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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Pruth in die Donau, und die 185" oft genannte hübsche Stadt Bolgrad ge¬
hört zu ihren Kolonien. In der Dobrudscha nehmen sie einen bedeutenden
Theil der östlichen Hälfte, weiter im Süden das Küstenland zwischen Irlend-
schik und Kalije Koi ein, und noch weiter unten findet man Ansiedelungen von
ihnen bei Varna und am obern Kamtschik.

Die Bulgaren sind wesentlich Ackerbauer, geschickt als Gärtner, im All¬
gemeinen friedlichen Charakters. Häufig trifft man unter ihnen Leute von
kräftigem Wuchs, nicht selten intelligente Gesichtszüge, allen wird große Ehr¬
lichkeit nachgerühmt. Dem Glauben nach gehören sie mit sehr geringen Aus¬
nahmen, von denen später die Rede sein soll, der morgenländischen orthodoxen
Kirche an. Ihre Gesammtzahl wird gewöhnlich auf etwa vier Millionen an¬
gegeben, überstiege aber nach der Meinung unsres Berichterstatters diese An¬
gabe um mindestens zwei Millionen.

Die Bulgaren gehörten in der Zeit, wo sie ein eignes Reich und eine
Geschichte hatten, zu den angesehensten und mächtigsten Völkern der illyrischen
Halbinsel. Ihr Kaiser Simeon machte sich im zehnten Jahrhundert durch seine
Siege nicht nur die Mehrzahl der benachbarten Völkerschaften zinspflichtig,
sondern drang dreimal mit Heeresmacht bis Konstantinopel vor, sah hier den
Nachfolger der Cäsaren zu seinen Füßen und dictirre ihm unter den Mauern
seiner eignen Hauptstadt demüthigende Friedensbedingungen. Die spätern Be¬
herrscher Bulgariens vermochten diese Höhe der Macht nicht zu behaupten.
Allerdings war Byzanz nicht im Stande, gegen sie mit den Waffen in die
Schranken zu treten, aber was sein Schwert nicht erzwang, erheblich seine Po¬
litik. Man verstand es, die Bulgaren in Kriege mit Nüssen, Serben. Wala-
chen und Ungarn zu verwickeln, man säete Zwietracht im Innern, und so ge¬
schah es, daß das geschwächte Reich, als unter der Regierung Czar SusmanS
die Türken über Gallipoli gegen dasselbe anstürmten, nach kurzem tapfern
Widerstand erlag, und das Volk (1392) seine Unabhängigkeit mit dem Joch
der Knechtschaft vertauschte, das es noch heute trägt.

Einen großen Theil der Schuld, daß die Bulgaren dieses Joch bis auf
die neue Zeit nicht abzuschütteln vermochten, tragen die Griechen von Kon¬
stantinopel und namentlich deren hohe Geistlichkeit, die sich seit Jahrhunderten
von den Türken gegen gute Pfründen brauchen ließ, jeden Gedanken an na¬
tionales Wesen und jedes Aufstreben zur Cultur zu ersticken. Vom Fanar
kam, wie den Rumänen, so auch den Bulgaren mindestens ebenso viel Unheil
als von den Türken, und so erklärt fich's, wenn das Volk und namentlich die,
welche jetzt an einer patriotischen Erhebung arbeiten, gegen diese griechischen
Glaubensbrüder einen nicht weniger brennenden Haß hegen .als gegen die Be¬
drücker im Turban. "Die Fanarioten," sagt unsre Quelle, "wollen wissen, daß
der Name Feuer (türkisch: Laterne) eine Leuchte bedeute; die Türken dagegen


Pruth in die Donau, und die 185« oft genannte hübsche Stadt Bolgrad ge¬
hört zu ihren Kolonien. In der Dobrudscha nehmen sie einen bedeutenden
Theil der östlichen Hälfte, weiter im Süden das Küstenland zwischen Irlend-
schik und Kalije Koi ein, und noch weiter unten findet man Ansiedelungen von
ihnen bei Varna und am obern Kamtschik.

Die Bulgaren sind wesentlich Ackerbauer, geschickt als Gärtner, im All¬
gemeinen friedlichen Charakters. Häufig trifft man unter ihnen Leute von
kräftigem Wuchs, nicht selten intelligente Gesichtszüge, allen wird große Ehr¬
lichkeit nachgerühmt. Dem Glauben nach gehören sie mit sehr geringen Aus¬
nahmen, von denen später die Rede sein soll, der morgenländischen orthodoxen
Kirche an. Ihre Gesammtzahl wird gewöhnlich auf etwa vier Millionen an¬
gegeben, überstiege aber nach der Meinung unsres Berichterstatters diese An¬
gabe um mindestens zwei Millionen.

Die Bulgaren gehörten in der Zeit, wo sie ein eignes Reich und eine
Geschichte hatten, zu den angesehensten und mächtigsten Völkern der illyrischen
Halbinsel. Ihr Kaiser Simeon machte sich im zehnten Jahrhundert durch seine
Siege nicht nur die Mehrzahl der benachbarten Völkerschaften zinspflichtig,
sondern drang dreimal mit Heeresmacht bis Konstantinopel vor, sah hier den
Nachfolger der Cäsaren zu seinen Füßen und dictirre ihm unter den Mauern
seiner eignen Hauptstadt demüthigende Friedensbedingungen. Die spätern Be¬
herrscher Bulgariens vermochten diese Höhe der Macht nicht zu behaupten.
Allerdings war Byzanz nicht im Stande, gegen sie mit den Waffen in die
Schranken zu treten, aber was sein Schwert nicht erzwang, erheblich seine Po¬
litik. Man verstand es, die Bulgaren in Kriege mit Nüssen, Serben. Wala-
chen und Ungarn zu verwickeln, man säete Zwietracht im Innern, und so ge¬
schah es, daß das geschwächte Reich, als unter der Regierung Czar SusmanS
die Türken über Gallipoli gegen dasselbe anstürmten, nach kurzem tapfern
Widerstand erlag, und das Volk (1392) seine Unabhängigkeit mit dem Joch
der Knechtschaft vertauschte, das es noch heute trägt.

Einen großen Theil der Schuld, daß die Bulgaren dieses Joch bis auf
die neue Zeit nicht abzuschütteln vermochten, tragen die Griechen von Kon¬
stantinopel und namentlich deren hohe Geistlichkeit, die sich seit Jahrhunderten
von den Türken gegen gute Pfründen brauchen ließ, jeden Gedanken an na¬
tionales Wesen und jedes Aufstreben zur Cultur zu ersticken. Vom Fanar
kam, wie den Rumänen, so auch den Bulgaren mindestens ebenso viel Unheil
als von den Türken, und so erklärt fich's, wenn das Volk und namentlich die,
welche jetzt an einer patriotischen Erhebung arbeiten, gegen diese griechischen
Glaubensbrüder einen nicht weniger brennenden Haß hegen .als gegen die Be¬
drücker im Turban. „Die Fanarioten," sagt unsre Quelle, „wollen wissen, daß
der Name Feuer (türkisch: Laterne) eine Leuchte bedeute; die Türken dagegen


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[0472] Pruth in die Donau, und die 185« oft genannte hübsche Stadt Bolgrad ge¬ hört zu ihren Kolonien. In der Dobrudscha nehmen sie einen bedeutenden Theil der östlichen Hälfte, weiter im Süden das Küstenland zwischen Irlend- schik und Kalije Koi ein, und noch weiter unten findet man Ansiedelungen von ihnen bei Varna und am obern Kamtschik. Die Bulgaren sind wesentlich Ackerbauer, geschickt als Gärtner, im All¬ gemeinen friedlichen Charakters. Häufig trifft man unter ihnen Leute von kräftigem Wuchs, nicht selten intelligente Gesichtszüge, allen wird große Ehr¬ lichkeit nachgerühmt. Dem Glauben nach gehören sie mit sehr geringen Aus¬ nahmen, von denen später die Rede sein soll, der morgenländischen orthodoxen Kirche an. Ihre Gesammtzahl wird gewöhnlich auf etwa vier Millionen an¬ gegeben, überstiege aber nach der Meinung unsres Berichterstatters diese An¬ gabe um mindestens zwei Millionen. Die Bulgaren gehörten in der Zeit, wo sie ein eignes Reich und eine Geschichte hatten, zu den angesehensten und mächtigsten Völkern der illyrischen Halbinsel. Ihr Kaiser Simeon machte sich im zehnten Jahrhundert durch seine Siege nicht nur die Mehrzahl der benachbarten Völkerschaften zinspflichtig, sondern drang dreimal mit Heeresmacht bis Konstantinopel vor, sah hier den Nachfolger der Cäsaren zu seinen Füßen und dictirre ihm unter den Mauern seiner eignen Hauptstadt demüthigende Friedensbedingungen. Die spätern Be¬ herrscher Bulgariens vermochten diese Höhe der Macht nicht zu behaupten. Allerdings war Byzanz nicht im Stande, gegen sie mit den Waffen in die Schranken zu treten, aber was sein Schwert nicht erzwang, erheblich seine Po¬ litik. Man verstand es, die Bulgaren in Kriege mit Nüssen, Serben. Wala- chen und Ungarn zu verwickeln, man säete Zwietracht im Innern, und so ge¬ schah es, daß das geschwächte Reich, als unter der Regierung Czar SusmanS die Türken über Gallipoli gegen dasselbe anstürmten, nach kurzem tapfern Widerstand erlag, und das Volk (1392) seine Unabhängigkeit mit dem Joch der Knechtschaft vertauschte, das es noch heute trägt. Einen großen Theil der Schuld, daß die Bulgaren dieses Joch bis auf die neue Zeit nicht abzuschütteln vermochten, tragen die Griechen von Kon¬ stantinopel und namentlich deren hohe Geistlichkeit, die sich seit Jahrhunderten von den Türken gegen gute Pfründen brauchen ließ, jeden Gedanken an na¬ tionales Wesen und jedes Aufstreben zur Cultur zu ersticken. Vom Fanar kam, wie den Rumänen, so auch den Bulgaren mindestens ebenso viel Unheil als von den Türken, und so erklärt fich's, wenn das Volk und namentlich die, welche jetzt an einer patriotischen Erhebung arbeiten, gegen diese griechischen Glaubensbrüder einen nicht weniger brennenden Haß hegen .als gegen die Be¬ drücker im Turban. „Die Fanarioten," sagt unsre Quelle, „wollen wissen, daß der Name Feuer (türkisch: Laterne) eine Leuchte bedeute; die Türken dagegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/472>, abgerufen am 29.08.2024.