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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Das Edle und Tüchtige einer solchen, von politischen Ideen durchaus bc-
Kenschten Zeit begeistert zu empfinden, ihr Leben mitzuleben und dennoch von
seinem künstlerischen Schaffe" jede unästhetische Einwirkung dieser übermächtigen
Zeitbestrebungen kalt und streng hinwegzuweisen, das ist die unsäglich schwere Auf¬
gabe des modernen Dichters. Vor diesem fortwährenden quälenden Kampfe
schlecken feine Naturen von gebildetem Schönheitssinne leicht zurück, sie'wenden
sich ab von der Prosaischen Arbeit der Zeitgenossen und verschmähen es, selbst
jene Ideen der Epoche dichterisch zu verkörpern, die der künstlerischen Verklä¬
rung sehr wohl fähig sind. Dieses Wegs ist Paul Heyse gegangen, und wir
sind weit entfernt mit einzustimmen in den Ruf der Gesinnungstüchtigcn unsrer
Tage, welche jeden, der nicht sein gesäumtes Dichten und Trachten der natio¬
nalen Bewegung verpfändet, als einen Mattherzigen verketzern. Wer unter
Franz KuglerS Augen einer beneidenswerther ästhetischen Bildung genoß und
in frühen Jahren schon an den Werken der italienischen Kunst Herz und Auge
sich erquickte, dem verarge Keiner, daß die gothische Derbheit, die formlose
Unbestimmtheit unserer politischen Kämpfe ihm nicht das ganze Herz erfüllt.
Unser Volk ist reich genug, auch solche Naturen zu ertragen und zu würdigen.
Aber ernstlich müssen wir protestiren, wenn die Bewunderer dieses Dichters so
gern auf Goethe und die stolz abweisende Gemüthsruhe seines Alters hinweisen --
auf ihn, der in seiner Jugend als ein Revolutionär in das Leben unsres Vol¬
kes trat, der in den Tagen seiner größten Dichtcrthaten so recht im Mittelpunkte
jener Ideen stand, die seine Zeit erschütterten. Und eine starke, wuchtige Selb¬
ständigkeit müssen wir verlangen von einem Dichter, der die Wege der Zeit¬
genossen geflissentlich vermeidet, an dessen Werken nur die Sprache verräth,
weß Volkes Kind er sei. Er muß im Stande sein, aus dem Reichthum seiner
Seele heraus das zu geben, was andere Dichter zum guten Theile der Ge¬
dankenarbeit ihrer Zeit verdanken. Diese stolze Eigenart der Persönlichkeit
baben wir in Paul Heyse'S Schriften vergeblich gesucht. Ueberall trat uns ein
seltener Adel des FormensinneS entgegen, der sich wahrlich in Größerem offen¬
bart als in der Glätte des Verses und dem Wohllaut der Perioden, ein großer
Reichthum der Farben und ein ungemeines Geschick, die rechte Stimmung zu
erwecken in dem Gemüthe des Lesers. Aber diese glückliche Beherrschung der
Form ist in der That der Kern seines dichterischen Talentes. Sichtlich enthüllen
sich seinem inneren Auge zuerst die Umrisse und Farben seiner Gestalten und
später erst ihre Seele. Er bedarf der schönen farbenreichen Umgebung, wenn
die ächte Dichterwärme sein Herz durchströmen soll; kein Zufall wahrlich, daß
die italienischen Stoffe sich am glücklichsten unter seiner Hand gestalten. Auch
das Innere der Menschenbrust erschließt sich diesem Dichter, wenn es gilt, naive,
vornehmlich weibliche Charaktere zu schildern, solche Naturen, deren Erscheinung
schon die einfältige Schönheit des Herzens wiederspiegelt. Darum werden die


Das Edle und Tüchtige einer solchen, von politischen Ideen durchaus bc-
Kenschten Zeit begeistert zu empfinden, ihr Leben mitzuleben und dennoch von
seinem künstlerischen Schaffe» jede unästhetische Einwirkung dieser übermächtigen
Zeitbestrebungen kalt und streng hinwegzuweisen, das ist die unsäglich schwere Auf¬
gabe des modernen Dichters. Vor diesem fortwährenden quälenden Kampfe
schlecken feine Naturen von gebildetem Schönheitssinne leicht zurück, sie'wenden
sich ab von der Prosaischen Arbeit der Zeitgenossen und verschmähen es, selbst
jene Ideen der Epoche dichterisch zu verkörpern, die der künstlerischen Verklä¬
rung sehr wohl fähig sind. Dieses Wegs ist Paul Heyse gegangen, und wir
sind weit entfernt mit einzustimmen in den Ruf der Gesinnungstüchtigcn unsrer
Tage, welche jeden, der nicht sein gesäumtes Dichten und Trachten der natio¬
nalen Bewegung verpfändet, als einen Mattherzigen verketzern. Wer unter
Franz KuglerS Augen einer beneidenswerther ästhetischen Bildung genoß und
in frühen Jahren schon an den Werken der italienischen Kunst Herz und Auge
sich erquickte, dem verarge Keiner, daß die gothische Derbheit, die formlose
Unbestimmtheit unserer politischen Kämpfe ihm nicht das ganze Herz erfüllt.
Unser Volk ist reich genug, auch solche Naturen zu ertragen und zu würdigen.
Aber ernstlich müssen wir protestiren, wenn die Bewunderer dieses Dichters so
gern auf Goethe und die stolz abweisende Gemüthsruhe seines Alters hinweisen —
auf ihn, der in seiner Jugend als ein Revolutionär in das Leben unsres Vol¬
kes trat, der in den Tagen seiner größten Dichtcrthaten so recht im Mittelpunkte
jener Ideen stand, die seine Zeit erschütterten. Und eine starke, wuchtige Selb¬
ständigkeit müssen wir verlangen von einem Dichter, der die Wege der Zeit¬
genossen geflissentlich vermeidet, an dessen Werken nur die Sprache verräth,
weß Volkes Kind er sei. Er muß im Stande sein, aus dem Reichthum seiner
Seele heraus das zu geben, was andere Dichter zum guten Theile der Ge¬
dankenarbeit ihrer Zeit verdanken. Diese stolze Eigenart der Persönlichkeit
baben wir in Paul Heyse'S Schriften vergeblich gesucht. Ueberall trat uns ein
seltener Adel des FormensinneS entgegen, der sich wahrlich in Größerem offen¬
bart als in der Glätte des Verses und dem Wohllaut der Perioden, ein großer
Reichthum der Farben und ein ungemeines Geschick, die rechte Stimmung zu
erwecken in dem Gemüthe des Lesers. Aber diese glückliche Beherrschung der
Form ist in der That der Kern seines dichterischen Talentes. Sichtlich enthüllen
sich seinem inneren Auge zuerst die Umrisse und Farben seiner Gestalten und
später erst ihre Seele. Er bedarf der schönen farbenreichen Umgebung, wenn
die ächte Dichterwärme sein Herz durchströmen soll; kein Zufall wahrlich, daß
die italienischen Stoffe sich am glücklichsten unter seiner Hand gestalten. Auch
das Innere der Menschenbrust erschließt sich diesem Dichter, wenn es gilt, naive,
vornehmlich weibliche Charaktere zu schildern, solche Naturen, deren Erscheinung
schon die einfältige Schönheit des Herzens wiederspiegelt. Darum werden die


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[0422] Das Edle und Tüchtige einer solchen, von politischen Ideen durchaus bc- Kenschten Zeit begeistert zu empfinden, ihr Leben mitzuleben und dennoch von seinem künstlerischen Schaffe» jede unästhetische Einwirkung dieser übermächtigen Zeitbestrebungen kalt und streng hinwegzuweisen, das ist die unsäglich schwere Auf¬ gabe des modernen Dichters. Vor diesem fortwährenden quälenden Kampfe schlecken feine Naturen von gebildetem Schönheitssinne leicht zurück, sie'wenden sich ab von der Prosaischen Arbeit der Zeitgenossen und verschmähen es, selbst jene Ideen der Epoche dichterisch zu verkörpern, die der künstlerischen Verklä¬ rung sehr wohl fähig sind. Dieses Wegs ist Paul Heyse gegangen, und wir sind weit entfernt mit einzustimmen in den Ruf der Gesinnungstüchtigcn unsrer Tage, welche jeden, der nicht sein gesäumtes Dichten und Trachten der natio¬ nalen Bewegung verpfändet, als einen Mattherzigen verketzern. Wer unter Franz KuglerS Augen einer beneidenswerther ästhetischen Bildung genoß und in frühen Jahren schon an den Werken der italienischen Kunst Herz und Auge sich erquickte, dem verarge Keiner, daß die gothische Derbheit, die formlose Unbestimmtheit unserer politischen Kämpfe ihm nicht das ganze Herz erfüllt. Unser Volk ist reich genug, auch solche Naturen zu ertragen und zu würdigen. Aber ernstlich müssen wir protestiren, wenn die Bewunderer dieses Dichters so gern auf Goethe und die stolz abweisende Gemüthsruhe seines Alters hinweisen — auf ihn, der in seiner Jugend als ein Revolutionär in das Leben unsres Vol¬ kes trat, der in den Tagen seiner größten Dichtcrthaten so recht im Mittelpunkte jener Ideen stand, die seine Zeit erschütterten. Und eine starke, wuchtige Selb¬ ständigkeit müssen wir verlangen von einem Dichter, der die Wege der Zeit¬ genossen geflissentlich vermeidet, an dessen Werken nur die Sprache verräth, weß Volkes Kind er sei. Er muß im Stande sein, aus dem Reichthum seiner Seele heraus das zu geben, was andere Dichter zum guten Theile der Ge¬ dankenarbeit ihrer Zeit verdanken. Diese stolze Eigenart der Persönlichkeit baben wir in Paul Heyse'S Schriften vergeblich gesucht. Ueberall trat uns ein seltener Adel des FormensinneS entgegen, der sich wahrlich in Größerem offen¬ bart als in der Glätte des Verses und dem Wohllaut der Perioden, ein großer Reichthum der Farben und ein ungemeines Geschick, die rechte Stimmung zu erwecken in dem Gemüthe des Lesers. Aber diese glückliche Beherrschung der Form ist in der That der Kern seines dichterischen Talentes. Sichtlich enthüllen sich seinem inneren Auge zuerst die Umrisse und Farben seiner Gestalten und später erst ihre Seele. Er bedarf der schönen farbenreichen Umgebung, wenn die ächte Dichterwärme sein Herz durchströmen soll; kein Zufall wahrlich, daß die italienischen Stoffe sich am glücklichsten unter seiner Hand gestalten. Auch das Innere der Menschenbrust erschließt sich diesem Dichter, wenn es gilt, naive, vornehmlich weibliche Charaktere zu schildern, solche Naturen, deren Erscheinung schon die einfältige Schönheit des Herzens wiederspiegelt. Darum werden die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/422>, abgerufen am 24.08.2024.