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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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nur durch die Kirche gekommen, so trat bei dem Kaiser noch in ganz anderer
Art sowohl ein höherer Anspruch, als auch namentlich eine gewaltigere, mit
der Würde verbundene Verpflichtung hervor. Der Herr der Christenheit hatte
in umfassendster Weise den Zwecken der Kirche zu dienen und, so lange er dies
that, die eifrigen Dienste der Seinigen zu verlangen; in der Bahn, in welcher
Karl der Große die Kaiserkrone gefunden, sollte der mit ihr Geschmückte und
sollten seine Nachkommen festgehalten und gefördert Herden bis ans Ende der
Tage.

Welche Bedeutung dies Karolingerreich und seine Kaiserwürde für die
allgemeine Culturentwicklung Europa's gehabt habe, ist sattsam bekannt und
foll von uns nicht auseinandergesetzt werden. Was, seit einem halben Jahr¬
tausend, in dem Zusammenfluß römischen und germanischen Wesens, von alter
Bildung sich erhalten oder von neuer sich angesetzt hatte, das ward in diesem
Reiche zusammengefaßt zu einer kirchlich-politischen Schöpfung, welche vielleicht
vollständiger, als irgend eine andere, alle überlegeneren Geister, alle idealeren
Bestrebungen ihrer Zeit zu befriedigen und an sich zu fesseln gewußt hat. Die
große Gemeinschaft in Denken und Fühlen, durch welche sich noch heutzutage
alle Völker des Abendlandes wie zu Einer Familie verbunden sehn und in
welche sie wetteifernd die übrigen Theile der Welt hincinziehn -- sie hat sich
wesentlich entfaltet aus den in diesem Reiche gegebenen Keimen. Nur ist auch
ebenso gewiß und in neuerer Zeit mit besonderem Nachdruck betont worden'
diejenige Triebkraft, welche für das Wachsthum dieser Gesammteultur wie für
tausenderlei individuelle Bildungen aus den nationalen Gefühlen der verschie¬
denen ehemals vom Karolingerreiche umfaßten Nationen entsprungen ist, hätte
nimmermehr zur Aeußerung kommen können, wenn dies Reich und die Idee,
auf welcher die neue Kaiserwürde beruhte, sich dauernd in voller Stärke und
Wirksamkeit behauptet hätte. Der entscheidende Punkt hiefür wurde, unter
Karls des Großen Sohne und Nachfolger Ludwig dem Frommen, die Frage
über die Ordnung der Succession. Die Sitte, nach dem Tode eines Königs
das Reich unter alle seine Söhne zu vertheilen, hatte in den Tagen der Merv-
vinger das fränkische Gemeinwesen mit unsäglicher Verwirrung erfüllt und -ganz
vorzüglich dazu beigetragen, es dein völligen Zerfall nahe kommen zu lassen; jetzt
erschien sie als widersprechend sowohl dem Interesse des Reichs, als auch
namentlich dem Gedanken der Kaiserwürde, welche weder selbst eine Theilung
vertrug, noch gestattete, daß neben dem mit ihr Geschmückten noch andere
Herrscher als ihm gleich und als unabhängig von ihm anerkannt würden.
Also sollte denn mit dieser Krone auch die Herrschaft über das ganze Reich
immer nur Einem, zunächst dem ältesten, Sohne des gegenwärtigen Königs als
das ihm zukommende Erbe in Aussicht stehn; den jüngeren waren nur be¬
schränkte Gebiete zugedacht, und auch in diesen hatten sie den ältesten/Lothar,


nur durch die Kirche gekommen, so trat bei dem Kaiser noch in ganz anderer
Art sowohl ein höherer Anspruch, als auch namentlich eine gewaltigere, mit
der Würde verbundene Verpflichtung hervor. Der Herr der Christenheit hatte
in umfassendster Weise den Zwecken der Kirche zu dienen und, so lange er dies
that, die eifrigen Dienste der Seinigen zu verlangen; in der Bahn, in welcher
Karl der Große die Kaiserkrone gefunden, sollte der mit ihr Geschmückte und
sollten seine Nachkommen festgehalten und gefördert Herden bis ans Ende der
Tage.

Welche Bedeutung dies Karolingerreich und seine Kaiserwürde für die
allgemeine Culturentwicklung Europa's gehabt habe, ist sattsam bekannt und
foll von uns nicht auseinandergesetzt werden. Was, seit einem halben Jahr¬
tausend, in dem Zusammenfluß römischen und germanischen Wesens, von alter
Bildung sich erhalten oder von neuer sich angesetzt hatte, das ward in diesem
Reiche zusammengefaßt zu einer kirchlich-politischen Schöpfung, welche vielleicht
vollständiger, als irgend eine andere, alle überlegeneren Geister, alle idealeren
Bestrebungen ihrer Zeit zu befriedigen und an sich zu fesseln gewußt hat. Die
große Gemeinschaft in Denken und Fühlen, durch welche sich noch heutzutage
alle Völker des Abendlandes wie zu Einer Familie verbunden sehn und in
welche sie wetteifernd die übrigen Theile der Welt hincinziehn — sie hat sich
wesentlich entfaltet aus den in diesem Reiche gegebenen Keimen. Nur ist auch
ebenso gewiß und in neuerer Zeit mit besonderem Nachdruck betont worden'
diejenige Triebkraft, welche für das Wachsthum dieser Gesammteultur wie für
tausenderlei individuelle Bildungen aus den nationalen Gefühlen der verschie¬
denen ehemals vom Karolingerreiche umfaßten Nationen entsprungen ist, hätte
nimmermehr zur Aeußerung kommen können, wenn dies Reich und die Idee,
auf welcher die neue Kaiserwürde beruhte, sich dauernd in voller Stärke und
Wirksamkeit behauptet hätte. Der entscheidende Punkt hiefür wurde, unter
Karls des Großen Sohne und Nachfolger Ludwig dem Frommen, die Frage
über die Ordnung der Succession. Die Sitte, nach dem Tode eines Königs
das Reich unter alle seine Söhne zu vertheilen, hatte in den Tagen der Merv-
vinger das fränkische Gemeinwesen mit unsäglicher Verwirrung erfüllt und -ganz
vorzüglich dazu beigetragen, es dein völligen Zerfall nahe kommen zu lassen; jetzt
erschien sie als widersprechend sowohl dem Interesse des Reichs, als auch
namentlich dem Gedanken der Kaiserwürde, welche weder selbst eine Theilung
vertrug, noch gestattete, daß neben dem mit ihr Geschmückten noch andere
Herrscher als ihm gleich und als unabhängig von ihm anerkannt würden.
Also sollte denn mit dieser Krone auch die Herrschaft über das ganze Reich
immer nur Einem, zunächst dem ältesten, Sohne des gegenwärtigen Königs als
das ihm zukommende Erbe in Aussicht stehn; den jüngeren waren nur be¬
schränkte Gebiete zugedacht, und auch in diesen hatten sie den ältesten/Lothar,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/340>, abgerufen am 26.08.2024.