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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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war ohnedies in jenen Zeiten wenig zu thun; die Demokratie glaubte einen
sicheren Boden zu haben, indem sie sich auf die Reichsverfassung steifte, in
Wahrheit kehrte sie sich damit mehr und mehr von den realen Verhältnissen
ab und gewöhnte sich in eine Stimmung hoffnungsloser Negation. Der Pes¬
simismus war vielleicht nirgends stärker und allgemeiner als in Schwaben,
wenn auch nur Wenige sich grundsätzlich jeder politischen Thätigkeit enthielten.
Man erzählte scherzend von einer bekannten Persönlichkeit, er sehe jeden Mor¬
gen zum Fenster heraus, ob noch keine Revolution ausgebrochen sei. Die
Anekdote charakterisirt vortrefflich die allgemeine Stimmung, die dahin ging,
daß ohne eine Revolution nichts zu hoffen sei.

Es kam die Krisis des Jahres 1859. Der Umschwung in Preußen hatte
kalt gelassen, aber der italienische Krieg ergriff die Bevölkerung aufs nach- "
baldigste. Es war, als sei man froh, nach der langen, gedrückten Schwüle
wieder einer Aufregung sich hingeben zu dürfen. Man griff begierig nach
einem Pathos, und>man fand es in der Begeisterung für Oestreich, oder rich¬
tiger für eine gesammtdeutsche Action gegen Frankreich. Die Agitation der
süddeutschen Presse fand den lebhaftesten Anklang in der Bevölkerung selbst,
und eine Zeit lang schienen alle Parteiunterschiede zu verschwinden in dem alles
absorbirenden Gefühle, dessen man sich als eines wahrhaft nationalen bewußt
war. Eben als dieses Gefühl sich zu klären begann, trat der Friedensschluß
von Villafranca dazwischen, der wie der allgemeinen Politik, so auch der po¬
litischen Stimmung in Deutschland eine neue Wendung gab, und von welchem
sich die heutigen Parteistellungen datiren.

Es kann heute kein Zweifel mehr sein über die wahre Bedeutung dieser
süddeutschen Kriegsagitation, von welcher die große Menge im besten Glauben
befangen war, wahrend nur die berechnenden Leiter wußten, was sie wollten;
es kann heute kein Zweifel sein, daß, so wie die politischen Verhältnisse lagen,
es für Preußen unmöglich war, den Wünschen Oestreichs gemäß sich in den
Krieg zu stürzen, und daß es, als es seinen eigenen und den deutschen Inter¬
essen gemäß schließlich dazu bereit war, von Oestreich selbst daran verhindert
wurde.

Allein blickt man vom Standpunkt der heutigen Spaltung Deutschlands, die
durch diese Ereignisse fast unheilbar geworden, auf jene Tage zurück, so muß
man doch aufs tiefste den Gang der Dinge beklagen, der es mit sich brachte,
daß jene einmüthige Erhebung des Volksgeistes in Süddeutschland ohne jedes
Resultat verpuffte und so schnell in das Gegentheil umschlug. Man erinnert
sich jener Bestrebungen, die unmittelbar vor dem Frieden von Villafranca an
mehren Orten Deutschlands fast gleichzeitig hervortraten, und die ein Kom¬
promiß der bis dahin sich so feindlich befehdenden Parteien in sich schlossen,
ein Compromiß, das dahin ging, daß Deutschland in den Kampf gegen Frank-


war ohnedies in jenen Zeiten wenig zu thun; die Demokratie glaubte einen
sicheren Boden zu haben, indem sie sich auf die Reichsverfassung steifte, in
Wahrheit kehrte sie sich damit mehr und mehr von den realen Verhältnissen
ab und gewöhnte sich in eine Stimmung hoffnungsloser Negation. Der Pes¬
simismus war vielleicht nirgends stärker und allgemeiner als in Schwaben,
wenn auch nur Wenige sich grundsätzlich jeder politischen Thätigkeit enthielten.
Man erzählte scherzend von einer bekannten Persönlichkeit, er sehe jeden Mor¬
gen zum Fenster heraus, ob noch keine Revolution ausgebrochen sei. Die
Anekdote charakterisirt vortrefflich die allgemeine Stimmung, die dahin ging,
daß ohne eine Revolution nichts zu hoffen sei.

Es kam die Krisis des Jahres 1859. Der Umschwung in Preußen hatte
kalt gelassen, aber der italienische Krieg ergriff die Bevölkerung aufs nach- »
baldigste. Es war, als sei man froh, nach der langen, gedrückten Schwüle
wieder einer Aufregung sich hingeben zu dürfen. Man griff begierig nach
einem Pathos, und>man fand es in der Begeisterung für Oestreich, oder rich¬
tiger für eine gesammtdeutsche Action gegen Frankreich. Die Agitation der
süddeutschen Presse fand den lebhaftesten Anklang in der Bevölkerung selbst,
und eine Zeit lang schienen alle Parteiunterschiede zu verschwinden in dem alles
absorbirenden Gefühle, dessen man sich als eines wahrhaft nationalen bewußt
war. Eben als dieses Gefühl sich zu klären begann, trat der Friedensschluß
von Villafranca dazwischen, der wie der allgemeinen Politik, so auch der po¬
litischen Stimmung in Deutschland eine neue Wendung gab, und von welchem
sich die heutigen Parteistellungen datiren.

Es kann heute kein Zweifel mehr sein über die wahre Bedeutung dieser
süddeutschen Kriegsagitation, von welcher die große Menge im besten Glauben
befangen war, wahrend nur die berechnenden Leiter wußten, was sie wollten;
es kann heute kein Zweifel sein, daß, so wie die politischen Verhältnisse lagen,
es für Preußen unmöglich war, den Wünschen Oestreichs gemäß sich in den
Krieg zu stürzen, und daß es, als es seinen eigenen und den deutschen Inter¬
essen gemäß schließlich dazu bereit war, von Oestreich selbst daran verhindert
wurde.

Allein blickt man vom Standpunkt der heutigen Spaltung Deutschlands, die
durch diese Ereignisse fast unheilbar geworden, auf jene Tage zurück, so muß
man doch aufs tiefste den Gang der Dinge beklagen, der es mit sich brachte,
daß jene einmüthige Erhebung des Volksgeistes in Süddeutschland ohne jedes
Resultat verpuffte und so schnell in das Gegentheil umschlug. Man erinnert
sich jener Bestrebungen, die unmittelbar vor dem Frieden von Villafranca an
mehren Orten Deutschlands fast gleichzeitig hervortraten, und die ein Kom¬
promiß der bis dahin sich so feindlich befehdenden Parteien in sich schlossen,
ein Compromiß, das dahin ging, daß Deutschland in den Kampf gegen Frank-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/372>, abgerufen am 05.02.2025.