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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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des Thees und Kuchens bedarf, um zu einem musikalischen Theeklatsch herab¬
zusinken.

Diese Concerte finden nur in der Saison und gewöhnlich am Morgen
statt, so daß Publicum und Concertgeber in Morgentoilette erscheinen. Sie sind
eine so specifisch 'englische Erfindung, daß ich hiev einem derselben eine "Shere
Beschreibung widmen muß. Es ist dies ein Concert von Benedict, einem der
besten jetzt lebenden englischen Musiker und Componisten, von dem man be'
dauern muß, daß ein Mann in seiner Stellung, dein es doch sonst Ernst mit
seinem Wirken zu sein scheint, nicht einsieht oder nicht einsehen will, une Concerte
dieser Sorte der Kunst geradezu schaden, und wie eben in England, wo jetzt
eine bessere und höhere Auffassung der Musik Boden gewinnt, der Künstler
selbst sich mit ganzer Kraft dieser Bewegung anschließen und seine persönliche
Eitelkeit einmal bei Seite lassen sollte. Die hohe und reine Begeisterung, Mit
der ein deutscher Musiker sich seiner Muse ganz hingibt, sich in ihr Gebiet
vertieft, sich ganz von ihr erfüllen läßt und sie heilig hält, wie seine Religion,
diese Erregtheit des innersten Gemüths suchen wir vergeblich beim englischen
Tonkünstler. Ihm ist die Musik mehr Handwerk, er opfert ihr so und so viele
Stunden täglich und erwartet wieder dafür so und so viele Pfunde; er erfaßt
sie nicht oder doch nur selten als ein Geistiges, das der ganzen Kraft seiner
Seele bedarf, sondern als eine Fertigkeit, die allein Zeit und Ausdauer erreichen
können. Vertiefung und Innerlichkeit sind Begriffe, die dem gewöhnlichen Englän¬
der so fremd sind, daß seine Sprache nicht einmal Worte für sie hat. Heiter ist
seine Kunst und sehr heiter sind auch seine Morgencöncerte. Das Programm
eines solchen erinnert mich immer an den reichbesetzten Tisch eines Conditors
mit all den verschiedenen kleinen Süßigkeiten und Confitüren, und nach dem
Concert war mir zu Muthe, als wäre ich für einige Stunden bei einem solchen
Conditor zu Gaste gewesen. Man denke sich folgendes Programm: Meherbeers
Ausstellungsvuvertürc, Stcrndale-Bennetts Ode, ein kleines Liebchen von dem
Engländer Glover, zwei vierstimmige Lieder von Benedict, ein Trio aus Meyer-
beers Margherita d'Anjou, eine Romanze von Verbi, eine Ballade Wd Arie
aus Benedicts Oper ,,'l'lx; Oips^'L V^nünZ", eine Arie von Wallace, An¬
dante und Scherzo einer Svunate Von Benedict, ein Duett, Lied und Ballade
aus Benedicts neuester Oper "IKs I.si^ ol' KilliU'tlo/', das in eine Oper um¬
gewandelte "8so8Ätion-6>'ÄMi>, Hu; ( olluo" - . ein Duett aus der Oper
Scmiramide von Rossini, zwei kleine Salonstückchen für Violoncello und Piano
von Benedict, ein Terzett aus Rossini's Italienerin in Algier, ein Solo sser
Horn, ein steirisches Lied von Prvch, Verdi's Ausstellungscantate, von der
wir oben gesprochen, ein Duo für zwei Claviere von Ascher, ein Duett von
Rossini, die letzte Rose aus "Mqrtha". eine Arie aus Lucretia Borgs", wseder
eine Auswahl aus einer Oper Benedicts, bestehend in ehren Duett mit Chor,


des Thees und Kuchens bedarf, um zu einem musikalischen Theeklatsch herab¬
zusinken.

Diese Concerte finden nur in der Saison und gewöhnlich am Morgen
statt, so daß Publicum und Concertgeber in Morgentoilette erscheinen. Sie sind
eine so specifisch 'englische Erfindung, daß ich hiev einem derselben eine »Shere
Beschreibung widmen muß. Es ist dies ein Concert von Benedict, einem der
besten jetzt lebenden englischen Musiker und Componisten, von dem man be'
dauern muß, daß ein Mann in seiner Stellung, dein es doch sonst Ernst mit
seinem Wirken zu sein scheint, nicht einsieht oder nicht einsehen will, une Concerte
dieser Sorte der Kunst geradezu schaden, und wie eben in England, wo jetzt
eine bessere und höhere Auffassung der Musik Boden gewinnt, der Künstler
selbst sich mit ganzer Kraft dieser Bewegung anschließen und seine persönliche
Eitelkeit einmal bei Seite lassen sollte. Die hohe und reine Begeisterung, Mit
der ein deutscher Musiker sich seiner Muse ganz hingibt, sich in ihr Gebiet
vertieft, sich ganz von ihr erfüllen läßt und sie heilig hält, wie seine Religion,
diese Erregtheit des innersten Gemüths suchen wir vergeblich beim englischen
Tonkünstler. Ihm ist die Musik mehr Handwerk, er opfert ihr so und so viele
Stunden täglich und erwartet wieder dafür so und so viele Pfunde; er erfaßt
sie nicht oder doch nur selten als ein Geistiges, das der ganzen Kraft seiner
Seele bedarf, sondern als eine Fertigkeit, die allein Zeit und Ausdauer erreichen
können. Vertiefung und Innerlichkeit sind Begriffe, die dem gewöhnlichen Englän¬
der so fremd sind, daß seine Sprache nicht einmal Worte für sie hat. Heiter ist
seine Kunst und sehr heiter sind auch seine Morgencöncerte. Das Programm
eines solchen erinnert mich immer an den reichbesetzten Tisch eines Conditors
mit all den verschiedenen kleinen Süßigkeiten und Confitüren, und nach dem
Concert war mir zu Muthe, als wäre ich für einige Stunden bei einem solchen
Conditor zu Gaste gewesen. Man denke sich folgendes Programm: Meherbeers
Ausstellungsvuvertürc, Stcrndale-Bennetts Ode, ein kleines Liebchen von dem
Engländer Glover, zwei vierstimmige Lieder von Benedict, ein Trio aus Meyer-
beers Margherita d'Anjou, eine Romanze von Verbi, eine Ballade Wd Arie
aus Benedicts Oper ,,'l'lx; Oips^'L V^nünZ", eine Arie von Wallace, An¬
dante und Scherzo einer Svunate Von Benedict, ein Duett, Lied und Ballade
aus Benedicts neuester Oper „IKs I.si^ ol' KilliU'tlo/', das in eine Oper um¬
gewandelte „8so8Ätion-6>'ÄMi>, Hu; ( olluo» - . ein Duett aus der Oper
Scmiramide von Rossini, zwei kleine Salonstückchen für Violoncello und Piano
von Benedict, ein Terzett aus Rossini's Italienerin in Algier, ein Solo sser
Horn, ein steirisches Lied von Prvch, Verdi's Ausstellungscantate, von der
wir oben gesprochen, ein Duo für zwei Claviere von Ascher, ein Duett von
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eine Auswahl aus einer Oper Benedicts, bestehend in ehren Duett mit Chor,


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[0194] des Thees und Kuchens bedarf, um zu einem musikalischen Theeklatsch herab¬ zusinken. Diese Concerte finden nur in der Saison und gewöhnlich am Morgen statt, so daß Publicum und Concertgeber in Morgentoilette erscheinen. Sie sind eine so specifisch 'englische Erfindung, daß ich hiev einem derselben eine »Shere Beschreibung widmen muß. Es ist dies ein Concert von Benedict, einem der besten jetzt lebenden englischen Musiker und Componisten, von dem man be' dauern muß, daß ein Mann in seiner Stellung, dein es doch sonst Ernst mit seinem Wirken zu sein scheint, nicht einsieht oder nicht einsehen will, une Concerte dieser Sorte der Kunst geradezu schaden, und wie eben in England, wo jetzt eine bessere und höhere Auffassung der Musik Boden gewinnt, der Künstler selbst sich mit ganzer Kraft dieser Bewegung anschließen und seine persönliche Eitelkeit einmal bei Seite lassen sollte. Die hohe und reine Begeisterung, Mit der ein deutscher Musiker sich seiner Muse ganz hingibt, sich in ihr Gebiet vertieft, sich ganz von ihr erfüllen läßt und sie heilig hält, wie seine Religion, diese Erregtheit des innersten Gemüths suchen wir vergeblich beim englischen Tonkünstler. Ihm ist die Musik mehr Handwerk, er opfert ihr so und so viele Stunden täglich und erwartet wieder dafür so und so viele Pfunde; er erfaßt sie nicht oder doch nur selten als ein Geistiges, das der ganzen Kraft seiner Seele bedarf, sondern als eine Fertigkeit, die allein Zeit und Ausdauer erreichen können. Vertiefung und Innerlichkeit sind Begriffe, die dem gewöhnlichen Englän¬ der so fremd sind, daß seine Sprache nicht einmal Worte für sie hat. Heiter ist seine Kunst und sehr heiter sind auch seine Morgencöncerte. Das Programm eines solchen erinnert mich immer an den reichbesetzten Tisch eines Conditors mit all den verschiedenen kleinen Süßigkeiten und Confitüren, und nach dem Concert war mir zu Muthe, als wäre ich für einige Stunden bei einem solchen Conditor zu Gaste gewesen. Man denke sich folgendes Programm: Meherbeers Ausstellungsvuvertürc, Stcrndale-Bennetts Ode, ein kleines Liebchen von dem Engländer Glover, zwei vierstimmige Lieder von Benedict, ein Trio aus Meyer- beers Margherita d'Anjou, eine Romanze von Verbi, eine Ballade Wd Arie aus Benedicts Oper ,,'l'lx; Oips^'L V^nünZ", eine Arie von Wallace, An¬ dante und Scherzo einer Svunate Von Benedict, ein Duett, Lied und Ballade aus Benedicts neuester Oper „IKs I.si^ ol' KilliU'tlo/', das in eine Oper um¬ gewandelte „8so8Ätion-6>'ÄMi>, Hu; ( olluo» - . ein Duett aus der Oper Scmiramide von Rossini, zwei kleine Salonstückchen für Violoncello und Piano von Benedict, ein Terzett aus Rossini's Italienerin in Algier, ein Solo sser Horn, ein steirisches Lied von Prvch, Verdi's Ausstellungscantate, von der wir oben gesprochen, ein Duo für zwei Claviere von Ascher, ein Duett von Rossini, die letzte Rose aus „Mqrtha". eine Arie aus Lucretia Borgs«, wseder eine Auswahl aus einer Oper Benedicts, bestehend in ehren Duett mit Chor,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/194>, abgerufen am 21.10.2024.