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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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wunderbarer geistiger und leidlicher Schönheit. Götter fand sie der Ackermann,
der berühmtesten, Schauspielerin jener Zeit, vergleichbar. Wieland sagte von
ihr, wenn sie nur noch einige Jahre so fortschritte, so würde Deutschland nur
eine Schauspielerin haben. Iffland that den Ausspruch, sie könne alles; denn
nie würde sie in den künstlerischen Rausch der Empfindsamkeit versinken. Ihre
erste bedeutende Rolle war der Arthur im "König Johann", einem Stück,
das Goethe selbst in Scene setzte. Zu ihren trefflichsten Darstellungen ge¬
hörten: Ophelia, Emilia Galotti. Amalie in den "Räubern", Louise in "Ka¬
bale und Liebe", endlich Minna von Barnhelm. Ebenso vollendet waren ihre
muntern Charaktere, und selbst Knabcnrollen spielte sie mit einer Vollendung,
daß sie ein ganzes Publicum über ihr Geschlecht täuschte.

In ihrem vierzehnten Jahre war sie bereits ein vollkommen ausgebildetes,
bezaubernd schönes Mädchen. In diesem Alter heirathete sie den Schauspieler
Becker, dem sie zwei Jahre später eine Tochter gebar. Nach ihrem Wochenbett
trat sie zum ersten Mal als Jakob in "Alte und Neue Zeit" wieder auf und
wurde mit unendlichem Jubel vom Publicum begrüßt. Goethe hatte ihr dazu
einen Monolog geschrieben, in welchem folgende Stellen vorkamen: "Jakob soll
ich heißen? Ein Knabe sein? Das glaubt kein Mensch. Wie viele werden
mich nicht sehen und kennen, besonders die, die mich als kleine Christel mit
ihrer Freundschaft' und Gunst beglückt!" -- "Erst ist man klein, wird größer,
man gefällt, man liebt -- und endlich ist die Frau, die Mutter da, die selbst
nicht weiß, was sie zu ihren Kindern sagen soll." Im Jahr 1795 verlor Chri¬
stiane ihre Mutter an der Auszehrung, 1796 gebar sie abermals eine Tochter,
und von da an kränkelte sie. Die viele aufregende Beschäftigung rieb ihre
.Kräfte vollends auf. 1797 reiste sie zwar noch mit der Gesellschaft nach Lauch-
stedl, erkrankte aber dort so heftig, daß Karl August ihr den bequemsten Reise¬
wagen schickte, um sie nach Weimar zurückzubringen. Sofort wurden aus Jena
die berühmten Aerzte Hufeland und Starke geholt; aber alle Kunst war hier
vergeblich. Christiane starb am 22. September im noch nicht vollendeten
zwanzigsten Lebensjahre. Die Trauer um sie war eine allgemeine. ' Auf dem
Theater wurde eine Todtenfeier gehalten, von deren Ertrag man der Dahin¬
geschiedenen im Rosengarten ein Denkmal errichtete. Schöner und unvergäng¬
licher ist das Denkmal, welches ihr Goethe in seinem Gedicht gesetzt hat. Zu
einer Stelle dieser rührenden Elegie -- dem Bers: "drohtest mit grimmiger
Gluth den armen Augen" -- gibt Gemahl eine dankenswerthe Erläuterung.

"Bei der Hauptprobe (des ""König Johann"") zeigte Christiane (als Ar¬
thur) nicht genug Entsetzen vor dem glühenden Eisen. Ungeduldig hierüber
riß Goethe dem Darsteller des Hubert das Eisen aus der Hand und stürzte
mit solch grimmigem Blick auf das Mädchen zu, daß dieses entsetzt und zitternd
zurückwich und ohnmächtig zu Boden sank. Erschrocken kniete nun Goethe zu


wunderbarer geistiger und leidlicher Schönheit. Götter fand sie der Ackermann,
der berühmtesten, Schauspielerin jener Zeit, vergleichbar. Wieland sagte von
ihr, wenn sie nur noch einige Jahre so fortschritte, so würde Deutschland nur
eine Schauspielerin haben. Iffland that den Ausspruch, sie könne alles; denn
nie würde sie in den künstlerischen Rausch der Empfindsamkeit versinken. Ihre
erste bedeutende Rolle war der Arthur im „König Johann", einem Stück,
das Goethe selbst in Scene setzte. Zu ihren trefflichsten Darstellungen ge¬
hörten: Ophelia, Emilia Galotti. Amalie in den „Räubern", Louise in „Ka¬
bale und Liebe", endlich Minna von Barnhelm. Ebenso vollendet waren ihre
muntern Charaktere, und selbst Knabcnrollen spielte sie mit einer Vollendung,
daß sie ein ganzes Publicum über ihr Geschlecht täuschte.

In ihrem vierzehnten Jahre war sie bereits ein vollkommen ausgebildetes,
bezaubernd schönes Mädchen. In diesem Alter heirathete sie den Schauspieler
Becker, dem sie zwei Jahre später eine Tochter gebar. Nach ihrem Wochenbett
trat sie zum ersten Mal als Jakob in „Alte und Neue Zeit" wieder auf und
wurde mit unendlichem Jubel vom Publicum begrüßt. Goethe hatte ihr dazu
einen Monolog geschrieben, in welchem folgende Stellen vorkamen: „Jakob soll
ich heißen? Ein Knabe sein? Das glaubt kein Mensch. Wie viele werden
mich nicht sehen und kennen, besonders die, die mich als kleine Christel mit
ihrer Freundschaft' und Gunst beglückt!" — „Erst ist man klein, wird größer,
man gefällt, man liebt — und endlich ist die Frau, die Mutter da, die selbst
nicht weiß, was sie zu ihren Kindern sagen soll." Im Jahr 1795 verlor Chri¬
stiane ihre Mutter an der Auszehrung, 1796 gebar sie abermals eine Tochter,
und von da an kränkelte sie. Die viele aufregende Beschäftigung rieb ihre
.Kräfte vollends auf. 1797 reiste sie zwar noch mit der Gesellschaft nach Lauch-
stedl, erkrankte aber dort so heftig, daß Karl August ihr den bequemsten Reise¬
wagen schickte, um sie nach Weimar zurückzubringen. Sofort wurden aus Jena
die berühmten Aerzte Hufeland und Starke geholt; aber alle Kunst war hier
vergeblich. Christiane starb am 22. September im noch nicht vollendeten
zwanzigsten Lebensjahre. Die Trauer um sie war eine allgemeine. ' Auf dem
Theater wurde eine Todtenfeier gehalten, von deren Ertrag man der Dahin¬
geschiedenen im Rosengarten ein Denkmal errichtete. Schöner und unvergäng¬
licher ist das Denkmal, welches ihr Goethe in seinem Gedicht gesetzt hat. Zu
einer Stelle dieser rührenden Elegie — dem Bers: „drohtest mit grimmiger
Gluth den armen Augen" — gibt Gemahl eine dankenswerthe Erläuterung.

„Bei der Hauptprobe (des „„König Johann"") zeigte Christiane (als Ar¬
thur) nicht genug Entsetzen vor dem glühenden Eisen. Ungeduldig hierüber
riß Goethe dem Darsteller des Hubert das Eisen aus der Hand und stürzte
mit solch grimmigem Blick auf das Mädchen zu, daß dieses entsetzt und zitternd
zurückwich und ohnmächtig zu Boden sank. Erschrocken kniete nun Goethe zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/150>, abgerufen am 25.08.2024.