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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Markt zu bieten hatten. niedriger waren allerdings die Zollsähe der mittlern
und kleinern Staaten, welche keine auf ihr Gebiet angewiesene Industrie groß
Ziehen, mithin nicht den Schutz, sondern nur den Ertrag für die Staatskasse
ins Auge fassen konnten. Daher fanden bei den ersten Verhandlungen 1833
über die Gründung des Vereins Bayern und Würtemberg z. B. den Tarifsatz
von zwei Thalern auf Baumwollengarn viel zu hoch, die nämlichen Regierungen,
Welche zehn Jahre später das Verlangen ihrer Fabrikanten auf weit höhere
Zolle entschieden befürworteten. Dem Andrange der süddeutschen Industriellen
hatte Preußen, wie oben erwähnt, bei den Verhandlungen von 1813 in Bezug
auf manche Gespinnste, Gewebe, Eisen u, a. nachgegeben, wogegen andere,
als Verbrauchsteuern zu betrachtende Tarifsätze ermäßigt wurden. Im Allge¬
meinen war sonach eine namhafte Aenderung in den Zolleinnahmen nicht zu er¬
warten. Die finanziellen Resultate übertrafen für die beigetretenen Staaten
jede Erwartung. Die Zollantheile waren z. V. für Bayern schon für
das erste Jahr, 1834, um 75 Procent höher als seine fnihcren Zollcin-
nahmen, und noch weit günstiger stellte sich das Ergebniß für andere klei¬
nere Staaten. Die oben angedeuteten, in den Bedingungen der Produc-
tion, des Transportes und des internationalen Verkehrs inzwischen ein¬
getretenen gewaltigen Fortschritte haben jetzt den Tarif weit überholt. Er
bedarf dringend der Reform im Sinne der Zulassung fremder Mitbewerbung,
wenn nicht die Industrie hinter den Nachbarländern zurückbleibe", auf den neu¬
tralen Märkten, auf die sie für den Absatz eines großen Theils ihrer Erzeug¬
nisse angewiesen ist, von der englischen, französischen, belgischen und schweizer
Industrie verdrängt, und wenn nicht der deutsche Abnehmer durch Vertheuerung
und ungenügende Qualität seines Bedarfs zur Ungebühr benachtheiligt werden
soll. In diesem Sinne ohne Zweifel äußerte der Prinzregent von Preußen in
dem Programme vom 8. November 1858, daß der Zollverein "einer Reform
werde unterworfen werden müssen". Nach dieser Erklärung steht es fest, daß
Preußen längst entschlossen ist, nicht mit dem bestelMdcn, sondern nur mit
einem zeitgemäß verbesserten Tarife in eine neue Vertragsperiode des Zollver¬
eins einzutreten. Die Bestimmungen der Verträge aber bringen es mit sich,
daß vor Ablauf des Jahres 1803 entweder der verbesserte Tarif
unter den Gliedern des Zollvere ins vereinbart sein, oder P.reu-
ßen die Verträge kündigen muß. War Preußen seit 1858 auf diese
Alternative gefaßt, so war es eine glückliche Fügung, daß Frankreich, nachdem
es durch die Handelsverträge mit England und Belgien in die Strömung des
freiern Austausches eingetreten war, das Anerbieten, über einen ähnlichen Ver¬
trag mit dem Zollvereine zu unterhandeln, an Preußen brachte. Preußen
führte die Verhandlungen mit Zustimmung sämmtlicher Glieder des Vereins,
erhielt sie in fortwährender Kenntniß von dem Gange derselben, erbat ihre
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Markt zu bieten hatten. niedriger waren allerdings die Zollsähe der mittlern
und kleinern Staaten, welche keine auf ihr Gebiet angewiesene Industrie groß
Ziehen, mithin nicht den Schutz, sondern nur den Ertrag für die Staatskasse
ins Auge fassen konnten. Daher fanden bei den ersten Verhandlungen 1833
über die Gründung des Vereins Bayern und Würtemberg z. B. den Tarifsatz
von zwei Thalern auf Baumwollengarn viel zu hoch, die nämlichen Regierungen,
Welche zehn Jahre später das Verlangen ihrer Fabrikanten auf weit höhere
Zolle entschieden befürworteten. Dem Andrange der süddeutschen Industriellen
hatte Preußen, wie oben erwähnt, bei den Verhandlungen von 1813 in Bezug
auf manche Gespinnste, Gewebe, Eisen u, a. nachgegeben, wogegen andere,
als Verbrauchsteuern zu betrachtende Tarifsätze ermäßigt wurden. Im Allge¬
meinen war sonach eine namhafte Aenderung in den Zolleinnahmen nicht zu er¬
warten. Die finanziellen Resultate übertrafen für die beigetretenen Staaten
jede Erwartung. Die Zollantheile waren z. V. für Bayern schon für
das erste Jahr, 1834, um 75 Procent höher als seine fnihcren Zollcin-
nahmen, und noch weit günstiger stellte sich das Ergebniß für andere klei¬
nere Staaten. Die oben angedeuteten, in den Bedingungen der Produc-
tion, des Transportes und des internationalen Verkehrs inzwischen ein¬
getretenen gewaltigen Fortschritte haben jetzt den Tarif weit überholt. Er
bedarf dringend der Reform im Sinne der Zulassung fremder Mitbewerbung,
wenn nicht die Industrie hinter den Nachbarländern zurückbleibe», auf den neu¬
tralen Märkten, auf die sie für den Absatz eines großen Theils ihrer Erzeug¬
nisse angewiesen ist, von der englischen, französischen, belgischen und schweizer
Industrie verdrängt, und wenn nicht der deutsche Abnehmer durch Vertheuerung
und ungenügende Qualität seines Bedarfs zur Ungebühr benachtheiligt werden
soll. In diesem Sinne ohne Zweifel äußerte der Prinzregent von Preußen in
dem Programme vom 8. November 1858, daß der Zollverein „einer Reform
werde unterworfen werden müssen". Nach dieser Erklärung steht es fest, daß
Preußen längst entschlossen ist, nicht mit dem bestelMdcn, sondern nur mit
einem zeitgemäß verbesserten Tarife in eine neue Vertragsperiode des Zollver¬
eins einzutreten. Die Bestimmungen der Verträge aber bringen es mit sich,
daß vor Ablauf des Jahres 1803 entweder der verbesserte Tarif
unter den Gliedern des Zollvere ins vereinbart sein, oder P.reu-
ßen die Verträge kündigen muß. War Preußen seit 1858 auf diese
Alternative gefaßt, so war es eine glückliche Fügung, daß Frankreich, nachdem
es durch die Handelsverträge mit England und Belgien in die Strömung des
freiern Austausches eingetreten war, das Anerbieten, über einen ähnlichen Ver¬
trag mit dem Zollvereine zu unterhandeln, an Preußen brachte. Preußen
führte die Verhandlungen mit Zustimmung sämmtlicher Glieder des Vereins,
erhielt sie in fortwährender Kenntniß von dem Gange derselben, erbat ihre
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/219>, abgerufen am 25.08.2024.