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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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ihr nieder, nahm sie in seine Arme und rief nach Wasser. AIs sie die Augen
wieder aufschlug, lächelte sie ihm zu, küßte seine Hand und bot ihm dann den
Mund; eine schöne und rührende Offenbarung der väterlichen und kindlichen
Zuneigung beider zu einander."

Wir lassen nun einige Auszüge aus dem folgen, was von Schillers
Wirken an der Weimarschen Bühne erzählt wird. Schillers Bescheidenheit,
namentlich bei seinen eigenen Werken, war fast übertrieben. Bei den Proben
zum "Macbeth", der am 14. Mai 1800 zum ersten Mal aufgeführt wurde, war
die Rolle des Macbeth dem Schauspieler Voss zugetheilt. Derselbe hatte nicht
gut gelernt und bedürfte des Souffleurs mehr als billig, selbst bei der Haupt¬
probe. "Goethe," so erzählt A. Gemahl, "schwoll nun die Zornesader, und er
rief, da ich zu fungiren hatte, mit seiner mächtigen Stimme: "Herr G'naht, ver¬
fügen Sie sich zu mir herab." Er. Schiller und Meyer saßen im Parterre,
und der zweite Act war eben zu Ende. "Was ist denn das mit diesem Herrn
Voss?" fuhr er mich an. "Der Mann kann ja kein Wort von seiner Rolle,
wie will er denn den Macbeth spielen? Sollen wir uns vor den höchsten Herr¬
schaften und dem Publicum blamiren? Man sistire das Stück für morgen, und
Sie brauchen das Warum weder vor Herrn Voss noch vor dem Personal zu
verschweigen." Schiller suchte Goethe's Zorn zu beschwichtigen und rühmte die
künstlerische Ruhe von Voss, seine Genialität, die ihn gewiß bei der Dar¬
stellung über diese Klippe hinwegführen würde; denn die Auffassung des
Charakters sei doch vortrefflich. Auch ich stimmte der Ansicht Schillers bei, und
Goethe, der schon aufgestanden war, um das Theater zu verlassen, fügte sich
endlich.

Die Vorstellung fand den andern Tag statt. Der Andrang des Publicums
war enorm, der Beifall steigerte sich von Act zu Act, und namentlich war es
Voss, der das Publicum enthusiasmirte. Nach dem zweiten Act kam Schiller
auf die Bühne und fragte in seinem herzigen schwäbischen Dialekt: "Wo ischt
der Voss?" Dieser trat ihm mit etwas verlegner Miene und gesenktem Kopf
entgegen. Schiller umarmte ihn und sagte: "N>ein, Voss! Ich muß Jhre sage:
meischtcrhaft! meischterhaft! Aber nun ziehe Sie sich zum dritte Act um,"
Dann wandte sich Schiller mit den Worten zu mir: "Sehe Sie, Gemasche, wir
habbc recht gehabt. Er hat zwar ganz andre Vers gesprochn als ich sie ge-
schriebe hab. aber er ischt trefflich."

Ebenso freundlich, nachsichtig und bescheiden zeigte sich der Dichter in an¬
dern Fällen, und mit der größten Geduld widerlegte er oft ganz widersinnige
Ansichten der Schauspieler. "Einmal jedoch riß der Faden seiner Geduld. Wir
hatten den "Tancred" nach Voltaire von Goethe schon einige Male aufgeführt.
Bei einer abermaligen Wiederholung desselben hielt Schiller die Probe ab. und
Goethe hatte ihn ersucht, ein wachsames Auge auf Haide zu haben, der den


ihr nieder, nahm sie in seine Arme und rief nach Wasser. AIs sie die Augen
wieder aufschlug, lächelte sie ihm zu, küßte seine Hand und bot ihm dann den
Mund; eine schöne und rührende Offenbarung der väterlichen und kindlichen
Zuneigung beider zu einander."

Wir lassen nun einige Auszüge aus dem folgen, was von Schillers
Wirken an der Weimarschen Bühne erzählt wird. Schillers Bescheidenheit,
namentlich bei seinen eigenen Werken, war fast übertrieben. Bei den Proben
zum „Macbeth", der am 14. Mai 1800 zum ersten Mal aufgeführt wurde, war
die Rolle des Macbeth dem Schauspieler Voss zugetheilt. Derselbe hatte nicht
gut gelernt und bedürfte des Souffleurs mehr als billig, selbst bei der Haupt¬
probe. „Goethe," so erzählt A. Gemahl, „schwoll nun die Zornesader, und er
rief, da ich zu fungiren hatte, mit seiner mächtigen Stimme: „Herr G'naht, ver¬
fügen Sie sich zu mir herab." Er. Schiller und Meyer saßen im Parterre,
und der zweite Act war eben zu Ende. „Was ist denn das mit diesem Herrn
Voss?" fuhr er mich an. „Der Mann kann ja kein Wort von seiner Rolle,
wie will er denn den Macbeth spielen? Sollen wir uns vor den höchsten Herr¬
schaften und dem Publicum blamiren? Man sistire das Stück für morgen, und
Sie brauchen das Warum weder vor Herrn Voss noch vor dem Personal zu
verschweigen." Schiller suchte Goethe's Zorn zu beschwichtigen und rühmte die
künstlerische Ruhe von Voss, seine Genialität, die ihn gewiß bei der Dar¬
stellung über diese Klippe hinwegführen würde; denn die Auffassung des
Charakters sei doch vortrefflich. Auch ich stimmte der Ansicht Schillers bei, und
Goethe, der schon aufgestanden war, um das Theater zu verlassen, fügte sich
endlich.

Die Vorstellung fand den andern Tag statt. Der Andrang des Publicums
war enorm, der Beifall steigerte sich von Act zu Act, und namentlich war es
Voss, der das Publicum enthusiasmirte. Nach dem zweiten Act kam Schiller
auf die Bühne und fragte in seinem herzigen schwäbischen Dialekt: „Wo ischt
der Voss?" Dieser trat ihm mit etwas verlegner Miene und gesenktem Kopf
entgegen. Schiller umarmte ihn und sagte: „N>ein, Voss! Ich muß Jhre sage:
meischtcrhaft! meischterhaft! Aber nun ziehe Sie sich zum dritte Act um,"
Dann wandte sich Schiller mit den Worten zu mir: „Sehe Sie, Gemasche, wir
habbc recht gehabt. Er hat zwar ganz andre Vers gesprochn als ich sie ge-
schriebe hab. aber er ischt trefflich."

Ebenso freundlich, nachsichtig und bescheiden zeigte sich der Dichter in an¬
dern Fällen, und mit der größten Geduld widerlegte er oft ganz widersinnige
Ansichten der Schauspieler. „Einmal jedoch riß der Faden seiner Geduld. Wir
hatten den „Tancred" nach Voltaire von Goethe schon einige Male aufgeführt.
Bei einer abermaligen Wiederholung desselben hielt Schiller die Probe ab. und
Goethe hatte ihn ersucht, ein wachsames Auge auf Haide zu haben, der den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/151>, abgerufen am 22.07.2024.