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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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reich eintreten solle, die Führerschaft dagegen unbedingt an Preußen als den
mächtigsten reindeutschen Staat zu überlassen wäre. Der fruchtbare Keim wurde
aber zertreten durch den Frieden von Villafranca. Als dann später, nach dem
Frieden, verwandte Bestrebungen wieder aufgenommen wurden, dieselben,
welche zur Gründung des Nationalvereins führten, geschah es unter weit un¬
günstigeren Verhältnissen. Damals, vor dem Frieden, hätten sie auf die
Unterstützung von ganz Schwaben zählen dürfen, nach dem Frieden trat hier
ganz dieselbe trostlose Abspannung ein, wie vor dem Jahr 1859. Der Rück-
fall vollzog sich noch weit schneller als die Erhebung gewesen war, er war das
Werk eines Tages. Und während in Mittel- und Norddeutschland nun die
patriotischen Männer die Aufgabe darein setzten, der um sich greifenden Mut¬
losigkeit zu steuern und von dem Aufschwung des deutschen Volks zu retten,
was möglich war, um es in die Bahn einer allgemeinen Reformbewegung zu
leiten, verhielt man sich zu allen diesen Bestrebungen von Schwaben aus
kühl, ablehnend, skeptisch, mit Vorbehalten. Man wollte sich freie Hand
wahren, erhob überall besondre Ansprüche, war empfindlich, wo diese nicht be¬
rücksichtigt wurden, und wo man wirklich Theil nahm, geschah es mit halbem
Herzen, mit halben Kräften.

Woher diese Stimmung, die so auffallend abstach von dem rüstigen Eifer,
mit dem man anderwärts an die nationalen Aufgaben ging? Die Nächstliegende
Erklärung ist die, daß da, wo die Aufregung den höchsten Grad erreicht hatte,
auch die Abspannung am größten sein mußte. Bei dem Zwiespalte, der die
beiden deutschen Großmächte auseinanderhielt, was blieb da übrig, als eben nur
wieder die Hoffnung auf jene bequeme Panacee einer allgemeinen Revolution?
Man hätte vielleicht am liebsten die deutschen Angelegenheiten ihren Gang gehen
lassen und etwa mit einem Votum für Kurhessen, mit einer vagen Resolution
in der deutschen Fvage, die man Ehrenhalber nicht umgehen konnte, sich begnügt,
wenn man nicht von auswärts immer wieder angegangen, bestürmt und um¬
schmeichelt worden wäre, so daß man denn doch diesen Bestrebungen sich nicht
ganz entziehen konnte. Allein auch wenn man nun sich anschickte, mit Hand
an die nationale Arbeit zu legen, so zeigte sich bald eine bemerkenswerthe Ver¬
schiedenheit der Ansichten. Während nämlich nach dem Frieden von Villafranca
die Stimmung in Mittel- und Norddeutschland der Natur der Sache nach ent¬
schieden zu Preußens Gunsten umschlug, so war in Schwaben nicht das Gleiche
der Fall. Man war durch das Kriegsgeschrei für Oestreich gleichsam engagirt,
der großdeutsche Gedanke hatte sich, wie unmöglich er auch zu verwirklichen war,
durch unablässige Wiederholung tief in den Gemüthern befestigt, der unsichere
Gang der preußischen Politik wußte sich keine Achtung, viel weniger Sympathie
zu erwerben, während andrerseits in Oestreich sich ein hoffnungsvolles cvnsti-
tutionelles Leben zu. entwickeln schien. Gleichwohl fühlte man sich im Grund"


reich eintreten solle, die Führerschaft dagegen unbedingt an Preußen als den
mächtigsten reindeutschen Staat zu überlassen wäre. Der fruchtbare Keim wurde
aber zertreten durch den Frieden von Villafranca. Als dann später, nach dem
Frieden, verwandte Bestrebungen wieder aufgenommen wurden, dieselben,
welche zur Gründung des Nationalvereins führten, geschah es unter weit un¬
günstigeren Verhältnissen. Damals, vor dem Frieden, hätten sie auf die
Unterstützung von ganz Schwaben zählen dürfen, nach dem Frieden trat hier
ganz dieselbe trostlose Abspannung ein, wie vor dem Jahr 1859. Der Rück-
fall vollzog sich noch weit schneller als die Erhebung gewesen war, er war das
Werk eines Tages. Und während in Mittel- und Norddeutschland nun die
patriotischen Männer die Aufgabe darein setzten, der um sich greifenden Mut¬
losigkeit zu steuern und von dem Aufschwung des deutschen Volks zu retten,
was möglich war, um es in die Bahn einer allgemeinen Reformbewegung zu
leiten, verhielt man sich zu allen diesen Bestrebungen von Schwaben aus
kühl, ablehnend, skeptisch, mit Vorbehalten. Man wollte sich freie Hand
wahren, erhob überall besondre Ansprüche, war empfindlich, wo diese nicht be¬
rücksichtigt wurden, und wo man wirklich Theil nahm, geschah es mit halbem
Herzen, mit halben Kräften.

Woher diese Stimmung, die so auffallend abstach von dem rüstigen Eifer,
mit dem man anderwärts an die nationalen Aufgaben ging? Die Nächstliegende
Erklärung ist die, daß da, wo die Aufregung den höchsten Grad erreicht hatte,
auch die Abspannung am größten sein mußte. Bei dem Zwiespalte, der die
beiden deutschen Großmächte auseinanderhielt, was blieb da übrig, als eben nur
wieder die Hoffnung auf jene bequeme Panacee einer allgemeinen Revolution?
Man hätte vielleicht am liebsten die deutschen Angelegenheiten ihren Gang gehen
lassen und etwa mit einem Votum für Kurhessen, mit einer vagen Resolution
in der deutschen Fvage, die man Ehrenhalber nicht umgehen konnte, sich begnügt,
wenn man nicht von auswärts immer wieder angegangen, bestürmt und um¬
schmeichelt worden wäre, so daß man denn doch diesen Bestrebungen sich nicht
ganz entziehen konnte. Allein auch wenn man nun sich anschickte, mit Hand
an die nationale Arbeit zu legen, so zeigte sich bald eine bemerkenswerthe Ver¬
schiedenheit der Ansichten. Während nämlich nach dem Frieden von Villafranca
die Stimmung in Mittel- und Norddeutschland der Natur der Sache nach ent¬
schieden zu Preußens Gunsten umschlug, so war in Schwaben nicht das Gleiche
der Fall. Man war durch das Kriegsgeschrei für Oestreich gleichsam engagirt,
der großdeutsche Gedanke hatte sich, wie unmöglich er auch zu verwirklichen war,
durch unablässige Wiederholung tief in den Gemüthern befestigt, der unsichere
Gang der preußischen Politik wußte sich keine Achtung, viel weniger Sympathie
zu erwerben, während andrerseits in Oestreich sich ein hoffnungsvolles cvnsti-
tutionelles Leben zu. entwickeln schien. Gleichwohl fühlte man sich im Grund«


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[0373] reich eintreten solle, die Führerschaft dagegen unbedingt an Preußen als den mächtigsten reindeutschen Staat zu überlassen wäre. Der fruchtbare Keim wurde aber zertreten durch den Frieden von Villafranca. Als dann später, nach dem Frieden, verwandte Bestrebungen wieder aufgenommen wurden, dieselben, welche zur Gründung des Nationalvereins führten, geschah es unter weit un¬ günstigeren Verhältnissen. Damals, vor dem Frieden, hätten sie auf die Unterstützung von ganz Schwaben zählen dürfen, nach dem Frieden trat hier ganz dieselbe trostlose Abspannung ein, wie vor dem Jahr 1859. Der Rück- fall vollzog sich noch weit schneller als die Erhebung gewesen war, er war das Werk eines Tages. Und während in Mittel- und Norddeutschland nun die patriotischen Männer die Aufgabe darein setzten, der um sich greifenden Mut¬ losigkeit zu steuern und von dem Aufschwung des deutschen Volks zu retten, was möglich war, um es in die Bahn einer allgemeinen Reformbewegung zu leiten, verhielt man sich zu allen diesen Bestrebungen von Schwaben aus kühl, ablehnend, skeptisch, mit Vorbehalten. Man wollte sich freie Hand wahren, erhob überall besondre Ansprüche, war empfindlich, wo diese nicht be¬ rücksichtigt wurden, und wo man wirklich Theil nahm, geschah es mit halbem Herzen, mit halben Kräften. Woher diese Stimmung, die so auffallend abstach von dem rüstigen Eifer, mit dem man anderwärts an die nationalen Aufgaben ging? Die Nächstliegende Erklärung ist die, daß da, wo die Aufregung den höchsten Grad erreicht hatte, auch die Abspannung am größten sein mußte. Bei dem Zwiespalte, der die beiden deutschen Großmächte auseinanderhielt, was blieb da übrig, als eben nur wieder die Hoffnung auf jene bequeme Panacee einer allgemeinen Revolution? Man hätte vielleicht am liebsten die deutschen Angelegenheiten ihren Gang gehen lassen und etwa mit einem Votum für Kurhessen, mit einer vagen Resolution in der deutschen Fvage, die man Ehrenhalber nicht umgehen konnte, sich begnügt, wenn man nicht von auswärts immer wieder angegangen, bestürmt und um¬ schmeichelt worden wäre, so daß man denn doch diesen Bestrebungen sich nicht ganz entziehen konnte. Allein auch wenn man nun sich anschickte, mit Hand an die nationale Arbeit zu legen, so zeigte sich bald eine bemerkenswerthe Ver¬ schiedenheit der Ansichten. Während nämlich nach dem Frieden von Villafranca die Stimmung in Mittel- und Norddeutschland der Natur der Sache nach ent¬ schieden zu Preußens Gunsten umschlug, so war in Schwaben nicht das Gleiche der Fall. Man war durch das Kriegsgeschrei für Oestreich gleichsam engagirt, der großdeutsche Gedanke hatte sich, wie unmöglich er auch zu verwirklichen war, durch unablässige Wiederholung tief in den Gemüthern befestigt, der unsichere Gang der preußischen Politik wußte sich keine Achtung, viel weniger Sympathie zu erwerben, während andrerseits in Oestreich sich ein hoffnungsvolles cvnsti- tutionelles Leben zu. entwickeln schien. Gleichwohl fühlte man sich im Grund«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/373>, abgerufen am 06.02.2025.