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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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sie schließlich eine von jenen Frauen wurde, als deren hervorstechendste Seite
die Zanksucht sich zeigt, während sie doch im innersten Grunde ihres Wesens
wohlmeinend und herzensgut sind. Etwas davon, obwohl in vollkommen ge¬
reinigter und ideaiisirter Weise, war auch in ihrem großen Sohne, der auch
leiblich ihr Abbild war. Herr Professor I. H. Fichte schreibt mir, daß ihm
seine Großmutter noch aus seiner "eignen Kinderzeit als stattliche, untersetzte
Frau von mäßiger Größe, bei auffallender Aehnlichkeit mit den Gesichtszügen
ihres Sohnes, Johann Gottl. Fichte, gar wohl in der Erinnerung" lebe. Daß
gerade zwei solche harte, feste Charaktere, innerlich und ursprünglich.verwandt,
doch leicht dazu kommen konnten, sich gegenseitig abzustoßen, liegt auf der Hand
und ist psychologisch vollständig erklärbar, namentlich wenn, wie hier, der
Vater. Passiv sich verhaltend, den Sohn nachsichtig gewähren ließ, wo die prak¬
tische, resolute Mutter meinte, den Sohn nach' einer langen, mühsamen Vor¬
bereitung zur Erfassung einer geordneten, den nöthigen Lebensunterhalt sicher
eintragenden Berufsthätigkeit drängen zu müssen. Ihr Verhältniß zu den
übrigen Kindern ist aus den vorliegenden Quellen natürlich nicht so deutlich
erkennbar, und jedenfalls überhaupt minder klar durchgebildet gewesen.

Wir haben hier ganze, volle, markige Menschen vor uns, die in einen,
wir können wohl sagen echt tragischen, Conflict kommen, weil sie nicht blos
jeder nach seiner Meinung, sondern auch jeder in seiner Weise Recht haben, so
aber, daß nach allgemeineren, freieren Gesichtspunkten wiederum jedem auch
ein gewisses, mehr oder minder großes Unrecht anhaftet, weil er seinen eige¬
nen, individuellen Standpunkt zum absoluten, allein berechtigten machen und
dem des Andern nicht auch eine theilweise Berechtigung zugestehen will.
Tragisch ist dieser Conflict, weil er der Idee nach, welche die Harmonie und
den Frieden fordert, nicht bestehen sollte, und weil er, wie die Dinge nun ein¬
mal liegen, doch eben unvermeidlich ist, und weil schließlich auf der einen oder
der andern Seite eine Niederlage erfolgen muß, welche, in ihrer Gesammtwirkung
das genaue Maß der Schuld überschreitend, das Mitleid und den Antheil des
Herzens rege macht und einige wehmüthige Klänge selbst in den Siegesjubel
auf der andern Seite mischt. Es braucht wohl kaum ausdrücklich hinzugefügt
zu werden, daß jene Differenz im vorliegenden Falle nicht wirklich zu einer
äußerlichen .Katastrophe kam (war doch Fichte, dem geistig doch der Sieg blei¬
ben mußte, wie er ihm auch von der Geschichte zugesprochen ist, für seine Mutter
bis an das Ende ihres und seines Lebens in treuer Sorge thätig): es ist dieses
nur eine innerliche Auseinandersetzung gewesen.

Wem das Ganze als eine ungehörige Abschweifung in das ästhetische
Gebiet erscheint, der möge Nachsicht üben. Ich glaubte nicht anders jenen bei¬
den wackeren Menschen gerecht werden zu können, wenn ich einmal wagte,
von ihnen zu reden; und was mich dazu bestimmte, habe ich oben aus-


sie schließlich eine von jenen Frauen wurde, als deren hervorstechendste Seite
die Zanksucht sich zeigt, während sie doch im innersten Grunde ihres Wesens
wohlmeinend und herzensgut sind. Etwas davon, obwohl in vollkommen ge¬
reinigter und ideaiisirter Weise, war auch in ihrem großen Sohne, der auch
leiblich ihr Abbild war. Herr Professor I. H. Fichte schreibt mir, daß ihm
seine Großmutter noch aus seiner „eignen Kinderzeit als stattliche, untersetzte
Frau von mäßiger Größe, bei auffallender Aehnlichkeit mit den Gesichtszügen
ihres Sohnes, Johann Gottl. Fichte, gar wohl in der Erinnerung" lebe. Daß
gerade zwei solche harte, feste Charaktere, innerlich und ursprünglich.verwandt,
doch leicht dazu kommen konnten, sich gegenseitig abzustoßen, liegt auf der Hand
und ist psychologisch vollständig erklärbar, namentlich wenn, wie hier, der
Vater. Passiv sich verhaltend, den Sohn nachsichtig gewähren ließ, wo die prak¬
tische, resolute Mutter meinte, den Sohn nach' einer langen, mühsamen Vor¬
bereitung zur Erfassung einer geordneten, den nöthigen Lebensunterhalt sicher
eintragenden Berufsthätigkeit drängen zu müssen. Ihr Verhältniß zu den
übrigen Kindern ist aus den vorliegenden Quellen natürlich nicht so deutlich
erkennbar, und jedenfalls überhaupt minder klar durchgebildet gewesen.

Wir haben hier ganze, volle, markige Menschen vor uns, die in einen,
wir können wohl sagen echt tragischen, Conflict kommen, weil sie nicht blos
jeder nach seiner Meinung, sondern auch jeder in seiner Weise Recht haben, so
aber, daß nach allgemeineren, freieren Gesichtspunkten wiederum jedem auch
ein gewisses, mehr oder minder großes Unrecht anhaftet, weil er seinen eige¬
nen, individuellen Standpunkt zum absoluten, allein berechtigten machen und
dem des Andern nicht auch eine theilweise Berechtigung zugestehen will.
Tragisch ist dieser Conflict, weil er der Idee nach, welche die Harmonie und
den Frieden fordert, nicht bestehen sollte, und weil er, wie die Dinge nun ein¬
mal liegen, doch eben unvermeidlich ist, und weil schließlich auf der einen oder
der andern Seite eine Niederlage erfolgen muß, welche, in ihrer Gesammtwirkung
das genaue Maß der Schuld überschreitend, das Mitleid und den Antheil des
Herzens rege macht und einige wehmüthige Klänge selbst in den Siegesjubel
auf der andern Seite mischt. Es braucht wohl kaum ausdrücklich hinzugefügt
zu werden, daß jene Differenz im vorliegenden Falle nicht wirklich zu einer
äußerlichen .Katastrophe kam (war doch Fichte, dem geistig doch der Sieg blei¬
ben mußte, wie er ihm auch von der Geschichte zugesprochen ist, für seine Mutter
bis an das Ende ihres und seines Lebens in treuer Sorge thätig): es ist dieses
nur eine innerliche Auseinandersetzung gewesen.

Wem das Ganze als eine ungehörige Abschweifung in das ästhetische
Gebiet erscheint, der möge Nachsicht üben. Ich glaubte nicht anders jenen bei¬
den wackeren Menschen gerecht werden zu können, wenn ich einmal wagte,
von ihnen zu reden; und was mich dazu bestimmte, habe ich oben aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/142>, abgerufen am 25.08.2024.