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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Daß die Militärpflicht eine allgemeine sei, ist ein Grundsatz, der durch¬
gängig anerkannt wird, dem wohl alle beipflichten.

Die Ausführung der allgemeinen Dienstpflicht, die Dienstleistung, kann
jedoch nicht durchgängig für alle gleichmäßig durchgeführt werden, ohne zu
großen Härten, selbst Ungerechtigkeiten Veranlassung zu geben, dem Geiste unserer
aus jungen Männern aller Stände bestehenden Armee verderblich zu sein.
Dienstpflicht und Dienstleistung sind keineswegs gleichbedeutend. Die jetzigen
Armeen, die neuere Art der Kriegführung erfordern einen höheren Grad von
Intelligenz, erheischen mehr Patriotismus und Ehrgefühl als die früheren Er¬
gänzungsarten, das Cantonsystem und die Werbungen sowohl wie die Con-
scription gewähren konnten.

Nicht allein die früheren mittelalterlichen Ansichten über Hörigkeit und
Lehnspflicht, sondern auch der Glaube, daß der Landmann allein der tüchtigste
Soldat sei, daß der junge Bauerbursche durch Abhärtung und körperliche Kraft
der zum Dienst in der Garnison und im Felde geeignetste sei (ersterer leider
fast allenthalben als Hauptsache angesehen) hat seinen Einfluß bis zum heutigen
Tage bemerklich gemacht.

So lange die Ausbildung des Soldaten allein durch das Dritten erreicht
ward, so lange der Frontmarsch, das Paradedesiliren, das Scharfschultern
die Hauptsache, mochte dieses Princip seine Anwendung finden.

Jetzt aber verlangt man gutes Schießen, Benutzung des Terrains von jedem
Einzelnen, rasches Vorgehen im Lauf -- mithin genügen die körperlichen Kräfte
nicht mehr ausschließlich.

Die jetzige Art der Aushebung, die Conscription, führt zu der großartigen
Inconsequenz, daß einerseits die Söhne der gebildeten Classen möglichst jwenig
zur Erfüllung ihrer Dienstpflicht herbeigezogen werden, andrerseits die Dienst
leistung viel schwerer auf ihnen ruht, als auf den Söhnen der arbeitenden
Classen. In mehren Armeen hat man, wohl um den Unteroffizieren-
eine jedenfalls wünschenswerte Soldzulage durch fremdes Geld zu ermög¬
lichen, das System der Stellvertretung oder der Einstehergelder eingeführt,
bedenkt ! jedoch nicht, daß nur reiche Väter mehre Söhne freilaufen können,
daß für jeden Stellvertreter ein gebildeter junger Mann weniger in der Armee
dient und daß im nächstfolgenden Jahre ein Recrut mehr ausgehoben wer¬
den muß.

Eine durchgreifende, auf das Wohl der Armee und des ganzen Landes be¬
rechnete, den ungeheuren Unkosten der jetzigen Armeen entsprechende Organisa¬
tion muß mit dem ehemaligen Recrutirungssystem völlig brechen, muß das
Princip annehmen, vorzugsweise die gebildeten Classen zum Dienst heranzuziehen.
In Preußen war man durch die den Freiwilligen ertheilte Befugniß, mit ein¬
jähriger Dienstzeit die Dienstpflicht erfüllen zu können, aus bestem Wege, eine


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Daß die Militärpflicht eine allgemeine sei, ist ein Grundsatz, der durch¬
gängig anerkannt wird, dem wohl alle beipflichten.

Die Ausführung der allgemeinen Dienstpflicht, die Dienstleistung, kann
jedoch nicht durchgängig für alle gleichmäßig durchgeführt werden, ohne zu
großen Härten, selbst Ungerechtigkeiten Veranlassung zu geben, dem Geiste unserer
aus jungen Männern aller Stände bestehenden Armee verderblich zu sein.
Dienstpflicht und Dienstleistung sind keineswegs gleichbedeutend. Die jetzigen
Armeen, die neuere Art der Kriegführung erfordern einen höheren Grad von
Intelligenz, erheischen mehr Patriotismus und Ehrgefühl als die früheren Er¬
gänzungsarten, das Cantonsystem und die Werbungen sowohl wie die Con-
scription gewähren konnten.

Nicht allein die früheren mittelalterlichen Ansichten über Hörigkeit und
Lehnspflicht, sondern auch der Glaube, daß der Landmann allein der tüchtigste
Soldat sei, daß der junge Bauerbursche durch Abhärtung und körperliche Kraft
der zum Dienst in der Garnison und im Felde geeignetste sei (ersterer leider
fast allenthalben als Hauptsache angesehen) hat seinen Einfluß bis zum heutigen
Tage bemerklich gemacht.

So lange die Ausbildung des Soldaten allein durch das Dritten erreicht
ward, so lange der Frontmarsch, das Paradedesiliren, das Scharfschultern
die Hauptsache, mochte dieses Princip seine Anwendung finden.

Jetzt aber verlangt man gutes Schießen, Benutzung des Terrains von jedem
Einzelnen, rasches Vorgehen im Lauf — mithin genügen die körperlichen Kräfte
nicht mehr ausschließlich.

Die jetzige Art der Aushebung, die Conscription, führt zu der großartigen
Inconsequenz, daß einerseits die Söhne der gebildeten Classen möglichst jwenig
zur Erfüllung ihrer Dienstpflicht herbeigezogen werden, andrerseits die Dienst
leistung viel schwerer auf ihnen ruht, als auf den Söhnen der arbeitenden
Classen. In mehren Armeen hat man, wohl um den Unteroffizieren-
eine jedenfalls wünschenswerte Soldzulage durch fremdes Geld zu ermög¬
lichen, das System der Stellvertretung oder der Einstehergelder eingeführt,
bedenkt ! jedoch nicht, daß nur reiche Väter mehre Söhne freilaufen können,
daß für jeden Stellvertreter ein gebildeter junger Mann weniger in der Armee
dient und daß im nächstfolgenden Jahre ein Recrut mehr ausgehoben wer¬
den muß.

Eine durchgreifende, auf das Wohl der Armee und des ganzen Landes be¬
rechnete, den ungeheuren Unkosten der jetzigen Armeen entsprechende Organisa¬
tion muß mit dem ehemaligen Recrutirungssystem völlig brechen, muß das
Princip annehmen, vorzugsweise die gebildeten Classen zum Dienst heranzuziehen.
In Preußen war man durch die den Freiwilligen ertheilte Befugniß, mit ein¬
jähriger Dienstzeit die Dienstpflicht erfüllen zu können, aus bestem Wege, eine


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[0459] Daß die Militärpflicht eine allgemeine sei, ist ein Grundsatz, der durch¬ gängig anerkannt wird, dem wohl alle beipflichten. Die Ausführung der allgemeinen Dienstpflicht, die Dienstleistung, kann jedoch nicht durchgängig für alle gleichmäßig durchgeführt werden, ohne zu großen Härten, selbst Ungerechtigkeiten Veranlassung zu geben, dem Geiste unserer aus jungen Männern aller Stände bestehenden Armee verderblich zu sein. Dienstpflicht und Dienstleistung sind keineswegs gleichbedeutend. Die jetzigen Armeen, die neuere Art der Kriegführung erfordern einen höheren Grad von Intelligenz, erheischen mehr Patriotismus und Ehrgefühl als die früheren Er¬ gänzungsarten, das Cantonsystem und die Werbungen sowohl wie die Con- scription gewähren konnten. Nicht allein die früheren mittelalterlichen Ansichten über Hörigkeit und Lehnspflicht, sondern auch der Glaube, daß der Landmann allein der tüchtigste Soldat sei, daß der junge Bauerbursche durch Abhärtung und körperliche Kraft der zum Dienst in der Garnison und im Felde geeignetste sei (ersterer leider fast allenthalben als Hauptsache angesehen) hat seinen Einfluß bis zum heutigen Tage bemerklich gemacht. So lange die Ausbildung des Soldaten allein durch das Dritten erreicht ward, so lange der Frontmarsch, das Paradedesiliren, das Scharfschultern die Hauptsache, mochte dieses Princip seine Anwendung finden. Jetzt aber verlangt man gutes Schießen, Benutzung des Terrains von jedem Einzelnen, rasches Vorgehen im Lauf — mithin genügen die körperlichen Kräfte nicht mehr ausschließlich. Die jetzige Art der Aushebung, die Conscription, führt zu der großartigen Inconsequenz, daß einerseits die Söhne der gebildeten Classen möglichst jwenig zur Erfüllung ihrer Dienstpflicht herbeigezogen werden, andrerseits die Dienst leistung viel schwerer auf ihnen ruht, als auf den Söhnen der arbeitenden Classen. In mehren Armeen hat man, wohl um den Unteroffizieren- eine jedenfalls wünschenswerte Soldzulage durch fremdes Geld zu ermög¬ lichen, das System der Stellvertretung oder der Einstehergelder eingeführt, bedenkt ! jedoch nicht, daß nur reiche Väter mehre Söhne freilaufen können, daß für jeden Stellvertreter ein gebildeter junger Mann weniger in der Armee dient und daß im nächstfolgenden Jahre ein Recrut mehr ausgehoben wer¬ den muß. Eine durchgreifende, auf das Wohl der Armee und des ganzen Landes be¬ rechnete, den ungeheuren Unkosten der jetzigen Armeen entsprechende Organisa¬ tion muß mit dem ehemaligen Recrutirungssystem völlig brechen, muß das Princip annehmen, vorzugsweise die gebildeten Classen zum Dienst heranzuziehen. In Preußen war man durch die den Freiwilligen ertheilte Befugniß, mit ein¬ jähriger Dienstzeit die Dienstpflicht erfüllen zu können, aus bestem Wege, eine 57*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/459>, abgerufen am 27.08.2024.