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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Sie kennen zu lernen: Er wird Sie, wie seinen Sohn lieben. Er hat el"
Herz daß lieben kann, und dem nicht wohl ist, Wenns nicht lieben kann.

Wenn Sie ein Freund der Natur sind so werden Sie auch an mir eine
Freundin der Natur finden, denn kann ich orudlich schwärmen, aber^doch nicht
mehr in dem Grade, wie ichs konntel; dieses Gefühl hat sich > ein wenig bey
mir verlohren, und es ärgert mich sehr.

Leben Sie wohl Lieber theurer Bruder! Schreiben Sie bald, und ver¬
gehen Sie nicht, wie Sie aufrichtig Liebt Ihre Schwester


^oliiumij. Igelits

Aufschrift!

Herrn diente:
abzugeben beym Herrn Conrector Ilrieine
in Reisen

Frey-

Einerseits zur Bestätigung, andrerseits zur Erklärung und Milderung des
Urtheils über die Mutter vergleiche man, was oben zum 4. Briefe bemerkt
wurde, so wie die folgenden Briefe Ur. 19. 21. 42. 45. 47. Nach reiflicher
Ueberlegung habe ich geglaubt, auch diese Stellen nicht zurückhalten zu müssen,
weder aus übertrieben vorsichtiger und zaghafter Pietät gegen Fichte, noch
selbst gegen seine Mutter, die trotz der vielleicht scharfen und grellen Beleuchtung,
welche auf sie fallen mag. doch nicht in einem schlechten Lichte erscheint. Für
das Verständniß von Fichte's eigenem Wesen aber scheint mir die Kenntniß
seiner Stellung in seiner Familie und der Beziehungen zu seinen 'Angehörigen
nicht unwichtig, weil die rücksichtslose Entschiedenheit und die zuweilen bis an
Schroffheit grenzende Strenge seines Charakters, das oft stolz sich Abschließende
und kalt Zurückweisende seines Wesens gegen heterogene, andere geartete Persön¬
lichkeiten, zum Theil wohl -- ich sage nicht ihre Entschuldigung, deren scheint
mir es nicht zu bedürfen, wohl aber ihren Erklärungsgrund mit in dein Gegen¬
satze haben kann, in dem er schon frühzeitig zu einem Theile seiner Umgebung
sich befand. Nicht minder als die positiven müssen auch die negativen Ein¬
flüsse bei dem Entwicklungsgange eines Charakters in Anschlaa gebracht
werden. -

Dürfen wir aus den spärlichen Andeutungen ein bescheidenes Urtheil
wagen, so war Fichte's Mutter wohl, zum Unterschiede -- vielleicht auch zu
einer nothwendigen Ergänzung -- von ihrem weichherzigen und wohl bis
an's Unpraktische gutmüthigen Gatten, eine wesentlich energische, positive, that¬
kräftig auftretende Frau von etwas zusammen geraffter, gedrungener, kantiger
Natur, die ihre gut gemeinten, verständigen Ansichten in eigensinniger, recht¬
haberischer Weise geltend machte, vielleicht um so heftiger und, daß ich so sage,
verbissener, je weniger sie alle Mal sogleich einen Erfolg davon sah- so daß


Sie kennen zu lernen: Er wird Sie, wie seinen Sohn lieben. Er hat el»
Herz daß lieben kann, und dem nicht wohl ist, Wenns nicht lieben kann.

Wenn Sie ein Freund der Natur sind so werden Sie auch an mir eine
Freundin der Natur finden, denn kann ich orudlich schwärmen, aber^doch nicht
mehr in dem Grade, wie ichs konntel; dieses Gefühl hat sich > ein wenig bey
mir verlohren, und es ärgert mich sehr.

Leben Sie wohl Lieber theurer Bruder! Schreiben Sie bald, und ver¬
gehen Sie nicht, wie Sie aufrichtig Liebt Ihre Schwester


^oliiumij. Igelits

Aufschrift!

Herrn diente:
abzugeben beym Herrn Conrector Ilrieine
in Reisen

Frey-

Einerseits zur Bestätigung, andrerseits zur Erklärung und Milderung des
Urtheils über die Mutter vergleiche man, was oben zum 4. Briefe bemerkt
wurde, so wie die folgenden Briefe Ur. 19. 21. 42. 45. 47. Nach reiflicher
Ueberlegung habe ich geglaubt, auch diese Stellen nicht zurückhalten zu müssen,
weder aus übertrieben vorsichtiger und zaghafter Pietät gegen Fichte, noch
selbst gegen seine Mutter, die trotz der vielleicht scharfen und grellen Beleuchtung,
welche auf sie fallen mag. doch nicht in einem schlechten Lichte erscheint. Für
das Verständniß von Fichte's eigenem Wesen aber scheint mir die Kenntniß
seiner Stellung in seiner Familie und der Beziehungen zu seinen 'Angehörigen
nicht unwichtig, weil die rücksichtslose Entschiedenheit und die zuweilen bis an
Schroffheit grenzende Strenge seines Charakters, das oft stolz sich Abschließende
und kalt Zurückweisende seines Wesens gegen heterogene, andere geartete Persön¬
lichkeiten, zum Theil wohl — ich sage nicht ihre Entschuldigung, deren scheint
mir es nicht zu bedürfen, wohl aber ihren Erklärungsgrund mit in dein Gegen¬
satze haben kann, in dem er schon frühzeitig zu einem Theile seiner Umgebung
sich befand. Nicht minder als die positiven müssen auch die negativen Ein¬
flüsse bei dem Entwicklungsgange eines Charakters in Anschlaa gebracht
werden. -

Dürfen wir aus den spärlichen Andeutungen ein bescheidenes Urtheil
wagen, so war Fichte's Mutter wohl, zum Unterschiede — vielleicht auch zu
einer nothwendigen Ergänzung — von ihrem weichherzigen und wohl bis
an's Unpraktische gutmüthigen Gatten, eine wesentlich energische, positive, that¬
kräftig auftretende Frau von etwas zusammen geraffter, gedrungener, kantiger
Natur, die ihre gut gemeinten, verständigen Ansichten in eigensinniger, recht¬
haberischer Weise geltend machte, vielleicht um so heftiger und, daß ich so sage,
verbissener, je weniger sie alle Mal sogleich einen Erfolg davon sah- so daß


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[0141] Sie kennen zu lernen: Er wird Sie, wie seinen Sohn lieben. Er hat el» Herz daß lieben kann, und dem nicht wohl ist, Wenns nicht lieben kann. Wenn Sie ein Freund der Natur sind so werden Sie auch an mir eine Freundin der Natur finden, denn kann ich orudlich schwärmen, aber^doch nicht mehr in dem Grade, wie ichs konntel; dieses Gefühl hat sich > ein wenig bey mir verlohren, und es ärgert mich sehr. Leben Sie wohl Lieber theurer Bruder! Schreiben Sie bald, und ver¬ gehen Sie nicht, wie Sie aufrichtig Liebt Ihre Schwester ^oliiumij. Igelits Aufschrift! Herrn diente: abzugeben beym Herrn Conrector Ilrieine in Reisen Frey- Einerseits zur Bestätigung, andrerseits zur Erklärung und Milderung des Urtheils über die Mutter vergleiche man, was oben zum 4. Briefe bemerkt wurde, so wie die folgenden Briefe Ur. 19. 21. 42. 45. 47. Nach reiflicher Ueberlegung habe ich geglaubt, auch diese Stellen nicht zurückhalten zu müssen, weder aus übertrieben vorsichtiger und zaghafter Pietät gegen Fichte, noch selbst gegen seine Mutter, die trotz der vielleicht scharfen und grellen Beleuchtung, welche auf sie fallen mag. doch nicht in einem schlechten Lichte erscheint. Für das Verständniß von Fichte's eigenem Wesen aber scheint mir die Kenntniß seiner Stellung in seiner Familie und der Beziehungen zu seinen 'Angehörigen nicht unwichtig, weil die rücksichtslose Entschiedenheit und die zuweilen bis an Schroffheit grenzende Strenge seines Charakters, das oft stolz sich Abschließende und kalt Zurückweisende seines Wesens gegen heterogene, andere geartete Persön¬ lichkeiten, zum Theil wohl — ich sage nicht ihre Entschuldigung, deren scheint mir es nicht zu bedürfen, wohl aber ihren Erklärungsgrund mit in dein Gegen¬ satze haben kann, in dem er schon frühzeitig zu einem Theile seiner Umgebung sich befand. Nicht minder als die positiven müssen auch die negativen Ein¬ flüsse bei dem Entwicklungsgange eines Charakters in Anschlaa gebracht werden. - Dürfen wir aus den spärlichen Andeutungen ein bescheidenes Urtheil wagen, so war Fichte's Mutter wohl, zum Unterschiede — vielleicht auch zu einer nothwendigen Ergänzung — von ihrem weichherzigen und wohl bis an's Unpraktische gutmüthigen Gatten, eine wesentlich energische, positive, that¬ kräftig auftretende Frau von etwas zusammen geraffter, gedrungener, kantiger Natur, die ihre gut gemeinten, verständigen Ansichten in eigensinniger, recht¬ haberischer Weise geltend machte, vielleicht um so heftiger und, daß ich so sage, verbissener, je weniger sie alle Mal sogleich einen Erfolg davon sah- so daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/141>, abgerufen am 25.08.2024.