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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Februar und zwei andere in der Saison. Die saereä Harmonie sooivt^ gab
ferner den ersten Anstoß zu den sogenannten Händelfesten, auf die wir in einem
nächsten Bericht zurückkommen werden. Neben dem letztgenannten Verein find
in London noch zu erwähnen die ooch.1 g,t>8oc:me,ion unter Benedicts und ein
anderer Chor unter Martins Leitung. Die Leistungen 'derselben werden
durch die der L^roa lmrmonio soeivt/ übertroffen. Dagegen steht ein ver-
gleichungsweise neuer und noch nicht zahlreicher Verein, der unter Henry Leslie's
Direction wirkt, in der Einheit der Ausfüimmg allen vorhergenannten voran.
Er bringt namentlich altenglische gi^-z und MÄttii^les, auch Kirchenmusik und
von den neueren Componisten die besten kleineren Werke zur Aufführung und
läuft nur in der einen Hinsicht Gefahr, daß er einen zu großen Werth auf
Feinheit der Execution legt und dieser bisweilen die geistige Lebendigkeit des
Ausdrucks opfert. Interessant, fast komisch, war die genaue Beobachtung der
äußern Form in einem Concerte desselben, dem ich beiwohnte. Vor dem An¬
fang jeder Gesangsnummer saß der ganze Chor stillschweigend auf seinen Plä¬
tzen, die durch weit hervorragende Tafeln so geordnet waren, daß der erste geüb¬
tere Chor in der Mitte des Orchesters saß und der zweite oder Vorbereitungs-
chor den ersten einschloß. Mit dem Glockenschlag erschien der Dirigent vor
seinem Pulte und gab das erste Zeichen, worauf jeder seine Noten ordnete.
Beim zweiten Klopfen rauschte der ganze Chor auf wie ein Mann, der Takt-
stvck erhob sich, jedes Auge war fest auf denselben gerichtet, und wie aus einem
Munde begann der Gesang. Die rein technische Wiedergabe eines jeden Musik¬
stücks war durchaus tadellos, das Herz aber kam ein wenig zu kurz dabei.

Nach dem Vorbilde der Londoner Vereine haben sich Gesangvereine durch
ganz England gebildet, und wenn ihre Leistungen auch größtentheils noch nicht
über leichtere drei- und vierstimmige Gesänge hinausgehen, so muß man bedenken,
daß alles erst das Wert der letzten zwei Decennien ist. Da ein späterer Auf¬
satz- über das letzte HÄndelfest uns wieder auf die Gesangvereine und den Chor¬
gesang zurückführen wird, so wollen wir hier nicht weiter auf ihre Leistungen ein¬
gehen und einen Blick auf das sonstige musikalische Treiben Londons werfen.

Die ganze ungeheure Masse der Concerte in London zerfällt in zwei große
Classen: in solche, die nur den Zweck haben, einer Versammlung von Menschen
für einige Stunden eine möglichst verschiedenartige Unterhaltung zu gewähren,
und in solche, die sich zur Aufgabe machen, das Publicum wirtlich musikalisch
heranzubilden und zu erheben. Der ersten gibts eine große Menge, und sie
haben alle denselben Charakter. Jeder renommirte Musik'tehrer und jede Mu-
Mehrcrin gibt jährlich wenigstens ein solches Concert, sei es, um sich das Ver¬
gnügen zu machen, in den Spalten der Times gelesen zu werden und dem
Kreise seiner Gönner ein Amüsement zu verschaffen, oder um Geld zu verdienen.
Einen andern Zweck kann ich nicht finden für eine Unterhaltung, die nur noch


Grenzboten III. 1ö62. " 24

Februar und zwei andere in der Saison. Die saereä Harmonie sooivt^ gab
ferner den ersten Anstoß zu den sogenannten Händelfesten, auf die wir in einem
nächsten Bericht zurückkommen werden. Neben dem letztgenannten Verein find
in London noch zu erwähnen die ooch.1 g,t>8oc:me,ion unter Benedicts und ein
anderer Chor unter Martins Leitung. Die Leistungen 'derselben werden
durch die der L^roa lmrmonio soeivt/ übertroffen. Dagegen steht ein ver-
gleichungsweise neuer und noch nicht zahlreicher Verein, der unter Henry Leslie's
Direction wirkt, in der Einheit der Ausfüimmg allen vorhergenannten voran.
Er bringt namentlich altenglische gi^-z und MÄttii^les, auch Kirchenmusik und
von den neueren Componisten die besten kleineren Werke zur Aufführung und
läuft nur in der einen Hinsicht Gefahr, daß er einen zu großen Werth auf
Feinheit der Execution legt und dieser bisweilen die geistige Lebendigkeit des
Ausdrucks opfert. Interessant, fast komisch, war die genaue Beobachtung der
äußern Form in einem Concerte desselben, dem ich beiwohnte. Vor dem An¬
fang jeder Gesangsnummer saß der ganze Chor stillschweigend auf seinen Plä¬
tzen, die durch weit hervorragende Tafeln so geordnet waren, daß der erste geüb¬
tere Chor in der Mitte des Orchesters saß und der zweite oder Vorbereitungs-
chor den ersten einschloß. Mit dem Glockenschlag erschien der Dirigent vor
seinem Pulte und gab das erste Zeichen, worauf jeder seine Noten ordnete.
Beim zweiten Klopfen rauschte der ganze Chor auf wie ein Mann, der Takt-
stvck erhob sich, jedes Auge war fest auf denselben gerichtet, und wie aus einem
Munde begann der Gesang. Die rein technische Wiedergabe eines jeden Musik¬
stücks war durchaus tadellos, das Herz aber kam ein wenig zu kurz dabei.

Nach dem Vorbilde der Londoner Vereine haben sich Gesangvereine durch
ganz England gebildet, und wenn ihre Leistungen auch größtentheils noch nicht
über leichtere drei- und vierstimmige Gesänge hinausgehen, so muß man bedenken,
daß alles erst das Wert der letzten zwei Decennien ist. Da ein späterer Auf¬
satz- über das letzte HÄndelfest uns wieder auf die Gesangvereine und den Chor¬
gesang zurückführen wird, so wollen wir hier nicht weiter auf ihre Leistungen ein¬
gehen und einen Blick auf das sonstige musikalische Treiben Londons werfen.

Die ganze ungeheure Masse der Concerte in London zerfällt in zwei große
Classen: in solche, die nur den Zweck haben, einer Versammlung von Menschen
für einige Stunden eine möglichst verschiedenartige Unterhaltung zu gewähren,
und in solche, die sich zur Aufgabe machen, das Publicum wirtlich musikalisch
heranzubilden und zu erheben. Der ersten gibts eine große Menge, und sie
haben alle denselben Charakter. Jeder renommirte Musik'tehrer und jede Mu-
Mehrcrin gibt jährlich wenigstens ein solches Concert, sei es, um sich das Ver¬
gnügen zu machen, in den Spalten der Times gelesen zu werden und dem
Kreise seiner Gönner ein Amüsement zu verschaffen, oder um Geld zu verdienen.
Einen andern Zweck kann ich nicht finden für eine Unterhaltung, die nur noch


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[0193] Februar und zwei andere in der Saison. Die saereä Harmonie sooivt^ gab ferner den ersten Anstoß zu den sogenannten Händelfesten, auf die wir in einem nächsten Bericht zurückkommen werden. Neben dem letztgenannten Verein find in London noch zu erwähnen die ooch.1 g,t>8oc:me,ion unter Benedicts und ein anderer Chor unter Martins Leitung. Die Leistungen 'derselben werden durch die der L^roa lmrmonio soeivt/ übertroffen. Dagegen steht ein ver- gleichungsweise neuer und noch nicht zahlreicher Verein, der unter Henry Leslie's Direction wirkt, in der Einheit der Ausfüimmg allen vorhergenannten voran. Er bringt namentlich altenglische gi^-z und MÄttii^les, auch Kirchenmusik und von den neueren Componisten die besten kleineren Werke zur Aufführung und läuft nur in der einen Hinsicht Gefahr, daß er einen zu großen Werth auf Feinheit der Execution legt und dieser bisweilen die geistige Lebendigkeit des Ausdrucks opfert. Interessant, fast komisch, war die genaue Beobachtung der äußern Form in einem Concerte desselben, dem ich beiwohnte. Vor dem An¬ fang jeder Gesangsnummer saß der ganze Chor stillschweigend auf seinen Plä¬ tzen, die durch weit hervorragende Tafeln so geordnet waren, daß der erste geüb¬ tere Chor in der Mitte des Orchesters saß und der zweite oder Vorbereitungs- chor den ersten einschloß. Mit dem Glockenschlag erschien der Dirigent vor seinem Pulte und gab das erste Zeichen, worauf jeder seine Noten ordnete. Beim zweiten Klopfen rauschte der ganze Chor auf wie ein Mann, der Takt- stvck erhob sich, jedes Auge war fest auf denselben gerichtet, und wie aus einem Munde begann der Gesang. Die rein technische Wiedergabe eines jeden Musik¬ stücks war durchaus tadellos, das Herz aber kam ein wenig zu kurz dabei. Nach dem Vorbilde der Londoner Vereine haben sich Gesangvereine durch ganz England gebildet, und wenn ihre Leistungen auch größtentheils noch nicht über leichtere drei- und vierstimmige Gesänge hinausgehen, so muß man bedenken, daß alles erst das Wert der letzten zwei Decennien ist. Da ein späterer Auf¬ satz- über das letzte HÄndelfest uns wieder auf die Gesangvereine und den Chor¬ gesang zurückführen wird, so wollen wir hier nicht weiter auf ihre Leistungen ein¬ gehen und einen Blick auf das sonstige musikalische Treiben Londons werfen. Die ganze ungeheure Masse der Concerte in London zerfällt in zwei große Classen: in solche, die nur den Zweck haben, einer Versammlung von Menschen für einige Stunden eine möglichst verschiedenartige Unterhaltung zu gewähren, und in solche, die sich zur Aufgabe machen, das Publicum wirtlich musikalisch heranzubilden und zu erheben. Der ersten gibts eine große Menge, und sie haben alle denselben Charakter. Jeder renommirte Musik'tehrer und jede Mu- Mehrcrin gibt jährlich wenigstens ein solches Concert, sei es, um sich das Ver¬ gnügen zu machen, in den Spalten der Times gelesen zu werden und dem Kreise seiner Gönner ein Amüsement zu verschaffen, oder um Geld zu verdienen. Einen andern Zweck kann ich nicht finden für eine Unterhaltung, die nur noch Grenzboten III. 1ö62. " 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/193>, abgerufen am 28.09.2024.