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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Ritterschaft, Herzog Leopold, sicherlich der interessanteste Charakter des Drama's,
herrisch nach der Weise seines Hauses, der Todfeind des Bürgerthums und des
Wittelsbachischen Vürgerfürstcn. Es ist der feinste Zug des Stückes, wie der Dich¬
ter verstanden hat, die politische und die persönliche Leidenschaft dieses Mannes
mit einander zu verschlingen. Leopold liebt seinen Bruder grenzenlos und haßt
in dem Bayern zugleich den Freund, der ihm das Herz des Lieblings gestohlen.
In gleichem Sinne treibend und reizend wirkt auf Friedrichs Ehrgeiz seine Ge¬
mahlin, die hochfahrende spanische Königstochter Jsabella. Auf Ludwigs Seite
stehen nur einige sehr ehrenwerthe, aber sehr gleichgiltige Nebenfiguren, der
nicht ohne gute Laune gezeichnete brave Schweppermann, der brave Bürger¬
meister von München, ein braver Gerbermeister, dessen braver Sohn u. s. w.

Der erste Act ist der dramatisch wirksamste; denn hier allein gelingt es
dem Dichter, einen Aufruhr in der Seele seines Helden zu erregen. Soeben
ist ein glücklicher Krieg Bayerns wider Oestreich beendet, Herzog Ludwig kommt
an Friedrichs Hof, die Freunde versöhnen sich und vertragen ihre Späne.
Ludwig verspricht dem Freunde, der die Kaiserkrone erstrebt, seinen Beistand.
In diesem Augenblicke, da Fricdrick sich gerade entfernt hat, bringt der Bür¬
germeister von München die Kunde, daß die Mehrheit der Kurfürsten den
Vorsatz hegt, Ludwig zum Kaiser zu küren, und in einer kurzen, mäßig erregten
Scene spielt sich der einzige Kampf ab, den dieser Held in seinem Herzen
durchzufechten hat. Die Mehrzahl der Stimmen, das ist klar, wird das im
Reiche verhaßte Habsburgische Haus nie gewinnen, das Herzogthum Bayern,
dem Ludwigs ganze Sorge gilt, wird furchtbar leiden unter einem östreichischen
Nitterkaiser, alle Guten im Reiche rufen nach einem "ganzen Mann" -- "hätt'
ihn die Welt in Dir gefunden, Friedrich?" Diese Gründe schlagen durch, und
als die weitere Kunde kommt, daß Herzog Leopold damit umgehe, den ge¬
haßten Bayern gefangen zu nehmen, rettet sich Ludwig durch schleunige Flucht.
Leopold will ihm nachsetzen,'steht aber sonderbarerweise davon ab auf die Be¬
merkung Jsabella's "das wäre unser nicht würdig", obwohl er soeben noch,
weit unwürdiger, das Gastrecht zu brechen gewillt war. Angesichts dieses
niedrigen Verrathes schwört Friedrich dem kaum wiedergefundenen treulosen
Freunde seinen Haß. Die Weise, wie Ludwig "aus Freundeshaus sich wie ein
Dieb hinwegstiehlt", ist sehr unwahrscheinlich und sehr häßlich, aber dramatisch
gerechtfertigt. Denn sie allein erklärt die blinde Erbitterung seines Feindes,
und hier mindestens hält der Dichter sich noch frei von jenem schwächlichen
Jdealisiren, worin die folgenden Acte sich gefallen -- wenn nur nicht die ent¬
scheidende Bewegung in der Brust des Helden gar so matt und leise sich
vollzöge!

Nun erwarten wir zu schauen, wie des bescheidenen Bayernherzogs innerstes
Wesen erschüttert wird und sich wandelt, da das Schicksal ihn aus der dürf-


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Ritterschaft, Herzog Leopold, sicherlich der interessanteste Charakter des Drama's,
herrisch nach der Weise seines Hauses, der Todfeind des Bürgerthums und des
Wittelsbachischen Vürgerfürstcn. Es ist der feinste Zug des Stückes, wie der Dich¬
ter verstanden hat, die politische und die persönliche Leidenschaft dieses Mannes
mit einander zu verschlingen. Leopold liebt seinen Bruder grenzenlos und haßt
in dem Bayern zugleich den Freund, der ihm das Herz des Lieblings gestohlen.
In gleichem Sinne treibend und reizend wirkt auf Friedrichs Ehrgeiz seine Ge¬
mahlin, die hochfahrende spanische Königstochter Jsabella. Auf Ludwigs Seite
stehen nur einige sehr ehrenwerthe, aber sehr gleichgiltige Nebenfiguren, der
nicht ohne gute Laune gezeichnete brave Schweppermann, der brave Bürger¬
meister von München, ein braver Gerbermeister, dessen braver Sohn u. s. w.

Der erste Act ist der dramatisch wirksamste; denn hier allein gelingt es
dem Dichter, einen Aufruhr in der Seele seines Helden zu erregen. Soeben
ist ein glücklicher Krieg Bayerns wider Oestreich beendet, Herzog Ludwig kommt
an Friedrichs Hof, die Freunde versöhnen sich und vertragen ihre Späne.
Ludwig verspricht dem Freunde, der die Kaiserkrone erstrebt, seinen Beistand.
In diesem Augenblicke, da Fricdrick sich gerade entfernt hat, bringt der Bür¬
germeister von München die Kunde, daß die Mehrheit der Kurfürsten den
Vorsatz hegt, Ludwig zum Kaiser zu küren, und in einer kurzen, mäßig erregten
Scene spielt sich der einzige Kampf ab, den dieser Held in seinem Herzen
durchzufechten hat. Die Mehrzahl der Stimmen, das ist klar, wird das im
Reiche verhaßte Habsburgische Haus nie gewinnen, das Herzogthum Bayern,
dem Ludwigs ganze Sorge gilt, wird furchtbar leiden unter einem östreichischen
Nitterkaiser, alle Guten im Reiche rufen nach einem „ganzen Mann" — „hätt'
ihn die Welt in Dir gefunden, Friedrich?" Diese Gründe schlagen durch, und
als die weitere Kunde kommt, daß Herzog Leopold damit umgehe, den ge¬
haßten Bayern gefangen zu nehmen, rettet sich Ludwig durch schleunige Flucht.
Leopold will ihm nachsetzen,'steht aber sonderbarerweise davon ab auf die Be¬
merkung Jsabella's „das wäre unser nicht würdig", obwohl er soeben noch,
weit unwürdiger, das Gastrecht zu brechen gewillt war. Angesichts dieses
niedrigen Verrathes schwört Friedrich dem kaum wiedergefundenen treulosen
Freunde seinen Haß. Die Weise, wie Ludwig „aus Freundeshaus sich wie ein
Dieb hinwegstiehlt", ist sehr unwahrscheinlich und sehr häßlich, aber dramatisch
gerechtfertigt. Denn sie allein erklärt die blinde Erbitterung seines Feindes,
und hier mindestens hält der Dichter sich noch frei von jenem schwächlichen
Jdealisiren, worin die folgenden Acte sich gefallen — wenn nur nicht die ent¬
scheidende Bewegung in der Brust des Helden gar so matt und leise sich
vollzöge!

Nun erwarten wir zu schauen, wie des bescheidenen Bayernherzogs innerstes
Wesen erschüttert wird und sich wandelt, da das Schicksal ihn aus der dürf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/427>, abgerufen am 25.08.2024.