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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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größeren volkswirtschaftlichen Verhältnissen vertraute und in deren Behand¬
lung geübte Verwaltung auszeichnen. Glücklicher als in seinen Bestrebungen
für Bundesreform erfaßte Herr von Reuse die Angelegenheit des Handelsver¬
trags in ihrer vollen Bedeutung und sprach seine Ueberzeugung mit Klarheit
und Wärme aus. Er verschmähte jenes kleinliche Gebahren, welches das Rechte
und Unabweisbare, weil es von Preußen kommt, gleichsam mit Widerwillen
ansieht, und seine Betheiligung als eine Gelegenheit benutzt, um durch Hin¬
halten und Bemängeln sich die Befriedigung eines an Preußen gekühlten
Müthchens zu verschaffen. Das nicht allein verständige, sondern auch anstän¬
dige Benehmen der sächsischen Regierung wird in der Geschichte des Zollvereins
unvergessen bleiben. Die Kammern widmeten den Verträgen, so wie den in
zahlreichen Petitionen vorgetragenen Bedenken und Wünschen der Industrie
eine gründliche Berathung und sprachen am Schlüsse derselben ihre Genehmi¬
gung einstimmig aus. Seither haben noch einige Regierungen ihren Bei¬
tritt erklärt, der Landtag des Herzogthums Coburg-Gotha hat die Vorlagen
ebenfalls einstimmig genehmigt, in Baden steht ein gleicher Beschluß in der
nächsten Zeit zu erwarten. Anders verhält es sich mit den übrigen Mittel¬
staaten, Bayern, Württemberg, Hannover, dann mit beiden Hessen und Nassau.
Die hannöversche Negierung scheint sich einfach auf das Zuwarten zu verlegen,
um schließlich zu thun, was sie nicht wird lassen können. Die übrigen hielten
Rath in München, um zu überlegen, ob es denn gar nicht möglich sei, Nein
zu sagen. Aber selbst die kühnsten Politiker der Würzburger Koalition wagten
es nicht, , dem Wohlstande der Bevölkerungen durch die Auflösung des Zoll¬
vereins, der nothwendigen Folge einer Ablehnung des Handelsvertrags, sie
wagten es noch weniger, den Landessinanzen die gefährlichsten Wunden zu
schlagen, indem sie die mühsam errungene wirthschaftliche Einigung Deutschlands
leichtfertig zerrissen-, sie sanden es bedenklich, die Verantwortlichkeit für solche
That zu übernehmen, die schwer aus ihnen lasten mußte, 'sobald die Folgen
derselben über die durch Preußenhaß bethörte, und durch die Presse in Verblen¬
dung gehaltene Menge hereinbrechen würden. Keiner hatte die Verwegenheit,
dem Drange der Leidenschaft folgend, durch fein Veto gegen den Handelsver¬
trag den Zollvcrband zu zerreißen, wenn nicht helfend und schützend --
Oestreich eintrat. In Wien hätte man es ohne Zweifel lieber gesehen, wenn
die Würzburger für sich allein an den Zollverein Hand angelegt und seinem
Leben ein Ende gemacht hätten. Allein sie wagten es nicht, sie riefen um Bei¬
stand nach Wien, und -- Oestreich kam.

Im vierten Monate nach der vorläufigen Feststellung der Verträge zwi¬
schen Preußen und Frankreich in Berlin, am 10. Juli, erließ Oestreich an seine
Gesandten bei den deutschen Höfen eine Note, begleitet von einem Präliminar-
vertrag und einer Motivirung, Schriftstücke, die dem Leser noch in frischer Er-


größeren volkswirtschaftlichen Verhältnissen vertraute und in deren Behand¬
lung geübte Verwaltung auszeichnen. Glücklicher als in seinen Bestrebungen
für Bundesreform erfaßte Herr von Reuse die Angelegenheit des Handelsver¬
trags in ihrer vollen Bedeutung und sprach seine Ueberzeugung mit Klarheit
und Wärme aus. Er verschmähte jenes kleinliche Gebahren, welches das Rechte
und Unabweisbare, weil es von Preußen kommt, gleichsam mit Widerwillen
ansieht, und seine Betheiligung als eine Gelegenheit benutzt, um durch Hin¬
halten und Bemängeln sich die Befriedigung eines an Preußen gekühlten
Müthchens zu verschaffen. Das nicht allein verständige, sondern auch anstän¬
dige Benehmen der sächsischen Regierung wird in der Geschichte des Zollvereins
unvergessen bleiben. Die Kammern widmeten den Verträgen, so wie den in
zahlreichen Petitionen vorgetragenen Bedenken und Wünschen der Industrie
eine gründliche Berathung und sprachen am Schlüsse derselben ihre Genehmi¬
gung einstimmig aus. Seither haben noch einige Regierungen ihren Bei¬
tritt erklärt, der Landtag des Herzogthums Coburg-Gotha hat die Vorlagen
ebenfalls einstimmig genehmigt, in Baden steht ein gleicher Beschluß in der
nächsten Zeit zu erwarten. Anders verhält es sich mit den übrigen Mittel¬
staaten, Bayern, Württemberg, Hannover, dann mit beiden Hessen und Nassau.
Die hannöversche Negierung scheint sich einfach auf das Zuwarten zu verlegen,
um schließlich zu thun, was sie nicht wird lassen können. Die übrigen hielten
Rath in München, um zu überlegen, ob es denn gar nicht möglich sei, Nein
zu sagen. Aber selbst die kühnsten Politiker der Würzburger Koalition wagten
es nicht, , dem Wohlstande der Bevölkerungen durch die Auflösung des Zoll¬
vereins, der nothwendigen Folge einer Ablehnung des Handelsvertrags, sie
wagten es noch weniger, den Landessinanzen die gefährlichsten Wunden zu
schlagen, indem sie die mühsam errungene wirthschaftliche Einigung Deutschlands
leichtfertig zerrissen-, sie sanden es bedenklich, die Verantwortlichkeit für solche
That zu übernehmen, die schwer aus ihnen lasten mußte, 'sobald die Folgen
derselben über die durch Preußenhaß bethörte, und durch die Presse in Verblen¬
dung gehaltene Menge hereinbrechen würden. Keiner hatte die Verwegenheit,
dem Drange der Leidenschaft folgend, durch fein Veto gegen den Handelsver¬
trag den Zollvcrband zu zerreißen, wenn nicht helfend und schützend —
Oestreich eintrat. In Wien hätte man es ohne Zweifel lieber gesehen, wenn
die Würzburger für sich allein an den Zollverein Hand angelegt und seinem
Leben ein Ende gemacht hätten. Allein sie wagten es nicht, sie riefen um Bei¬
stand nach Wien, und — Oestreich kam.

Im vierten Monate nach der vorläufigen Feststellung der Verträge zwi¬
schen Preußen und Frankreich in Berlin, am 10. Juli, erließ Oestreich an seine
Gesandten bei den deutschen Höfen eine Note, begleitet von einem Präliminar-
vertrag und einer Motivirung, Schriftstücke, die dem Leser noch in frischer Er-


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[0222] größeren volkswirtschaftlichen Verhältnissen vertraute und in deren Behand¬ lung geübte Verwaltung auszeichnen. Glücklicher als in seinen Bestrebungen für Bundesreform erfaßte Herr von Reuse die Angelegenheit des Handelsver¬ trags in ihrer vollen Bedeutung und sprach seine Ueberzeugung mit Klarheit und Wärme aus. Er verschmähte jenes kleinliche Gebahren, welches das Rechte und Unabweisbare, weil es von Preußen kommt, gleichsam mit Widerwillen ansieht, und seine Betheiligung als eine Gelegenheit benutzt, um durch Hin¬ halten und Bemängeln sich die Befriedigung eines an Preußen gekühlten Müthchens zu verschaffen. Das nicht allein verständige, sondern auch anstän¬ dige Benehmen der sächsischen Regierung wird in der Geschichte des Zollvereins unvergessen bleiben. Die Kammern widmeten den Verträgen, so wie den in zahlreichen Petitionen vorgetragenen Bedenken und Wünschen der Industrie eine gründliche Berathung und sprachen am Schlüsse derselben ihre Genehmi¬ gung einstimmig aus. Seither haben noch einige Regierungen ihren Bei¬ tritt erklärt, der Landtag des Herzogthums Coburg-Gotha hat die Vorlagen ebenfalls einstimmig genehmigt, in Baden steht ein gleicher Beschluß in der nächsten Zeit zu erwarten. Anders verhält es sich mit den übrigen Mittel¬ staaten, Bayern, Württemberg, Hannover, dann mit beiden Hessen und Nassau. Die hannöversche Negierung scheint sich einfach auf das Zuwarten zu verlegen, um schließlich zu thun, was sie nicht wird lassen können. Die übrigen hielten Rath in München, um zu überlegen, ob es denn gar nicht möglich sei, Nein zu sagen. Aber selbst die kühnsten Politiker der Würzburger Koalition wagten es nicht, , dem Wohlstande der Bevölkerungen durch die Auflösung des Zoll¬ vereins, der nothwendigen Folge einer Ablehnung des Handelsvertrags, sie wagten es noch weniger, den Landessinanzen die gefährlichsten Wunden zu schlagen, indem sie die mühsam errungene wirthschaftliche Einigung Deutschlands leichtfertig zerrissen-, sie sanden es bedenklich, die Verantwortlichkeit für solche That zu übernehmen, die schwer aus ihnen lasten mußte, 'sobald die Folgen derselben über die durch Preußenhaß bethörte, und durch die Presse in Verblen¬ dung gehaltene Menge hereinbrechen würden. Keiner hatte die Verwegenheit, dem Drange der Leidenschaft folgend, durch fein Veto gegen den Handelsver¬ trag den Zollvcrband zu zerreißen, wenn nicht helfend und schützend — Oestreich eintrat. In Wien hätte man es ohne Zweifel lieber gesehen, wenn die Würzburger für sich allein an den Zollverein Hand angelegt und seinem Leben ein Ende gemacht hätten. Allein sie wagten es nicht, sie riefen um Bei¬ stand nach Wien, und — Oestreich kam. Im vierten Monate nach der vorläufigen Feststellung der Verträge zwi¬ schen Preußen und Frankreich in Berlin, am 10. Juli, erließ Oestreich an seine Gesandten bei den deutschen Höfen eine Note, begleitet von einem Präliminar- vertrag und einer Motivirung, Schriftstücke, die dem Leser noch in frischer Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/222>, abgerufen am 25.08.2024.