Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.Es war ein schöner Tag, der einzige belle Sommertag, dessen ich mich seit Es war ein schöner Tag, der einzige belle Sommertag, dessen ich mich seit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114607"/> <p xml:id="ID_1214" next="#ID_1215"> Es war ein schöner Tag, der einzige belle Sommertag, dessen ich mich seit<lb/> Pfingsten entsinne. Meine Karte, die auf einen Platz in, der Nähe des<lb/> Orchesters, ans der Seite der Lasse lautete, hatte ich schon Anfang März ge¬<lb/> tauft, der Platz war bald gefunden, und so hatte ich noch über ein,e Stunde Zeit,<lb/> das Textbuch und den kleinen Clavierauszug des Oratoriums, den man an dem<lb/> Eingange für zwei Schilling kaufte, zu studiren. Gegen 1 Uhr Mittags war<lb/> der Palast so ziemlich gefüllt. Alle Sitze vor dem Orchester in dem großen<lb/> Transept waren Sperrsitze zu dem enormen Preise von 1 Guinee oder für die<lb/> drei Concerte 2'/z Guineen (17'/s Thlr. preuß.). Diese umschließend und zu<lb/> beiden Seiten ziemlich weit hinausgehend waren '/s Guinecnplätze und der<lb/> ganze übrige Theil des großen Naum'es war geöffnet für 5 Schillinge. Das<lb/> große Transept mit seinen 8000 Plätzen war in eine Süd- und eine Nordhälfte<lb/> und jede dieser Hälften wieder in eine gleiche Anzahl von Quarrvs getheilt,<lb/> die cvrrespvndirend mit einfachen und Doppelbuchstaben bezeichnet waren. Chor<lb/> und Orchester ordnete sich diesmal schneller als in der Probe, und präcise 1 Uhr<lb/> erschien Costa vor seinem Dirigentenpult, begrüßt von der jubelnden Menge.<lb/> Di^ Solisten, Lieblinge des Publicums, nahmen, ebenfalls mit lautem und<lb/> freudigem Zuruf begrüßt, ihre Plätze neben Costa ein. Auf des letzteren ener¬<lb/> gisches Klopfen erhob sich die ganze Menge, der verhängnißvolle Trommelwirbel<lb/> ertönte, und die Soprane begannen mit dem großen „Koa s^rvo Ul<! husirr".<lb/> Sie hat eine eigenthümliche Macht über mich ^lese edle und große Melodie,<lb/> eine Macht, die nach jedesmaligem Hören sich steigerte. Wie in der Probe saug<lb/> der Alt den zweiten und der ganze Chor den dritten Vers, die Zuhörermasse,<lb/> die bis dahin gestanden, setzte sich wieder, und bald darauf erklangen die ersten<lb/> Töne der Ouvertüre zum Messias. Die Pianissimo-Wiederholung des ein¬<lb/> leitenden langsamen Satzes ward vortrefflich gespielt und ließ keinen Zweifel<lb/> über die Fähigkeit des Orchesters. Die Einsätze der »8 Geigen und nachher<lb/> der 75 Contrabässe in dem folgenden fugirten Allegro kamen mit einer wahr¬<lb/> haft überwältigenden Präcision und Bestimmtheit. Die erste Arie „»zö'r^<lb/> oil-Ile;/ »Juli i)L oxnltcul mit dem vorhergehenden Recitativ: „come'ol't z^s no<lb/> xLoplcz" wurde von Sims Reeves gesungen. Derselbe ist unbestritten einer<lb/> der besten jetzt lebenden Tenoristen; er besitzt eine klangvolle kräftige Stimme<lb/> von einem mehr lyrischen Charakter, ist eine durch und durch musikalische Na¬<lb/> tur, hat eine schöne Tonbildung und macht, was man leider selten hört, das<lb/> nicht eben sehr sangbare englische Idiom durch seine bestimmte klare Aussprache zu<lb/> einem im Gesänge wohllautenden. Einen Fehler freilich, den man fast bei jedem<lb/> englischen Solisten rügen muß, besitzt auch er, doch nicht in so hohem Grade,<lb/> als andere. Einem schönen Tone in ihrer Stimme zu Liebe hört man sie oft<lb/> die Pietät, die sie einem Meister wie Händel schulden, ganz bei Seite setzen,<lb/> willkürlich ändern sie manche Passagen aus dein rein selbstischen Motiv, weil</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0293]
Es war ein schöner Tag, der einzige belle Sommertag, dessen ich mich seit
Pfingsten entsinne. Meine Karte, die auf einen Platz in, der Nähe des
Orchesters, ans der Seite der Lasse lautete, hatte ich schon Anfang März ge¬
tauft, der Platz war bald gefunden, und so hatte ich noch über ein,e Stunde Zeit,
das Textbuch und den kleinen Clavierauszug des Oratoriums, den man an dem
Eingange für zwei Schilling kaufte, zu studiren. Gegen 1 Uhr Mittags war
der Palast so ziemlich gefüllt. Alle Sitze vor dem Orchester in dem großen
Transept waren Sperrsitze zu dem enormen Preise von 1 Guinee oder für die
drei Concerte 2'/z Guineen (17'/s Thlr. preuß.). Diese umschließend und zu
beiden Seiten ziemlich weit hinausgehend waren '/s Guinecnplätze und der
ganze übrige Theil des großen Naum'es war geöffnet für 5 Schillinge. Das
große Transept mit seinen 8000 Plätzen war in eine Süd- und eine Nordhälfte
und jede dieser Hälften wieder in eine gleiche Anzahl von Quarrvs getheilt,
die cvrrespvndirend mit einfachen und Doppelbuchstaben bezeichnet waren. Chor
und Orchester ordnete sich diesmal schneller als in der Probe, und präcise 1 Uhr
erschien Costa vor seinem Dirigentenpult, begrüßt von der jubelnden Menge.
Di^ Solisten, Lieblinge des Publicums, nahmen, ebenfalls mit lautem und
freudigem Zuruf begrüßt, ihre Plätze neben Costa ein. Auf des letzteren ener¬
gisches Klopfen erhob sich die ganze Menge, der verhängnißvolle Trommelwirbel
ertönte, und die Soprane begannen mit dem großen „Koa s^rvo Ul<! husirr".
Sie hat eine eigenthümliche Macht über mich ^lese edle und große Melodie,
eine Macht, die nach jedesmaligem Hören sich steigerte. Wie in der Probe saug
der Alt den zweiten und der ganze Chor den dritten Vers, die Zuhörermasse,
die bis dahin gestanden, setzte sich wieder, und bald darauf erklangen die ersten
Töne der Ouvertüre zum Messias. Die Pianissimo-Wiederholung des ein¬
leitenden langsamen Satzes ward vortrefflich gespielt und ließ keinen Zweifel
über die Fähigkeit des Orchesters. Die Einsätze der »8 Geigen und nachher
der 75 Contrabässe in dem folgenden fugirten Allegro kamen mit einer wahr¬
haft überwältigenden Präcision und Bestimmtheit. Die erste Arie „»zö'r^
oil-Ile;/ »Juli i)L oxnltcul mit dem vorhergehenden Recitativ: „come'ol't z^s no
xLoplcz" wurde von Sims Reeves gesungen. Derselbe ist unbestritten einer
der besten jetzt lebenden Tenoristen; er besitzt eine klangvolle kräftige Stimme
von einem mehr lyrischen Charakter, ist eine durch und durch musikalische Na¬
tur, hat eine schöne Tonbildung und macht, was man leider selten hört, das
nicht eben sehr sangbare englische Idiom durch seine bestimmte klare Aussprache zu
einem im Gesänge wohllautenden. Einen Fehler freilich, den man fast bei jedem
englischen Solisten rügen muß, besitzt auch er, doch nicht in so hohem Grade,
als andere. Einem schönen Tone in ihrer Stimme zu Liebe hört man sie oft
die Pietät, die sie einem Meister wie Händel schulden, ganz bei Seite setzen,
willkürlich ändern sie manche Passagen aus dein rein selbstischen Motiv, weil
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |