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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Treue" Friedrichs von Oestreich -- eine poetische, herzerwärmende Episode,
ohne Zweifel, aber eine Verwicklung ohne alle dramatische Kraft und Span¬
nung, die dem Dichter nur zu einem kurzen Gedichte, wie jene schönen Verse
Schillers, oder zu einer Novelle den Stoff bietet. Verlockend genug war dieser
Ausweg für den Anhänger jener abstracten Aesthetik, weiche immer wieder ver¬
sichert, der Dichter könne nur das "Reinmenschliche" schildern -- als ob die
staatlichen Gedanken unmenschlich wären. Aber wer es wagt, die harten und
rauhen Kämpfe der geschichtlichen Welt poetisch zu verklären, von ihm fordern
wir auch den Muth und die Kraft, daß er den politischen Gehalt der Geschichte
erfasse, den menschlichen, jedes Herz ergreifenden Sinn des staatlichen Lebens
verstehe und verkörpere. Will ein Dichter in einem historischen Drama diese
politischen Ideen ängstlich umgehen, dann rächt sich die Geschichte, dann verfällt
er nur um so sicherer in die trockenste Nüchternheit, freilich nicht in die Prosa
der klüglich vermiedenen Staatsaction, aber in die Langeweile einer ärmlichen
Chronik. Für diese Wahrheit gibt Heyse's Ludwig der Bayer ein unwidersprech-
liches Zeugniß.

In den Mittelpunkt seines Drama's stellt Paul Heyse den Gegensatz der
beiden Jugendfreunde, die um Deutschlands Krone hadern. Beide Charaktere
sind verständlich und folgerichtig gezeichnet, aber keiner von beiden ist ein
dramatischer Held. Ausgewachsen an einem ärmlichen Hofe, von klein auf ge¬
wohnt den Heller zu sparen, ist Herzog Ludwig von Bayern der Herr eines
armen Landes geworden. Ein Wahrer des Rechts stützt er sich auf die schlichte
Tüchtigkeit seiner Städte, ein kalter Rechner steckt er seinem Ehrgeiz nahe Ziele
und war darum nie gezwungen einen Plan auszugeben. Sein ganzes Wesen
ist so kühl und nüchtern, so klar und bieder, daß von einem erschütternden
Bruche und Kampf in der Seele dieses Mannes nicht die Rede sein kann.
Noch weit reizloser ist der Charakter des Gegenkönigs. Wie nahe lag eS, in
dem schönen Friedrich von Oestreich einen jener Männer zu schildern, welche
-- was die Gegenwart theoretisch zu läugnen liebt, aber thatsächlich immer
anerkennt -- durch den Glanz und Adel ihrer Erscheinung das karge Maß
ihrer Begabung vergessen machen. Aber von solchem bezaubernden Dufte dämo¬
nischer Liebenswürdigkeit ist an diesem Friedrich wenig zu spüren. Ein ver¬
wöhnter Jüngling, der stolze Sproß des hochmüthigen Kaisers Albrecht, liebt
erden fürstlichen Prunk, hat eine gewisse schwächliche Borliebe für den Glanz
des Ritterthums, läßt seine Phantasie fessellos ins Weite schweifen und gefällt
sich in knabenhaften Träumen von einem neuen Kcuserthume'Karls des Großen.
Dem nüchternen älteren Freunde steht der weiche unreife Mensch sehr klein
gegenüber, und wenn Ludwig einmal erzählt, Friedrich sei der gebende Theil
gewesen in ihrem Freundschaftsbunde, so wird ihm dies kein Hörer glauben.
Der leitende Kopf des Habsburgischen Labers ist jene vielbesungene Blume der


Treue" Friedrichs von Oestreich — eine poetische, herzerwärmende Episode,
ohne Zweifel, aber eine Verwicklung ohne alle dramatische Kraft und Span¬
nung, die dem Dichter nur zu einem kurzen Gedichte, wie jene schönen Verse
Schillers, oder zu einer Novelle den Stoff bietet. Verlockend genug war dieser
Ausweg für den Anhänger jener abstracten Aesthetik, weiche immer wieder ver¬
sichert, der Dichter könne nur das „Reinmenschliche" schildern — als ob die
staatlichen Gedanken unmenschlich wären. Aber wer es wagt, die harten und
rauhen Kämpfe der geschichtlichen Welt poetisch zu verklären, von ihm fordern
wir auch den Muth und die Kraft, daß er den politischen Gehalt der Geschichte
erfasse, den menschlichen, jedes Herz ergreifenden Sinn des staatlichen Lebens
verstehe und verkörpere. Will ein Dichter in einem historischen Drama diese
politischen Ideen ängstlich umgehen, dann rächt sich die Geschichte, dann verfällt
er nur um so sicherer in die trockenste Nüchternheit, freilich nicht in die Prosa
der klüglich vermiedenen Staatsaction, aber in die Langeweile einer ärmlichen
Chronik. Für diese Wahrheit gibt Heyse's Ludwig der Bayer ein unwidersprech-
liches Zeugniß.

In den Mittelpunkt seines Drama's stellt Paul Heyse den Gegensatz der
beiden Jugendfreunde, die um Deutschlands Krone hadern. Beide Charaktere
sind verständlich und folgerichtig gezeichnet, aber keiner von beiden ist ein
dramatischer Held. Ausgewachsen an einem ärmlichen Hofe, von klein auf ge¬
wohnt den Heller zu sparen, ist Herzog Ludwig von Bayern der Herr eines
armen Landes geworden. Ein Wahrer des Rechts stützt er sich auf die schlichte
Tüchtigkeit seiner Städte, ein kalter Rechner steckt er seinem Ehrgeiz nahe Ziele
und war darum nie gezwungen einen Plan auszugeben. Sein ganzes Wesen
ist so kühl und nüchtern, so klar und bieder, daß von einem erschütternden
Bruche und Kampf in der Seele dieses Mannes nicht die Rede sein kann.
Noch weit reizloser ist der Charakter des Gegenkönigs. Wie nahe lag eS, in
dem schönen Friedrich von Oestreich einen jener Männer zu schildern, welche
— was die Gegenwart theoretisch zu läugnen liebt, aber thatsächlich immer
anerkennt — durch den Glanz und Adel ihrer Erscheinung das karge Maß
ihrer Begabung vergessen machen. Aber von solchem bezaubernden Dufte dämo¬
nischer Liebenswürdigkeit ist an diesem Friedrich wenig zu spüren. Ein ver¬
wöhnter Jüngling, der stolze Sproß des hochmüthigen Kaisers Albrecht, liebt
erden fürstlichen Prunk, hat eine gewisse schwächliche Borliebe für den Glanz
des Ritterthums, läßt seine Phantasie fessellos ins Weite schweifen und gefällt
sich in knabenhaften Träumen von einem neuen Kcuserthume'Karls des Großen.
Dem nüchternen älteren Freunde steht der weiche unreife Mensch sehr klein
gegenüber, und wenn Ludwig einmal erzählt, Friedrich sei der gebende Theil
gewesen in ihrem Freundschaftsbunde, so wird ihm dies kein Hörer glauben.
Der leitende Kopf des Habsburgischen Labers ist jene vielbesungene Blume der


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[0426] Treue" Friedrichs von Oestreich — eine poetische, herzerwärmende Episode, ohne Zweifel, aber eine Verwicklung ohne alle dramatische Kraft und Span¬ nung, die dem Dichter nur zu einem kurzen Gedichte, wie jene schönen Verse Schillers, oder zu einer Novelle den Stoff bietet. Verlockend genug war dieser Ausweg für den Anhänger jener abstracten Aesthetik, weiche immer wieder ver¬ sichert, der Dichter könne nur das „Reinmenschliche" schildern — als ob die staatlichen Gedanken unmenschlich wären. Aber wer es wagt, die harten und rauhen Kämpfe der geschichtlichen Welt poetisch zu verklären, von ihm fordern wir auch den Muth und die Kraft, daß er den politischen Gehalt der Geschichte erfasse, den menschlichen, jedes Herz ergreifenden Sinn des staatlichen Lebens verstehe und verkörpere. Will ein Dichter in einem historischen Drama diese politischen Ideen ängstlich umgehen, dann rächt sich die Geschichte, dann verfällt er nur um so sicherer in die trockenste Nüchternheit, freilich nicht in die Prosa der klüglich vermiedenen Staatsaction, aber in die Langeweile einer ärmlichen Chronik. Für diese Wahrheit gibt Heyse's Ludwig der Bayer ein unwidersprech- liches Zeugniß. In den Mittelpunkt seines Drama's stellt Paul Heyse den Gegensatz der beiden Jugendfreunde, die um Deutschlands Krone hadern. Beide Charaktere sind verständlich und folgerichtig gezeichnet, aber keiner von beiden ist ein dramatischer Held. Ausgewachsen an einem ärmlichen Hofe, von klein auf ge¬ wohnt den Heller zu sparen, ist Herzog Ludwig von Bayern der Herr eines armen Landes geworden. Ein Wahrer des Rechts stützt er sich auf die schlichte Tüchtigkeit seiner Städte, ein kalter Rechner steckt er seinem Ehrgeiz nahe Ziele und war darum nie gezwungen einen Plan auszugeben. Sein ganzes Wesen ist so kühl und nüchtern, so klar und bieder, daß von einem erschütternden Bruche und Kampf in der Seele dieses Mannes nicht die Rede sein kann. Noch weit reizloser ist der Charakter des Gegenkönigs. Wie nahe lag eS, in dem schönen Friedrich von Oestreich einen jener Männer zu schildern, welche — was die Gegenwart theoretisch zu läugnen liebt, aber thatsächlich immer anerkennt — durch den Glanz und Adel ihrer Erscheinung das karge Maß ihrer Begabung vergessen machen. Aber von solchem bezaubernden Dufte dämo¬ nischer Liebenswürdigkeit ist an diesem Friedrich wenig zu spüren. Ein ver¬ wöhnter Jüngling, der stolze Sproß des hochmüthigen Kaisers Albrecht, liebt erden fürstlichen Prunk, hat eine gewisse schwächliche Borliebe für den Glanz des Ritterthums, läßt seine Phantasie fessellos ins Weite schweifen und gefällt sich in knabenhaften Träumen von einem neuen Kcuserthume'Karls des Großen. Dem nüchternen älteren Freunde steht der weiche unreife Mensch sehr klein gegenüber, und wenn Ludwig einmal erzählt, Friedrich sei der gebende Theil gewesen in ihrem Freundschaftsbunde, so wird ihm dies kein Hörer glauben. Der leitende Kopf des Habsburgischen Labers ist jene vielbesungene Blume der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/426>, abgerufen am 25.08.2024.