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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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ragenden politischen Schriftstellers hinzugefügt durch die kleine Schrift, deren
Gegenstand gleichfalls die Vorfälle der Romagna waren und worin neben ent¬
schiedenster Mißbilligung der Jnsurrection die Schilderung der Mißbräuche der
päpstlichen Regierung nur um so greller hervortrat. Beide Männer hatten sich
in Genua bei der Gelehrtenversammlung häusig mit einander besprochen und
aus diesen Unterredungen ging der Gedanke hervor, das Aergerniß jener Partei-
streitigteiten durch eine doppelte Arbeit beizulegen, worin Demokraten und
Aristokraten mit gerechtem Maße gemessen werden sollten. Farini als Mann
des Volks übernahm es die Sache der Aristokratie zu führen, Massimo d'Azegliv,
jeder Zoll ein Edelmann, die der Demokraten. In der Ausführung geschah
es freilich, daß im Grund beide Arbeiten, welche im Frühjahr 1847 in der
Anthologie erschienen, der Vertheidigung der Aristokratie gewidmet waren.
Die Argumente, mit denen es geschah, haben heute unter so ganz veränderten
Umständen keinen Werth mehr, damals aber jrugcn sie allerdings dazu bei, die
bestehende Spannung zu mildern, und die Anthologie zählte bald Mitarbeiter
unter den eigentlichen Demokraten, während andrerseits der bessere Theil deö
Adels sich von der Schaar der Höflinge trennte und dem Beispiele Baibo's
und d'Azegliv's folgte.

Valeriv selbst aber und seine nächsten Anhänger waren nicht zu bessern;
sie setzten ihren Krieg gegen die Aristokratie fort, indem sie namentlich die
häßlichsten Verleumdungen gegen Camillo Cavour schleuderten. Sie verschrieen
ihn als einen Monopolisten und geizigen Wucherer, zu derselben Zeit, wo
dieser seine weitblickenden freihändlerischen Ideen in einem Aussatz "über den
Einfluß der neuen englischen Handelspolitik auf die ökonomische Welt und
auf Italien insbesondere" niederlegte; Verläumdungen, die, wie grundlos sie
waren, in späterer Zeit von der reactionären Presse anderer Länder gierig auf¬
genommen und wiederholt wurden.

Ein weiteres Moment brachte in die geistige Bewegung Gioberti's sieben-
bändiges Werk: "Der moderne Jesuit", das mit um so größerer Spannung
erwartet wurde, als die Anthologie zuvor ein Capitel daraus "Von der christ¬
lichen Civilisation" mitgetheilt hatte. Die Polizei war so begierig darauf, baß
sie während des Drucks, der in Lausanne geschah, einen Arbeiter bestach, der
ein Exemplar der zwei ersten Bände entwenden und nach Turin schicken sollte.
Als es hier eröffnet wurde, zeigte sich freilich, daß dem Dieb begegnet war, an¬
statt ein vollständiges Exemplar, vielmehr viele Exemplare eines und desselben
Bogens zu erwischen.

Der Erste, der das Buch las, war der König. Sobald ein Band gedruckt
war, wurde er an Promis abgeschickt, der ihn sogleich dem König mittheilte,
und von diesem gelangte er in die Hände Balbv's. Der Eindruck war ein ge¬
mischter. Der König mißbilligte die heftige Polemik und die scharfen Ausfälle


ragenden politischen Schriftstellers hinzugefügt durch die kleine Schrift, deren
Gegenstand gleichfalls die Vorfälle der Romagna waren und worin neben ent¬
schiedenster Mißbilligung der Jnsurrection die Schilderung der Mißbräuche der
päpstlichen Regierung nur um so greller hervortrat. Beide Männer hatten sich
in Genua bei der Gelehrtenversammlung häusig mit einander besprochen und
aus diesen Unterredungen ging der Gedanke hervor, das Aergerniß jener Partei-
streitigteiten durch eine doppelte Arbeit beizulegen, worin Demokraten und
Aristokraten mit gerechtem Maße gemessen werden sollten. Farini als Mann
des Volks übernahm es die Sache der Aristokratie zu führen, Massimo d'Azegliv,
jeder Zoll ein Edelmann, die der Demokraten. In der Ausführung geschah
es freilich, daß im Grund beide Arbeiten, welche im Frühjahr 1847 in der
Anthologie erschienen, der Vertheidigung der Aristokratie gewidmet waren.
Die Argumente, mit denen es geschah, haben heute unter so ganz veränderten
Umständen keinen Werth mehr, damals aber jrugcn sie allerdings dazu bei, die
bestehende Spannung zu mildern, und die Anthologie zählte bald Mitarbeiter
unter den eigentlichen Demokraten, während andrerseits der bessere Theil deö
Adels sich von der Schaar der Höflinge trennte und dem Beispiele Baibo's
und d'Azegliv's folgte.

Valeriv selbst aber und seine nächsten Anhänger waren nicht zu bessern;
sie setzten ihren Krieg gegen die Aristokratie fort, indem sie namentlich die
häßlichsten Verleumdungen gegen Camillo Cavour schleuderten. Sie verschrieen
ihn als einen Monopolisten und geizigen Wucherer, zu derselben Zeit, wo
dieser seine weitblickenden freihändlerischen Ideen in einem Aussatz „über den
Einfluß der neuen englischen Handelspolitik auf die ökonomische Welt und
auf Italien insbesondere" niederlegte; Verläumdungen, die, wie grundlos sie
waren, in späterer Zeit von der reactionären Presse anderer Länder gierig auf¬
genommen und wiederholt wurden.

Ein weiteres Moment brachte in die geistige Bewegung Gioberti's sieben-
bändiges Werk: „Der moderne Jesuit", das mit um so größerer Spannung
erwartet wurde, als die Anthologie zuvor ein Capitel daraus „Von der christ¬
lichen Civilisation" mitgetheilt hatte. Die Polizei war so begierig darauf, baß
sie während des Drucks, der in Lausanne geschah, einen Arbeiter bestach, der
ein Exemplar der zwei ersten Bände entwenden und nach Turin schicken sollte.
Als es hier eröffnet wurde, zeigte sich freilich, daß dem Dieb begegnet war, an¬
statt ein vollständiges Exemplar, vielmehr viele Exemplare eines und desselben
Bogens zu erwischen.

Der Erste, der das Buch las, war der König. Sobald ein Band gedruckt
war, wurde er an Promis abgeschickt, der ihn sogleich dem König mittheilte,
und von diesem gelangte er in die Hände Balbv's. Der Eindruck war ein ge¬
mischter. Der König mißbilligte die heftige Polemik und die scharfen Ausfälle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/306>, abgerufen am 05.02.2025.