
wieder heim. Endlich ist zu erwähnen, daß, seit wir erfahren haben, daß Ru߬
land in Konstantinopel die griechische Partei unterstützt, der russische Einfluß
bei uns beinahe allenthalben aufgehört hat.

Wir Bulgaren haben ganz wie unsre serbischen Freunde sehr gute Gründe,
nicht an Rußland fallen zu wollen. Wir streben nach Selbständigkeit, nach
freier Entwickelungsbahn für unsre Talente. Wir wissen, was es bedeutet, unter
einer Weltherrschaft zu stehen, wir haben durchaus keine Neigung, unsre Be¬
strebungen von Befehlen aus Petersburg durchkreuzen, uns von kaiserlichen
Generaladjutanten dictiren zu lassen, was Recht ist, wir kennen das russische
Tschinownikwesen zur Genüge. Es ist uns nicht entfernt darum zu thun, blos
den Gebieter zu wechseln. Im Gegentheil, so lange wir unter türkischem Joch
schmachten, haben wir Hoffnung, uns einmal zu befreien und unsrer Nationa¬
lität in Gemeinschaft mit den Serben staatliche Gestalt zu geben. Sind wir
eine russische Provinz geworden, so ist es damit zu Ende, nach wenigen Jahr¬
zehnten wären wir in Russen umgewandelt.

Ja aber, der Panslavismus, sagt man, wenn der nicht wäre! Der
Panslavismus die Vereinigung aller slavischen Stämme unter der russischen
Krone ist. so viel ich weiß, eine von verdrehten Köpfen in Böhmen erfundene,
in Wien zum Schreckbild für das übrige Europa großgezogne Phantasterei,
an die du uns ebenfalls nur ein paar verdrehte Köpfe glauben, die sich nie
realisiren wird, die schon durch das Verhältniß Polens zu Rußland für alle
Verständigen widerlegt wird. Das deutsche Volk, welches Eine Sprache und
Literatur innig verbindet, welches dicht beisammen wohnt, hat sich bis jetzt
nicht unter Einem Herrscher vereinigen können, und die Slaven, die in Nord
und Süd zerstreut sind, deren Sprachen wohl ähnlich, aber doch so verschieden
sind, daß die einzelnen Stämme sich theils gar nicht, theils nur schwer einander
verständlich machen können, diese Slavenstämme, sage ich, von denen jeder seine
eigne Geschichte und Literatur, seine eignen Sitten, Gebräuche und Bestrebun¬
gen hat, sie sollten sich unter einen Hut bringen lassen?

Ist dies aller menschlichen Berechnung nach unmöglich, so ist dagegen ein


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[0479] das Heer in Bulgarien einmarschirt sein würde. Als die Russen sich nach Bess- arabien zurückzogen und diese Hülfstruppen bemerkten, daß der Krieg nicht mehr für ihr Interesse, sondern nur noch für das russische geführt werden sollte, gingen sie ohne Verzug auseinander. Als später die Tartarenauswanderung aus der Krim stattfand, gab sich die russische Regierung große Mühe, das men¬ schenleere Land mit Bulgaren aus den türkischen Provinzen zu besiedeln, wobei ihr zu Statten kam, daß sie auf ältere Bulgarencolonien der Halbinsel hinweisen konnte, die wohlgediehen waren. Massen meiner Landsleute ließen sich gewin¬ nen, als sie aber an Ort und Stelle ankamen und fanden, daß jene Bulgaren nicht mehr bulgarisch, sondern russisch sprachen, kehrten sie fast ohne Ausnahme wieder heim. Endlich ist zu erwähnen, daß, seit wir erfahren haben, daß Ru߬ land in Konstantinopel die griechische Partei unterstützt, der russische Einfluß bei uns beinahe allenthalben aufgehört hat. Wir Bulgaren haben ganz wie unsre serbischen Freunde sehr gute Gründe, nicht an Rußland fallen zu wollen. Wir streben nach Selbständigkeit, nach freier Entwickelungsbahn für unsre Talente. Wir wissen, was es bedeutet, unter einer Weltherrschaft zu stehen, wir haben durchaus keine Neigung, unsre Be¬ strebungen von Befehlen aus Petersburg durchkreuzen, uns von kaiserlichen Generaladjutanten dictiren zu lassen, was Recht ist, wir kennen das russische Tschinownikwesen zur Genüge. Es ist uns nicht entfernt darum zu thun, blos den Gebieter zu wechseln. Im Gegentheil, so lange wir unter türkischem Joch schmachten, haben wir Hoffnung, uns einmal zu befreien und unsrer Nationa¬ lität in Gemeinschaft mit den Serben staatliche Gestalt zu geben. Sind wir eine russische Provinz geworden, so ist es damit zu Ende, nach wenigen Jahr¬ zehnten wären wir in Russen umgewandelt. Ja aber, der Panslavismus, sagt man, wenn der nicht wäre! Der Panslavismus die Vereinigung aller slavischen Stämme unter der russischen Krone ist. so viel ich weiß, eine von verdrehten Köpfen in Böhmen erfundene, in Wien zum Schreckbild für das übrige Europa großgezogne Phantasterei, an die du uns ebenfalls nur ein paar verdrehte Köpfe glauben, die sich nie realisiren wird, die schon durch das Verhältniß Polens zu Rußland für alle Verständigen widerlegt wird. Das deutsche Volk, welches Eine Sprache und Literatur innig verbindet, welches dicht beisammen wohnt, hat sich bis jetzt nicht unter Einem Herrscher vereinigen können, und die Slaven, die in Nord und Süd zerstreut sind, deren Sprachen wohl ähnlich, aber doch so verschieden sind, daß die einzelnen Stämme sich theils gar nicht, theils nur schwer einander verständlich machen können, diese Slavenstämme, sage ich, von denen jeder seine eigne Geschichte und Literatur, seine eignen Sitten, Gebräuche und Bestrebun¬ gen hat, sie sollten sich unter einen Hut bringen lassen? Ist dies aller menschlichen Berechnung nach unmöglich, so ist dagegen ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/479>, abgerufen am 29.08.2024.