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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Mitbürgern von der Gegenwart und der Zukunft reden, erheben wir immer
aufs Neue wieder den Ruf nach Association."

Ein weiterer Umstand kam dazu, den König damals gegen Oestreich zu
erbittern. Seit langer Zeit halte die Negierung die Ermächtigung der römi¬
schen Curie zu einer unbedeutenden kirchlichen Reform nachgesucht; es handelte
sich hauptsächlich um die Gleichmachung der kirchlichen Steuern auf der Insel
Sardinien und aus dem Festland. Da kam nun nach zwei Jahren Plötzlich
ein Bescheid aus Rom, worin alles, was in Sardinien geschehen, in ziemlich
herber Form mißbilligt wurde. Es war kein Zweifel, daß östreichischer Einfluß
auch, hinter diesem Bescheid stand, und diese Gewißheit war es, welche den
König jetzt allmälig auch gegen die religiösen Bedenklichkeiten unzugänglicher
machte. Dle Idee der italienischen Nationalltcit schien um diese Zeit immer
mehr Wurzel bei ihm zu fassen, und in seinen vertrauten Briefen an den
Minister Billamarina schrieb er damals: "Im Uebrigen bin ich, wie es auch
kommen mag, bereit für den Willen der Vorsehung, und es wäre mir eine
Herzenslust, wenn man unsre nationale Unabhängigkeit antasten wollte. Man
wird alsdann sehen, messen ich fähig bin."

Wie wenig indessen diese Stimmungen schon dauernde Krähe bei ihm ge¬
wonnen hatten, sollte sich eben in diesen Tagen aus schlagende Weise zeigen.

Die Demonstrationen hatten ihren Fortgang. Hymnen an den König,
patriotische Kriegslieder liefen um, und es herrschte ein allgemeiner Enthusias¬
mus, welchem endlich in einer großen feierlichen Kundgebung Ausdruck verliehe"
werden sollte. Am 4. Mai wollte der König eine Revue abhalten. Diese Ge¬
legenheit sollte benutzt, ein Zug der Turiner Jugend veranstaltet, Hymnen ge¬
sungen und der König von der versammelten Stenge als König von Italien
begrüßt werden. Als diese Zulüftungen bekannt mürden, bot die reactionäre
Partei alles auf, um dem König abzurathen, sich in die Mitte einer so unge¬
ordneten,, exaltirten Menge zu begeben. Lauge stand er schwankend,-ob er dem
Haß oder der Furcht vor Oestreich nachgeben solle, alö 'Marschall Latour erschien
und sagte: "Majestät, wir befinden uns in voller Revolution und die Revo¬
lutionäre sind wir alle. Die östreichische Gesandtschaft sagt, sie wisse seit ge¬
stern, daß von uns eine Ovation für den König von Italien organisirt weide
und habe darüber nach Wien berichtet, Wollen wir dieser Berläumdung de"
Schein der Wahrheit geben?" Dies wirkte, und der König gab Befehl, die Trup¬
pen für diesen Tag zu entlassen. Gleich darauf kam aber Billamarina, um dein
König dringend zuzureden, nicht den Schein auf sich zu laden, als fürchte el
die Liebe seiner Unterthanen. Jetzt änderte er seinen Entschluß, kam die Treppe
seines Palastes herab und wollte eben das Pferd besteigen, als man ihm mel¬
dete, daß in Folge seines Befehls die Truppe" bereits auseinandergingen.

So hatte die Reaction die Kundgebung zu vereiteln gewußt. Das Voll


Mitbürgern von der Gegenwart und der Zukunft reden, erheben wir immer
aufs Neue wieder den Ruf nach Association."

Ein weiterer Umstand kam dazu, den König damals gegen Oestreich zu
erbittern. Seit langer Zeit halte die Negierung die Ermächtigung der römi¬
schen Curie zu einer unbedeutenden kirchlichen Reform nachgesucht; es handelte
sich hauptsächlich um die Gleichmachung der kirchlichen Steuern auf der Insel
Sardinien und aus dem Festland. Da kam nun nach zwei Jahren Plötzlich
ein Bescheid aus Rom, worin alles, was in Sardinien geschehen, in ziemlich
herber Form mißbilligt wurde. Es war kein Zweifel, daß östreichischer Einfluß
auch, hinter diesem Bescheid stand, und diese Gewißheit war es, welche den
König jetzt allmälig auch gegen die religiösen Bedenklichkeiten unzugänglicher
machte. Dle Idee der italienischen Nationalltcit schien um diese Zeit immer
mehr Wurzel bei ihm zu fassen, und in seinen vertrauten Briefen an den
Minister Billamarina schrieb er damals: „Im Uebrigen bin ich, wie es auch
kommen mag, bereit für den Willen der Vorsehung, und es wäre mir eine
Herzenslust, wenn man unsre nationale Unabhängigkeit antasten wollte. Man
wird alsdann sehen, messen ich fähig bin."

Wie wenig indessen diese Stimmungen schon dauernde Krähe bei ihm ge¬
wonnen hatten, sollte sich eben in diesen Tagen aus schlagende Weise zeigen.

Die Demonstrationen hatten ihren Fortgang. Hymnen an den König,
patriotische Kriegslieder liefen um, und es herrschte ein allgemeiner Enthusias¬
mus, welchem endlich in einer großen feierlichen Kundgebung Ausdruck verliehe»
werden sollte. Am 4. Mai wollte der König eine Revue abhalten. Diese Ge¬
legenheit sollte benutzt, ein Zug der Turiner Jugend veranstaltet, Hymnen ge¬
sungen und der König von der versammelten Stenge als König von Italien
begrüßt werden. Als diese Zulüftungen bekannt mürden, bot die reactionäre
Partei alles auf, um dem König abzurathen, sich in die Mitte einer so unge¬
ordneten,, exaltirten Menge zu begeben. Lauge stand er schwankend,-ob er dem
Haß oder der Furcht vor Oestreich nachgeben solle, alö 'Marschall Latour erschien
und sagte: „Majestät, wir befinden uns in voller Revolution und die Revo¬
lutionäre sind wir alle. Die östreichische Gesandtschaft sagt, sie wisse seit ge¬
stern, daß von uns eine Ovation für den König von Italien organisirt weide
und habe darüber nach Wien berichtet, Wollen wir dieser Berläumdung de»
Schein der Wahrheit geben?" Dies wirkte, und der König gab Befehl, die Trup¬
pen für diesen Tag zu entlassen. Gleich darauf kam aber Billamarina, um dein
König dringend zuzureden, nicht den Schein auf sich zu laden, als fürchte el
die Liebe seiner Unterthanen. Jetzt änderte er seinen Entschluß, kam die Treppe
seines Palastes herab und wollte eben das Pferd besteigen, als man ihm mel¬
dete, daß in Folge seines Befehls die Truppe» bereits auseinandergingen.

So hatte die Reaction die Kundgebung zu vereiteln gewußt. Das Voll


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/246>, abgerufen am 01.07.2024.