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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Sprache, der Sitte und des Glaubens alle Bürgschaften der Kraft und der
Haltbarkeit böte.

Was uns über die Dinge und Ereignisse in den Ländern am Ausfluß der
Donau und am Balkan durch die Presse bekannt wird, kommt uns in der Re¬
gel über Wien zu, wo man ein sehr begreifliches Interesse hat, den betreffen¬
den Nachrichten und Urtheilen eine andere als die ursprüngliche Farbe zu ge¬
ben, nach Umständen auch Erfindungen zu verbreiten, die das vollständige
Gegentheil der Wahrheit sind. So herrschen mancherlei falsche Meinungen
über den Charakter, die Bildungsstufe und die Stimmungen der südslavischen
Stämme, die wir im Borigen als die wichtigsten bezeichneten, sowie über die
Gründe, aus denen sie mit ihren jetzigen Zuständen unzufrieden und stets im Be¬
griff sind, sich gegen die Türken zu erheben. Ueber die Griechen sind wir mock>
am besten unterrichtet, über die neueste serbische Bewegung schon weniger ge¬
nau. Ueber die Bulgaren endlich, die durch ihre Zahl eines der wichtigsten
Elemente der kommenden Revolution im Pfortenreich bilden werden, sobald
sie erst ganz in dieselbe gezogen sind, hat man in Deutschland nur dürf¬
tige und unklare Vorstellungen, und so glauben diese Blätter einen nicht wert¬
losen Beitrag zum Verständniß der Zustände auf her illyrischen Halbinsel zu
liefern, wenn sie im Folgenden nach den Mittheilungen eines Angehörigen die¬
ser Nation über deren Charakter, deren Leiden unter der Türkenherrscbaft und
über deren Hoffnungen Ausführliches berichten.

Die Bulgaren sind ein Volk finnischen Stammes, das gegen das Ende
der Völkerwanderung von der Wolga nach Moslem zog, hier schon im neunten
Jahrhundert nach Christus südslavische Sitte und Sprache annahm und jetzt in
seinem Habitus fast gar nicht von seinen nördlichen Nachbarn, den Serben,
verschieden ist. Gegenwärtig ist das Gebiet, wo dieser Volksstamm am dich¬
testen sitzt, nahezu umschrieben durch die Donau, den Tinot und eine Linie,
welche durch die Städte Alexinaß (nordwestlich von Risch) Barja, Tirgowitza
Prisrend. Ochrida, Kastoria, Niausta, Salonik. Adrianopel, Siseboli und
(nach starker Einbiegung gegen Westen hin) auf das fünf Meilen dvnau-
abwärts von Rustschuk gelegene Baba zuläuft. Innerhalb dieser Grenzen, die,
wie man sieht, weit über das eigentliche Bulgarien hinausgehen"), liegen zwar
viele, zum Theil ziemlich große türkische Ansiedelungen, aber außerhalb unsrer
Linie gibt es dafür wieder eine bedeutende Anzahl von Vorposten oder Trüm¬
mern der bulgarischen Race unter Albanesen, Griechen, Türken, in der Wala¬
chei, der Dobrudscha und Bessarabien. Im letztgenannten Lande wohnen sie
in starken Massen an den drei großen Seen östlich von der Mündung des



*) Unter Andern, ist fast ganz Macedonien von Bulgar"" bewohnt.

Sprache, der Sitte und des Glaubens alle Bürgschaften der Kraft und der
Haltbarkeit böte.

Was uns über die Dinge und Ereignisse in den Ländern am Ausfluß der
Donau und am Balkan durch die Presse bekannt wird, kommt uns in der Re¬
gel über Wien zu, wo man ein sehr begreifliches Interesse hat, den betreffen¬
den Nachrichten und Urtheilen eine andere als die ursprüngliche Farbe zu ge¬
ben, nach Umständen auch Erfindungen zu verbreiten, die das vollständige
Gegentheil der Wahrheit sind. So herrschen mancherlei falsche Meinungen
über den Charakter, die Bildungsstufe und die Stimmungen der südslavischen
Stämme, die wir im Borigen als die wichtigsten bezeichneten, sowie über die
Gründe, aus denen sie mit ihren jetzigen Zuständen unzufrieden und stets im Be¬
griff sind, sich gegen die Türken zu erheben. Ueber die Griechen sind wir mock>
am besten unterrichtet, über die neueste serbische Bewegung schon weniger ge¬
nau. Ueber die Bulgaren endlich, die durch ihre Zahl eines der wichtigsten
Elemente der kommenden Revolution im Pfortenreich bilden werden, sobald
sie erst ganz in dieselbe gezogen sind, hat man in Deutschland nur dürf¬
tige und unklare Vorstellungen, und so glauben diese Blätter einen nicht wert¬
losen Beitrag zum Verständniß der Zustände auf her illyrischen Halbinsel zu
liefern, wenn sie im Folgenden nach den Mittheilungen eines Angehörigen die¬
ser Nation über deren Charakter, deren Leiden unter der Türkenherrscbaft und
über deren Hoffnungen Ausführliches berichten.

Die Bulgaren sind ein Volk finnischen Stammes, das gegen das Ende
der Völkerwanderung von der Wolga nach Moslem zog, hier schon im neunten
Jahrhundert nach Christus südslavische Sitte und Sprache annahm und jetzt in
seinem Habitus fast gar nicht von seinen nördlichen Nachbarn, den Serben,
verschieden ist. Gegenwärtig ist das Gebiet, wo dieser Volksstamm am dich¬
testen sitzt, nahezu umschrieben durch die Donau, den Tinot und eine Linie,
welche durch die Städte Alexinaß (nordwestlich von Risch) Barja, Tirgowitza
Prisrend. Ochrida, Kastoria, Niausta, Salonik. Adrianopel, Siseboli und
(nach starker Einbiegung gegen Westen hin) auf das fünf Meilen dvnau-
abwärts von Rustschuk gelegene Baba zuläuft. Innerhalb dieser Grenzen, die,
wie man sieht, weit über das eigentliche Bulgarien hinausgehen"), liegen zwar
viele, zum Theil ziemlich große türkische Ansiedelungen, aber außerhalb unsrer
Linie gibt es dafür wieder eine bedeutende Anzahl von Vorposten oder Trüm¬
mern der bulgarischen Race unter Albanesen, Griechen, Türken, in der Wala¬
chei, der Dobrudscha und Bessarabien. Im letztgenannten Lande wohnen sie
in starken Massen an den drei großen Seen östlich von der Mündung des



*) Unter Andern, ist fast ganz Macedonien von Bulgar«» bewohnt.
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[0471] Sprache, der Sitte und des Glaubens alle Bürgschaften der Kraft und der Haltbarkeit böte. Was uns über die Dinge und Ereignisse in den Ländern am Ausfluß der Donau und am Balkan durch die Presse bekannt wird, kommt uns in der Re¬ gel über Wien zu, wo man ein sehr begreifliches Interesse hat, den betreffen¬ den Nachrichten und Urtheilen eine andere als die ursprüngliche Farbe zu ge¬ ben, nach Umständen auch Erfindungen zu verbreiten, die das vollständige Gegentheil der Wahrheit sind. So herrschen mancherlei falsche Meinungen über den Charakter, die Bildungsstufe und die Stimmungen der südslavischen Stämme, die wir im Borigen als die wichtigsten bezeichneten, sowie über die Gründe, aus denen sie mit ihren jetzigen Zuständen unzufrieden und stets im Be¬ griff sind, sich gegen die Türken zu erheben. Ueber die Griechen sind wir mock> am besten unterrichtet, über die neueste serbische Bewegung schon weniger ge¬ nau. Ueber die Bulgaren endlich, die durch ihre Zahl eines der wichtigsten Elemente der kommenden Revolution im Pfortenreich bilden werden, sobald sie erst ganz in dieselbe gezogen sind, hat man in Deutschland nur dürf¬ tige und unklare Vorstellungen, und so glauben diese Blätter einen nicht wert¬ losen Beitrag zum Verständniß der Zustände auf her illyrischen Halbinsel zu liefern, wenn sie im Folgenden nach den Mittheilungen eines Angehörigen die¬ ser Nation über deren Charakter, deren Leiden unter der Türkenherrscbaft und über deren Hoffnungen Ausführliches berichten. Die Bulgaren sind ein Volk finnischen Stammes, das gegen das Ende der Völkerwanderung von der Wolga nach Moslem zog, hier schon im neunten Jahrhundert nach Christus südslavische Sitte und Sprache annahm und jetzt in seinem Habitus fast gar nicht von seinen nördlichen Nachbarn, den Serben, verschieden ist. Gegenwärtig ist das Gebiet, wo dieser Volksstamm am dich¬ testen sitzt, nahezu umschrieben durch die Donau, den Tinot und eine Linie, welche durch die Städte Alexinaß (nordwestlich von Risch) Barja, Tirgowitza Prisrend. Ochrida, Kastoria, Niausta, Salonik. Adrianopel, Siseboli und (nach starker Einbiegung gegen Westen hin) auf das fünf Meilen dvnau- abwärts von Rustschuk gelegene Baba zuläuft. Innerhalb dieser Grenzen, die, wie man sieht, weit über das eigentliche Bulgarien hinausgehen"), liegen zwar viele, zum Theil ziemlich große türkische Ansiedelungen, aber außerhalb unsrer Linie gibt es dafür wieder eine bedeutende Anzahl von Vorposten oder Trüm¬ mern der bulgarischen Race unter Albanesen, Griechen, Türken, in der Wala¬ chei, der Dobrudscha und Bessarabien. Im letztgenannten Lande wohnen sie in starken Massen an den drei großen Seen östlich von der Mündung des *) Unter Andern, ist fast ganz Macedonien von Bulgar«» bewohnt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/471>, abgerufen am 28.08.2024.