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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Die einzige wahrhaft volkstümliche Errungenschaft aus der denkwürdigen
Zeit der Freiheitskriege ward zuerst in der preußischen, nach und nach in den
meisten deutschen Armeen eingeführt, die kurze Dienstzeit: eine Errungenschaft,
auf die wir Deutsche stolz sein können, die wir der Tapferkeit der Landwehr
und der Freiwilligen zu verdanken haben und die durch das wohlberechnete
Krempelsystem des General Scharnhorst vorbereitet worden, die jedoch noth¬
wendigerweise, der ursprünglichen Organisation gemäß, mit einer aus kräf¬
tigen, wohleingeübten Leuten gebildeten Landwehr verbunden sein muß. Diese
Errungenschaft hat man neuerdings, nachdem schon geraume Zeit die Land¬
wehr, die Reserve der Linie, vernachlässigt, möglichst geschmälert und auf¬
gehoben, indem man die Dienstzeit verlängerte. Auf Unkosten der Landwehr
hat man die Friedensbataillone verstärkt und glaubt damit die Armee selbst
verstärkt zu haben.

Weit verbreitet ist diesseits der Ardennen und der Vogesen die Ansicht:
"der französische Infanterist sei der Soldat xar gxesllsnes". Derselbe bedarf
aber, nach dem einstimmigen Urtheil kriegserfahrener französischer Marschälle,
voller sieben Jahre und einer sehr strengen Gesetzgebung (die im Dienste selbst
körperliche Strafen erlaubt, freilich nicht so barbarische Bestrafungen kennt, wie
in der englischen und der russischen Armee gebräuchlich sind) um ein tüchtiger
Soldat zu werden und den militärischen Geist in den Regimentern nicht ver¬
schwinden zu lassen. Der jetzige Kaiser bietet serner alles auf, meist wohl
aus politischen Gründen, um die Zahl der Recapitulanten zu vermehren, einen
Stamm von Veteranen sich zu bilden, bestimmt, im eigenen Lande, ihm dem
Kaiser völlig ergebene Prätorianer, im fremden Lande eine raub- und blut¬
gierige Soldateska zu erziehen, die nothwendig dem eigenen Lande beschwerlich,
der Negierung selbst endlich gefährlich werden muß, eine kostspielige und ver¬
derbliche Last, von der Frankreich dereinst nur durch einen Winterfeldzug, wie
der in Rußland befreit werden kann.

Der so kaltblütige wie unerschrockene englische Soldat ist einer Kapitula¬
tion Von acht bis zehn Jahren unterworfen, kennt keine Beurlaubung.

Vom russischen Soldaten verlangte man bis vor wenig Jahren eine Dienst¬
zeit von fünfundzwanzig, jetzt nur noch von zwölf Jahren, um die eisernen
Mauern der russischen Regimenter einzuschulen.

Nur wir Deutsche leben der Hoffnung, eine Armee aus jungen Männern
zu bilden, die nur zwei bis drei Jahre unter ihren Fahnen versammelt sind,
und glauben durch eine milde und humane, a^is das Ehrgefühl des Soldaten
berechnete Gesetzgebung die Kriegszucht aufrecht erhalten zu können.

Daher bedürfen wir aber auch einer von der auf längere Dienstzeit berech¬
neten Organisation abweichenden. Recrutirungsgesetzgebung, das geistige Element
muß bei uns das vorwiegende sein.


Die einzige wahrhaft volkstümliche Errungenschaft aus der denkwürdigen
Zeit der Freiheitskriege ward zuerst in der preußischen, nach und nach in den
meisten deutschen Armeen eingeführt, die kurze Dienstzeit: eine Errungenschaft,
auf die wir Deutsche stolz sein können, die wir der Tapferkeit der Landwehr
und der Freiwilligen zu verdanken haben und die durch das wohlberechnete
Krempelsystem des General Scharnhorst vorbereitet worden, die jedoch noth¬
wendigerweise, der ursprünglichen Organisation gemäß, mit einer aus kräf¬
tigen, wohleingeübten Leuten gebildeten Landwehr verbunden sein muß. Diese
Errungenschaft hat man neuerdings, nachdem schon geraume Zeit die Land¬
wehr, die Reserve der Linie, vernachlässigt, möglichst geschmälert und auf¬
gehoben, indem man die Dienstzeit verlängerte. Auf Unkosten der Landwehr
hat man die Friedensbataillone verstärkt und glaubt damit die Armee selbst
verstärkt zu haben.

Weit verbreitet ist diesseits der Ardennen und der Vogesen die Ansicht:
„der französische Infanterist sei der Soldat xar gxesllsnes". Derselbe bedarf
aber, nach dem einstimmigen Urtheil kriegserfahrener französischer Marschälle,
voller sieben Jahre und einer sehr strengen Gesetzgebung (die im Dienste selbst
körperliche Strafen erlaubt, freilich nicht so barbarische Bestrafungen kennt, wie
in der englischen und der russischen Armee gebräuchlich sind) um ein tüchtiger
Soldat zu werden und den militärischen Geist in den Regimentern nicht ver¬
schwinden zu lassen. Der jetzige Kaiser bietet serner alles auf, meist wohl
aus politischen Gründen, um die Zahl der Recapitulanten zu vermehren, einen
Stamm von Veteranen sich zu bilden, bestimmt, im eigenen Lande, ihm dem
Kaiser völlig ergebene Prätorianer, im fremden Lande eine raub- und blut¬
gierige Soldateska zu erziehen, die nothwendig dem eigenen Lande beschwerlich,
der Negierung selbst endlich gefährlich werden muß, eine kostspielige und ver¬
derbliche Last, von der Frankreich dereinst nur durch einen Winterfeldzug, wie
der in Rußland befreit werden kann.

Der so kaltblütige wie unerschrockene englische Soldat ist einer Kapitula¬
tion Von acht bis zehn Jahren unterworfen, kennt keine Beurlaubung.

Vom russischen Soldaten verlangte man bis vor wenig Jahren eine Dienst¬
zeit von fünfundzwanzig, jetzt nur noch von zwölf Jahren, um die eisernen
Mauern der russischen Regimenter einzuschulen.

Nur wir Deutsche leben der Hoffnung, eine Armee aus jungen Männern
zu bilden, die nur zwei bis drei Jahre unter ihren Fahnen versammelt sind,
und glauben durch eine milde und humane, a^is das Ehrgefühl des Soldaten
berechnete Gesetzgebung die Kriegszucht aufrecht erhalten zu können.

Daher bedürfen wir aber auch einer von der auf längere Dienstzeit berech¬
neten Organisation abweichenden. Recrutirungsgesetzgebung, das geistige Element
muß bei uns das vorwiegende sein.


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[0458] Die einzige wahrhaft volkstümliche Errungenschaft aus der denkwürdigen Zeit der Freiheitskriege ward zuerst in der preußischen, nach und nach in den meisten deutschen Armeen eingeführt, die kurze Dienstzeit: eine Errungenschaft, auf die wir Deutsche stolz sein können, die wir der Tapferkeit der Landwehr und der Freiwilligen zu verdanken haben und die durch das wohlberechnete Krempelsystem des General Scharnhorst vorbereitet worden, die jedoch noth¬ wendigerweise, der ursprünglichen Organisation gemäß, mit einer aus kräf¬ tigen, wohleingeübten Leuten gebildeten Landwehr verbunden sein muß. Diese Errungenschaft hat man neuerdings, nachdem schon geraume Zeit die Land¬ wehr, die Reserve der Linie, vernachlässigt, möglichst geschmälert und auf¬ gehoben, indem man die Dienstzeit verlängerte. Auf Unkosten der Landwehr hat man die Friedensbataillone verstärkt und glaubt damit die Armee selbst verstärkt zu haben. Weit verbreitet ist diesseits der Ardennen und der Vogesen die Ansicht: „der französische Infanterist sei der Soldat xar gxesllsnes". Derselbe bedarf aber, nach dem einstimmigen Urtheil kriegserfahrener französischer Marschälle, voller sieben Jahre und einer sehr strengen Gesetzgebung (die im Dienste selbst körperliche Strafen erlaubt, freilich nicht so barbarische Bestrafungen kennt, wie in der englischen und der russischen Armee gebräuchlich sind) um ein tüchtiger Soldat zu werden und den militärischen Geist in den Regimentern nicht ver¬ schwinden zu lassen. Der jetzige Kaiser bietet serner alles auf, meist wohl aus politischen Gründen, um die Zahl der Recapitulanten zu vermehren, einen Stamm von Veteranen sich zu bilden, bestimmt, im eigenen Lande, ihm dem Kaiser völlig ergebene Prätorianer, im fremden Lande eine raub- und blut¬ gierige Soldateska zu erziehen, die nothwendig dem eigenen Lande beschwerlich, der Negierung selbst endlich gefährlich werden muß, eine kostspielige und ver¬ derbliche Last, von der Frankreich dereinst nur durch einen Winterfeldzug, wie der in Rußland befreit werden kann. Der so kaltblütige wie unerschrockene englische Soldat ist einer Kapitula¬ tion Von acht bis zehn Jahren unterworfen, kennt keine Beurlaubung. Vom russischen Soldaten verlangte man bis vor wenig Jahren eine Dienst¬ zeit von fünfundzwanzig, jetzt nur noch von zwölf Jahren, um die eisernen Mauern der russischen Regimenter einzuschulen. Nur wir Deutsche leben der Hoffnung, eine Armee aus jungen Männern zu bilden, die nur zwei bis drei Jahre unter ihren Fahnen versammelt sind, und glauben durch eine milde und humane, a^is das Ehrgefühl des Soldaten berechnete Gesetzgebung die Kriegszucht aufrecht erhalten zu können. Daher bedürfen wir aber auch einer von der auf längere Dienstzeit berech¬ neten Organisation abweichenden. Recrutirungsgesetzgebung, das geistige Element muß bei uns das vorwiegende sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/458>, abgerufen am 27.08.2024.