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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Abfall mancher schwachmüthigem verleidet würde. Endlich wurden ihnen durch
Gönner in Basel und Schopfheim protestantische Privatbetstunden vermittelt.
Der.zur Leitung derselben abgeordnete Geistliche fand unter ihnen Leute, die
mündig, aber noch nicht consumirt waren. 1858 erst begann ein regelmäßiger
allsonntäglicher Gottesdienst. Auch erfolgte trotz der Machinationen der Gegner
die Anstellung eines eignen Seelsorgers, und die Gemeinde bekam für ihre
kirchlichen Zwecke ein wegen Unbrauchbarkeit von den Beamten verlassenes
Bureau in Pacht. Dasselbe ist aber feucht, eng und überhaupt für die Ab¬
haltung von Gottesdiensten nicht geeignet. Der Pfarrer mußte sich, da die
Stadt selbst keine Wohnung bot. in einem benachbarten Schweizerdorf ein-
miethen. Schulhaus und Lehrer fehlen gänzlich/ ebenso der Pfarrdotationsfvnd.
,DH H8 protestantischen Kinder müssen die katholische Schule besuchen, der
Pastor ist genöthigt, zugleich Organistcndienste zu thun. Der Bau einer Kirche,
welche Schule und Pfarrwohnung einschließen soll, ist deshalb dringendes Be¬
dürfniß der jetzt 539 Seelen zählenden Gemeinde, aber von der erforderlichen
Summe war nach den letzten Nachrichten noch nicht viel mehr als der vierte
Theil beisammen.

Ein anderes Beispiel ist das fünf Stunden von Säckingen am Rhein gelegne
Städtchen Waldshut. welches in der Reformationszeit ein ganz evangelischer
Ort war und seinen Glauben, vorzüglich durch Hubmciers Energie, tapfer
gegen die Katholisirungsbestrebungen Oestreichs vertheidigte, bis es, durch Un¬
fug wiedertäuferischer Schwärmer geschwächt, endlich dem Feinde erlag. Noch
heute steht hier der Protestantismus in üblem Andenken, und noch vor nicht
sehr langer Zeit wurde hier die kirchliche Anordnung befolgt, nach welcher die
Mädchen eines immer katholisch gebliebner Dorfes bei Prozessionen allen denen,
die aus abgefallen gewesenen Ortschaften stammten, voranschritten. Nach un¬
gefähr drcihundcrtjahrigcr völliger Entfremdung vom Protestantismus nahm
der Ort allmälig wieder verschiedene Evangelische auf, und gegenwärtig beträgt
die Seelenzahl derselben etwa 130. Die kleine Gemeinde miethete im. Kehr
1860 die in Privatbesitz übergegangene Spitalkapelle und ließ dieselbe wieder
für den Gottesdienst Herrichten. Am 3. Juni fand mit der Einweihung, der¬
selben durch den Geistlichen von Säckingen die Wiedereröffnung des seit dreißig
Jahrzehnten aus Waldshut verbannt, gewesenen evangelischen Eultus statt,
und es ist jetzt nur noch zu wünschen, daß es der neuen Gemeinde gelingen
möge, bald die zum Ankauf des ermietheten Bethausos erforderliche Summe
zusammenzubringen.

Wie der Gustav-Adolf-Verein in Bayern, Würtemberg und Baden sehr
wesentliche Dienste geleistet hat, so auch im Großherzogthum Hessen,' in Kur¬
hessen und in Nassau. In Hessen-Darmstadt wurde großenrbeils mit den
von ihm dargereichten Mitteln die schöne Kirche von Bingen erbaut und dem


Abfall mancher schwachmüthigem verleidet würde. Endlich wurden ihnen durch
Gönner in Basel und Schopfheim protestantische Privatbetstunden vermittelt.
Der.zur Leitung derselben abgeordnete Geistliche fand unter ihnen Leute, die
mündig, aber noch nicht consumirt waren. 1858 erst begann ein regelmäßiger
allsonntäglicher Gottesdienst. Auch erfolgte trotz der Machinationen der Gegner
die Anstellung eines eignen Seelsorgers, und die Gemeinde bekam für ihre
kirchlichen Zwecke ein wegen Unbrauchbarkeit von den Beamten verlassenes
Bureau in Pacht. Dasselbe ist aber feucht, eng und überhaupt für die Ab¬
haltung von Gottesdiensten nicht geeignet. Der Pfarrer mußte sich, da die
Stadt selbst keine Wohnung bot. in einem benachbarten Schweizerdorf ein-
miethen. Schulhaus und Lehrer fehlen gänzlich/ ebenso der Pfarrdotationsfvnd.
,DH H8 protestantischen Kinder müssen die katholische Schule besuchen, der
Pastor ist genöthigt, zugleich Organistcndienste zu thun. Der Bau einer Kirche,
welche Schule und Pfarrwohnung einschließen soll, ist deshalb dringendes Be¬
dürfniß der jetzt 539 Seelen zählenden Gemeinde, aber von der erforderlichen
Summe war nach den letzten Nachrichten noch nicht viel mehr als der vierte
Theil beisammen.

Ein anderes Beispiel ist das fünf Stunden von Säckingen am Rhein gelegne
Städtchen Waldshut. welches in der Reformationszeit ein ganz evangelischer
Ort war und seinen Glauben, vorzüglich durch Hubmciers Energie, tapfer
gegen die Katholisirungsbestrebungen Oestreichs vertheidigte, bis es, durch Un¬
fug wiedertäuferischer Schwärmer geschwächt, endlich dem Feinde erlag. Noch
heute steht hier der Protestantismus in üblem Andenken, und noch vor nicht
sehr langer Zeit wurde hier die kirchliche Anordnung befolgt, nach welcher die
Mädchen eines immer katholisch gebliebner Dorfes bei Prozessionen allen denen,
die aus abgefallen gewesenen Ortschaften stammten, voranschritten. Nach un¬
gefähr drcihundcrtjahrigcr völliger Entfremdung vom Protestantismus nahm
der Ort allmälig wieder verschiedene Evangelische auf, und gegenwärtig beträgt
die Seelenzahl derselben etwa 130. Die kleine Gemeinde miethete im. Kehr
1860 die in Privatbesitz übergegangene Spitalkapelle und ließ dieselbe wieder
für den Gottesdienst Herrichten. Am 3. Juni fand mit der Einweihung, der¬
selben durch den Geistlichen von Säckingen die Wiedereröffnung des seit dreißig
Jahrzehnten aus Waldshut verbannt, gewesenen evangelischen Eultus statt,
und es ist jetzt nur noch zu wünschen, daß es der neuen Gemeinde gelingen
möge, bald die zum Ankauf des ermietheten Bethausos erforderliche Summe
zusammenzubringen.

Wie der Gustav-Adolf-Verein in Bayern, Würtemberg und Baden sehr
wesentliche Dienste geleistet hat, so auch im Großherzogthum Hessen,' in Kur¬
hessen und in Nassau. In Hessen-Darmstadt wurde großenrbeils mit den
von ihm dargereichten Mitteln die schöne Kirche von Bingen erbaut und dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/108>, abgerufen am 25.08.2024.