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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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gesprochen. -- Indessen will ich auch nicht unterlassen hinzuzufügen, daß mir
Herr Pastor Werner in Raminenau sagte, im Dorfe gelte Fichte's Mutter mehr
für eine stille Frau, von der man nicht Viel wisse, wogegen sein Vater als
"der alte Bandmacher" noch vielfach genannt werde. Dies ist allerdings l'eine
Bestätigung der psychologischen Hypothese, wie ich sie aus Grund des vorliegen¬
den Materials aufgestellt bade; es ist aber auch -- scheint mir -- keine un¬
bedingte Widerlegung, sondern läßt sich, zumal wenn man den verwischenden
Einfluß der Zeit in Anschlag bringt, sehr wohl damit vereinigen. --

Es gereicht mir zu hoher Befriedigung, daß die hier dargelegte Ansicht
nachträglich noch von competentester Seite her authentische Bestätigung findet.
Herr Prof. Fichte in Tübingen schreibt mir am 7. Juli d. I. über diese ihm
mitgetheilte Stelle: .... "Damit komme ich auf meine Großmutter und auf
dasjenige, was Sie mit gewiß sehr richtiger psychologischer Conjecturaltritik
über dieselbe schreiben. Was ich selbst über sie und über ihr Verhältniß zu
Mann und Kindern aus eigener Erinnerung und aus den Mittheilungen meiner
seligen Mutter weiß, ist folgendes. Sie war noch im Alter (im Jahre 1805
und 1811 besuchte mein Vater mit uns seine Eltern und so schwebt mir das
Bild der Großmutter noch in lebhafter Erinnerung vor) eine gerade, stämmig
untersetzte Frau, mittlerer Größe, mit Gesichtszügen, die ganz auffallend
denen ihres Erstgebornen glichen. Sie galt in der Familie wegen ihres
Verstandes und der Energie ihres Willens als die eigentliche Herrscherin,
und ohne Zweifel hat mein Vater ihr das Feste, Unerschütterliche sei¬
nes Charakters als Erbstück zu danken. Deshalb wurde sie aber auch
gefürchtet in der Familie, und meiner Mutter Aeußerung, sowie die meines
Vaters erklären sich daraus vollständig. Sie war dabei eine Frau von
strenger Religiosität, und mein Vater, der wenigstens in den spätern Jahren,
wie ich es selbst erlebt habe, seine Mutter mit kindlicher Ehrfurcht als ein ihm
ehrwürdiges Wesen behandelte, hat gegen meine Mutter ausdrücklich erwähnt,
wie viel er den ersten religiösen Eindrücken verdanke, welche die Mutter ihm
eingeflößt. Doch war das Verhältniß zwischen Mutter und Sohn in seinen
Studienjahren allerdings, wie ich aus vielen einzelnen Andeutungen in übrig¬
gebliebenen Tagebuchresten und Briefconcepten schließen konnte, ein getrübtes.
Der Grund lag aber gerade in ihrer Vorliebe für diesen ältesten Sohn, den
sie sich nicht anders denken konnte, denn als Prediger, und in dessen ganz ab¬
weichender und excentrischer Laufbahn sie nur die bedenklichste Abweichung vom
Pfade des Frommen und Guten erblicken konnte; kurz, sie verstanden einander
nicht, es kam zu heftigen' Scenen, weshalb er einige Jahre hindurch sogar den
Besuch zu Hause gemieden zu haben scheint, und so erklärt sich mir z. B., daß
er bei seiner allerdings abenteuerlich erscheinenden Wanderung nach Warschau
(Bd. 1. S. 119 Aufl. II.) in Bischofswerda blieb und brieflich seinen Vater


gesprochen. — Indessen will ich auch nicht unterlassen hinzuzufügen, daß mir
Herr Pastor Werner in Raminenau sagte, im Dorfe gelte Fichte's Mutter mehr
für eine stille Frau, von der man nicht Viel wisse, wogegen sein Vater als
„der alte Bandmacher" noch vielfach genannt werde. Dies ist allerdings l'eine
Bestätigung der psychologischen Hypothese, wie ich sie aus Grund des vorliegen¬
den Materials aufgestellt bade; es ist aber auch — scheint mir — keine un¬
bedingte Widerlegung, sondern läßt sich, zumal wenn man den verwischenden
Einfluß der Zeit in Anschlag bringt, sehr wohl damit vereinigen. —

Es gereicht mir zu hoher Befriedigung, daß die hier dargelegte Ansicht
nachträglich noch von competentester Seite her authentische Bestätigung findet.
Herr Prof. Fichte in Tübingen schreibt mir am 7. Juli d. I. über diese ihm
mitgetheilte Stelle: .... „Damit komme ich auf meine Großmutter und auf
dasjenige, was Sie mit gewiß sehr richtiger psychologischer Conjecturaltritik
über dieselbe schreiben. Was ich selbst über sie und über ihr Verhältniß zu
Mann und Kindern aus eigener Erinnerung und aus den Mittheilungen meiner
seligen Mutter weiß, ist folgendes. Sie war noch im Alter (im Jahre 1805
und 1811 besuchte mein Vater mit uns seine Eltern und so schwebt mir das
Bild der Großmutter noch in lebhafter Erinnerung vor) eine gerade, stämmig
untersetzte Frau, mittlerer Größe, mit Gesichtszügen, die ganz auffallend
denen ihres Erstgebornen glichen. Sie galt in der Familie wegen ihres
Verstandes und der Energie ihres Willens als die eigentliche Herrscherin,
und ohne Zweifel hat mein Vater ihr das Feste, Unerschütterliche sei¬
nes Charakters als Erbstück zu danken. Deshalb wurde sie aber auch
gefürchtet in der Familie, und meiner Mutter Aeußerung, sowie die meines
Vaters erklären sich daraus vollständig. Sie war dabei eine Frau von
strenger Religiosität, und mein Vater, der wenigstens in den spätern Jahren,
wie ich es selbst erlebt habe, seine Mutter mit kindlicher Ehrfurcht als ein ihm
ehrwürdiges Wesen behandelte, hat gegen meine Mutter ausdrücklich erwähnt,
wie viel er den ersten religiösen Eindrücken verdanke, welche die Mutter ihm
eingeflößt. Doch war das Verhältniß zwischen Mutter und Sohn in seinen
Studienjahren allerdings, wie ich aus vielen einzelnen Andeutungen in übrig¬
gebliebenen Tagebuchresten und Briefconcepten schließen konnte, ein getrübtes.
Der Grund lag aber gerade in ihrer Vorliebe für diesen ältesten Sohn, den
sie sich nicht anders denken konnte, denn als Prediger, und in dessen ganz ab¬
weichender und excentrischer Laufbahn sie nur die bedenklichste Abweichung vom
Pfade des Frommen und Guten erblicken konnte; kurz, sie verstanden einander
nicht, es kam zu heftigen' Scenen, weshalb er einige Jahre hindurch sogar den
Besuch zu Hause gemieden zu haben scheint, und so erklärt sich mir z. B., daß
er bei seiner allerdings abenteuerlich erscheinenden Wanderung nach Warschau
(Bd. 1. S. 119 Aufl. II.) in Bischofswerda blieb und brieflich seinen Vater


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/143>, abgerufen am 25.08.2024.