Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.reiches zu suchen. Rom aber mochte man recht Wohl als eine Stadt dieses Zum ersten Male seit der Völkerwanderung war damals für das christliche 42"
reiches zu suchen. Rom aber mochte man recht Wohl als eine Stadt dieses Zum ersten Male seit der Völkerwanderung war damals für das christliche 42"
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0339" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114653"/> <p xml:id="ID_1354" prev="#ID_1353"> reiches zu suchen. Rom aber mochte man recht Wohl als eine Stadt dieses<lb/> neuen Reiches, seinen Bischof als den ersten Geistlichen desselben ansehn.<lb/> Mehre Reisen der Päpste nach dem Norte» der Alpen, öftere Züge der Fran¬<lb/> ken nach Italien, ein außerordentlich gesteigerter, weltlicher und kirchlicher Ver¬<lb/> kehr mit der ewigen Stadt selbst, die ncugeweckten Studien der classischen Li¬<lb/> teratur und der Kirchenväter hatten der Erinnerung an den römischen Namen,<lb/> der als Name des alten Weltreiches noch dunkel im Gedächtnisse der Menschen<lb/> ruhte, neues Licht und Leben verliehen. Und so erklärt sich denn sehr einfach<lb/> die auffallende Thatsache, daß drei Jahrhunderte nachdem das alte Römerreich<lb/> im Abendlande vor den Germanen zu Grunde gegangen, der größte, ja fast<lb/> einzig übrige germanische König seinen höchsten Stolz darin fand, sich mit der<lb/> römischen Kaiserkrone schmücken und als Wiederhersteller des römischen Reiches<lb/> ausrufen zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1355" next="#ID_1356"> Zum ersten Male seit der Völkerwanderung war damals für das christliche<lb/> Abendland ein Zeitpunkt gekommen, in welchem bevorzugte Geister der nöthigen<lb/> Bildung und Sammlung habhaft werden konnten, um sich an einer Auffassung<lb/> und Gestaltung der in der Außenwelt gegebenen Dinge nach großen, ins All¬<lb/> gemeine hinausgehenden Gedanken zu versuchen. Das Anfängerartige, Schüler¬<lb/> hafte, was fast allen literarischen Productionen der Karolingerzeit anhaftet, gab<lb/> sich natürlich auch in derartigen Idealen zu erkennen; nicht minder auch, daß<lb/> alles allgemeinere Denken nur aus der Kirche seinen Anlaß und Anstoß em¬<lb/> pfing. Das Schema, das man sich machte, war so einfach und einleuchtend,<lb/> wie so manche absolutistische oder demokratische Staatstheorien der Neuzeit.<lb/> Der Begriff der Einen und alleinigen Weltkirche war längst vorhanden. Man<lb/> hatte dazu auf dem Wege der Thatsachen wiederum ein Weltreich bekommen,<lb/> mit dessen Existenz das Heil und die reelle Einheit der Kirche aufs engste zu¬<lb/> sammenzuhängen schien. So lag denn nichts näher als auch für dies Welt¬<lb/> reich jene Einheit und jene ausschließliche Stellung nicht blos wie eine Gabe<lb/> der zufälligen Umstände hinzunehmen, die durch andere Umstände wieder ver¬<lb/> loren gehn könne, sondern als ideales Erforderniß aufzustellen für alle Zeiten<lb/> — die Einheit der Kirche in allcräußerlichflcr Weise aufzufassen und mit der<lb/> Einheit des Reiches ohne Weiteres als dasselbe anzusehn. Nicht mehr blos<lb/> als die gelungene Schöpfung eines siegreichen Volksstammes stellte sich jetzt<lb/> das große fränkische Gemeinwesen dar, sondern eine unendlich höhere Berech¬<lb/> tigung, den Gehorsam und die Treue all seiner Bevölkerungen zu fordern, war<lb/> ihm durch den ewigen Rathschluß und Negierungsplan Gottes gegeben. Natür¬<lb/> lich, daß nun auch die Würde des Mannes, den der Papst zum Kaiser eines<lb/> solchen Reiches gekrönt hatte, einen vom gewöhnlichen Königthume specifisch<lb/> verschiedenen Charakter an sich trug. War schon den gemeinen Königen fast<lb/> alles, wodurch in der Idee ihr Machtbesitz sich von jedem Eigengut unterschied,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 42"</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0339]
reiches zu suchen. Rom aber mochte man recht Wohl als eine Stadt dieses
neuen Reiches, seinen Bischof als den ersten Geistlichen desselben ansehn.
Mehre Reisen der Päpste nach dem Norte» der Alpen, öftere Züge der Fran¬
ken nach Italien, ein außerordentlich gesteigerter, weltlicher und kirchlicher Ver¬
kehr mit der ewigen Stadt selbst, die ncugeweckten Studien der classischen Li¬
teratur und der Kirchenväter hatten der Erinnerung an den römischen Namen,
der als Name des alten Weltreiches noch dunkel im Gedächtnisse der Menschen
ruhte, neues Licht und Leben verliehen. Und so erklärt sich denn sehr einfach
die auffallende Thatsache, daß drei Jahrhunderte nachdem das alte Römerreich
im Abendlande vor den Germanen zu Grunde gegangen, der größte, ja fast
einzig übrige germanische König seinen höchsten Stolz darin fand, sich mit der
römischen Kaiserkrone schmücken und als Wiederhersteller des römischen Reiches
ausrufen zu lassen.
Zum ersten Male seit der Völkerwanderung war damals für das christliche
Abendland ein Zeitpunkt gekommen, in welchem bevorzugte Geister der nöthigen
Bildung und Sammlung habhaft werden konnten, um sich an einer Auffassung
und Gestaltung der in der Außenwelt gegebenen Dinge nach großen, ins All¬
gemeine hinausgehenden Gedanken zu versuchen. Das Anfängerartige, Schüler¬
hafte, was fast allen literarischen Productionen der Karolingerzeit anhaftet, gab
sich natürlich auch in derartigen Idealen zu erkennen; nicht minder auch, daß
alles allgemeinere Denken nur aus der Kirche seinen Anlaß und Anstoß em¬
pfing. Das Schema, das man sich machte, war so einfach und einleuchtend,
wie so manche absolutistische oder demokratische Staatstheorien der Neuzeit.
Der Begriff der Einen und alleinigen Weltkirche war längst vorhanden. Man
hatte dazu auf dem Wege der Thatsachen wiederum ein Weltreich bekommen,
mit dessen Existenz das Heil und die reelle Einheit der Kirche aufs engste zu¬
sammenzuhängen schien. So lag denn nichts näher als auch für dies Welt¬
reich jene Einheit und jene ausschließliche Stellung nicht blos wie eine Gabe
der zufälligen Umstände hinzunehmen, die durch andere Umstände wieder ver¬
loren gehn könne, sondern als ideales Erforderniß aufzustellen für alle Zeiten
— die Einheit der Kirche in allcräußerlichflcr Weise aufzufassen und mit der
Einheit des Reiches ohne Weiteres als dasselbe anzusehn. Nicht mehr blos
als die gelungene Schöpfung eines siegreichen Volksstammes stellte sich jetzt
das große fränkische Gemeinwesen dar, sondern eine unendlich höhere Berech¬
tigung, den Gehorsam und die Treue all seiner Bevölkerungen zu fordern, war
ihm durch den ewigen Rathschluß und Negierungsplan Gottes gegeben. Natür¬
lich, daß nun auch die Würde des Mannes, den der Papst zum Kaiser eines
solchen Reiches gekrönt hatte, einen vom gewöhnlichen Königthume specifisch
verschiedenen Charakter an sich trug. War schon den gemeinen Königen fast
alles, wodurch in der Idee ihr Machtbesitz sich von jedem Eigengut unterschied,
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