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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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aber diese Bewegung wird zu einer nüchternen politischen Betrachtung, weit
der Dichter nicht vermag, das politische System des Helden in künstlerischer
Weise als eine Leidenschaft darzustellen. Ein Brief Leopolds an seinen Bruder
wird von den Bayern aufgefangen: Friedrich solle keine Schlacht wagen, in
drei Tagen erst könne der Bruder zu ihm stoßen. Sofort verlangt natürlich
Schweppermann, daß Ludwig die Schlacht anbiete, bevor Leopold dem Feinde
zuzieht. Der König verweigert es, weil die verheißene Hülfe seiner bayrischen
Städte ausgeblieben ist:


ich schlage keine Schlacht, wenn Baiern fehlt.
----- Die Bundsgenossen
und Freunde schätz' ich wie ich soll. Doch wahrlich,
mein bester Bundsgenosse sei mein Volk.
---- Thor, wer im eignen Boden
nicht feste Wurzeln schlug und davon träumt,
mit seines Wipfels Krone fremdes Land
zu überschatten.

Wie nun, wenn ein Zuschauer sich erhübe: "Mit Verlaub, König Ludwig!
In der Weltgeschichte heißest Du zwar Ludwig der Bayer und hast Dein
bestes Glück Deinen Bayern verdankt. Aber was kümmert mich auf der Bühne
die Historie! Du bist deutscher König. Die Du Bundesgenossen nennst,
sind Dein Volk. Nicht fremdes Land begehrst Du; das verwirkte Lehen eines
aufsässigen Vasallen willst Du dem Reiche erhalten. Der brave Schwepper¬
mann versteht's, er räth zur Schlacht. Also schlag' los." Was wollte Ludwig
antworten? Solchen unbequemen Fragen setzt der Dichter sich aus, wenn er
zum Hirn statt zum Herzen der Hörer redet.

Dieser ganze Handel ist übrigens müßig; denn unmittelbar nachher erscheint
das ersehnte Heer der bayrischen Bürger, voran die braven Münchener Sauer-
beckcn. Der König schenkt den ehrenfester Sauerbecken ein Haus, als welches
der wißbegierige Wandersmann noch heute im Thale zu München schauen mag.
Dann bietet der Bedächtige die Schlacht, und Friedrich, im blinden Ungestüm,
nimmt sie an. So geschehen am 28. Septbr., wie der Münchner Gerbermeister
ausdrücklich bemerkt. Getümmel. Flucht der Ritter. Gefangennahme Fried¬
richs. Jammerschade, daß der brave Schweppermann nicht noch zum Schluß
seine beiden welthistorischen Eier verspeist. Er ißt sie leider erst im vierten
Act, und blos in der Erinnerung. Der dramatische Werth dieses Actes hätte
durch solchen Abschluß keineswegs verloren, die historische Treue, aber erheblich
gewonnen.

Nach diesem ganz verfehlten Höhepunkte der Handlung erwarten wir, daß
die Lösung des Streites durch die entsagende Großmuth beider Könige uns
menschlich nahe trete. Jede Theilnahme muß erlahmen, wenn wir nicht schauen,


aber diese Bewegung wird zu einer nüchternen politischen Betrachtung, weit
der Dichter nicht vermag, das politische System des Helden in künstlerischer
Weise als eine Leidenschaft darzustellen. Ein Brief Leopolds an seinen Bruder
wird von den Bayern aufgefangen: Friedrich solle keine Schlacht wagen, in
drei Tagen erst könne der Bruder zu ihm stoßen. Sofort verlangt natürlich
Schweppermann, daß Ludwig die Schlacht anbiete, bevor Leopold dem Feinde
zuzieht. Der König verweigert es, weil die verheißene Hülfe seiner bayrischen
Städte ausgeblieben ist:


ich schlage keine Schlacht, wenn Baiern fehlt.
---— Die Bundsgenossen
und Freunde schätz' ich wie ich soll. Doch wahrlich,
mein bester Bundsgenosse sei mein Volk.
--— Thor, wer im eignen Boden
nicht feste Wurzeln schlug und davon träumt,
mit seines Wipfels Krone fremdes Land
zu überschatten.

Wie nun, wenn ein Zuschauer sich erhübe: „Mit Verlaub, König Ludwig!
In der Weltgeschichte heißest Du zwar Ludwig der Bayer und hast Dein
bestes Glück Deinen Bayern verdankt. Aber was kümmert mich auf der Bühne
die Historie! Du bist deutscher König. Die Du Bundesgenossen nennst,
sind Dein Volk. Nicht fremdes Land begehrst Du; das verwirkte Lehen eines
aufsässigen Vasallen willst Du dem Reiche erhalten. Der brave Schwepper¬
mann versteht's, er räth zur Schlacht. Also schlag' los." Was wollte Ludwig
antworten? Solchen unbequemen Fragen setzt der Dichter sich aus, wenn er
zum Hirn statt zum Herzen der Hörer redet.

Dieser ganze Handel ist übrigens müßig; denn unmittelbar nachher erscheint
das ersehnte Heer der bayrischen Bürger, voran die braven Münchener Sauer-
beckcn. Der König schenkt den ehrenfester Sauerbecken ein Haus, als welches
der wißbegierige Wandersmann noch heute im Thale zu München schauen mag.
Dann bietet der Bedächtige die Schlacht, und Friedrich, im blinden Ungestüm,
nimmt sie an. So geschehen am 28. Septbr., wie der Münchner Gerbermeister
ausdrücklich bemerkt. Getümmel. Flucht der Ritter. Gefangennahme Fried¬
richs. Jammerschade, daß der brave Schweppermann nicht noch zum Schluß
seine beiden welthistorischen Eier verspeist. Er ißt sie leider erst im vierten
Act, und blos in der Erinnerung. Der dramatische Werth dieses Actes hätte
durch solchen Abschluß keineswegs verloren, die historische Treue, aber erheblich
gewonnen.

Nach diesem ganz verfehlten Höhepunkte der Handlung erwarten wir, daß
die Lösung des Streites durch die entsagende Großmuth beider Könige uns
menschlich nahe trete. Jede Theilnahme muß erlahmen, wenn wir nicht schauen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/429>, abgerufen am 25.08.2024.