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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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In Holland führt unser Bericht die Gemeinden Roermond, Sittart,
Weerd (sämmtlich im Limburgischen), Soesterbcrg und West, in Belgien mehre
Schulen und die Gemeinden in Brüssel und Lüttich als hülfsbedürftig auf.
In der letztgenannten wurde der ermiethete Beetsaal im Haus einer Katholikin
18S9 gekündigt, da der Besitzerin wegen dieser Bermiethung von ihrem Beicht¬
vater die Absolution verweigert worden, und so mußte die 700 Seelen zählende
Gemeinde sich eine eigne Kirche hauen, die. obwohl die Gemeindeglieder sehr
reichlich, zum Theil über ihre Kräfte dazu beisteuerten und. von Schottland und
England Geldhülfe kam, "och jetzt nur theilweise bezahlt ist.

In der Schweiz befanden sich im vorigen Jahr die protestantischen Ge¬
meinden Mastrils in Graubündten, Nohrschach, Salez und Ragatz in Se. Gal¬
len. Rheinfelden, Sitten in Wallis, Stäffis im Canton Freiburg, namentlich
aber die Gemeinde Solothurn in der Lage, sich an die Gustav-Adolf-Stiftung
um Hülse zu wenden.

Se. Gallen ist, indem hier 80.000 Protestanten 110.000 Katholiken gegen¬
überstehen, unter den Cantonen der Eidgenossenschaft, die entweder ganz katho¬
lisch oder fast ganz evangelisch sind, eine Ausnahme. Die Mehrheit und mit
dieser die Macht liegt hier zu schwerer Benachtheiligung einer sehr starken pro¬
testantischen Minorität auf Seiten der katholischen Confession. und in den ma߬
gebenden Kreisen herrscht leider die Anschauung, daß man den Evangelischen
nicht mehr Rechte einzuräumen habe, als den Katholiken beliebt, oder daß man
für die Ketzer hinreichend sorge, wenn man ihnen die Kirchen und Schulen der
alleinseligmachenden Kirche öffne.

Ebenso übel verhält sich's mit Solothurn. Hier war in der ersten Zeit der
Reformation die große Mehrzahl der Einwohner von Stadt und Canton der
Lehre Zwingli's zugethan. Nach dem unglücklichen Ausgang des zweiten Kap-
peler Kriegs aber wurden die Reformirten gezwungen, in die alte Kirche zurück¬
zukehren oder das Land zu meiden. Nicht weniger als sechstausend wehrhafte
Männer verließen in jener Zeit um des Glaubens willen die Heimath, und bis
zum Jahr 1830 durfte in der Stadt Solothurn kein evangelischer Gottesdienst
stattfinden. Im gedachten Jahr aber constituirten sich die 200 Protestanten,
welche sich bis dahin allmälig hier niedergelassen, zu einer Gemeinde, und
durch Sammlung von jährlichen Beisteuern der Gemeindeglieder selbst, durch
Beihülfe der reformirten Cantonsrcgierungen und die Freigebigkeit des Königs
von Preußen wurde es möglich, im Jahr 1835 einen evangelischen Pfarrer zu
berufen, dessen Gehalt größtenihcils aus dem auf ziemlich 40,000 Franken ange¬
wachsenen Psarrdotationsfvnd bestritten wird. Inzwischen hat sich die Seelen¬
zahl der Gemeinde auf 1200 vermehrt, aber die Mitglieder sind größtentheils
unbemittelte Arbeiter, Bauern oder Handwerker. Pfarrhaus und Schule fehlen.
Für den Religionsunterricht der Kinder, die sämmtlich die katholischen Stadt-


In Holland führt unser Bericht die Gemeinden Roermond, Sittart,
Weerd (sämmtlich im Limburgischen), Soesterbcrg und West, in Belgien mehre
Schulen und die Gemeinden in Brüssel und Lüttich als hülfsbedürftig auf.
In der letztgenannten wurde der ermiethete Beetsaal im Haus einer Katholikin
18S9 gekündigt, da der Besitzerin wegen dieser Bermiethung von ihrem Beicht¬
vater die Absolution verweigert worden, und so mußte die 700 Seelen zählende
Gemeinde sich eine eigne Kirche hauen, die. obwohl die Gemeindeglieder sehr
reichlich, zum Theil über ihre Kräfte dazu beisteuerten und. von Schottland und
England Geldhülfe kam, »och jetzt nur theilweise bezahlt ist.

In der Schweiz befanden sich im vorigen Jahr die protestantischen Ge¬
meinden Mastrils in Graubündten, Nohrschach, Salez und Ragatz in Se. Gal¬
len. Rheinfelden, Sitten in Wallis, Stäffis im Canton Freiburg, namentlich
aber die Gemeinde Solothurn in der Lage, sich an die Gustav-Adolf-Stiftung
um Hülse zu wenden.

Se. Gallen ist, indem hier 80.000 Protestanten 110.000 Katholiken gegen¬
überstehen, unter den Cantonen der Eidgenossenschaft, die entweder ganz katho¬
lisch oder fast ganz evangelisch sind, eine Ausnahme. Die Mehrheit und mit
dieser die Macht liegt hier zu schwerer Benachtheiligung einer sehr starken pro¬
testantischen Minorität auf Seiten der katholischen Confession. und in den ma߬
gebenden Kreisen herrscht leider die Anschauung, daß man den Evangelischen
nicht mehr Rechte einzuräumen habe, als den Katholiken beliebt, oder daß man
für die Ketzer hinreichend sorge, wenn man ihnen die Kirchen und Schulen der
alleinseligmachenden Kirche öffne.

Ebenso übel verhält sich's mit Solothurn. Hier war in der ersten Zeit der
Reformation die große Mehrzahl der Einwohner von Stadt und Canton der
Lehre Zwingli's zugethan. Nach dem unglücklichen Ausgang des zweiten Kap-
peler Kriegs aber wurden die Reformirten gezwungen, in die alte Kirche zurück¬
zukehren oder das Land zu meiden. Nicht weniger als sechstausend wehrhafte
Männer verließen in jener Zeit um des Glaubens willen die Heimath, und bis
zum Jahr 1830 durfte in der Stadt Solothurn kein evangelischer Gottesdienst
stattfinden. Im gedachten Jahr aber constituirten sich die 200 Protestanten,
welche sich bis dahin allmälig hier niedergelassen, zu einer Gemeinde, und
durch Sammlung von jährlichen Beisteuern der Gemeindeglieder selbst, durch
Beihülfe der reformirten Cantonsrcgierungen und die Freigebigkeit des Königs
von Preußen wurde es möglich, im Jahr 1835 einen evangelischen Pfarrer zu
berufen, dessen Gehalt größtenihcils aus dem auf ziemlich 40,000 Franken ange¬
wachsenen Psarrdotationsfvnd bestritten wird. Inzwischen hat sich die Seelen¬
zahl der Gemeinde auf 1200 vermehrt, aber die Mitglieder sind größtentheils
unbemittelte Arbeiter, Bauern oder Handwerker. Pfarrhaus und Schule fehlen.
Für den Religionsunterricht der Kinder, die sämmtlich die katholischen Stadt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/110>, abgerufen am 25.08.2024.