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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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-- "Nun können Sie gehen, Liebster." -- "Ich bin Ihnen dankbar, hochwür¬
diger Vater und empfehle mich in Ihr Gebet. I^uäkUir ^ösus Llirisws!" --
"^fumo et semper. ^men!"

Die Uebungen in der Demuth, von denen wir oben den berühmten Pa¬
ter Passaglia ein Beispiel geben sahen, waren auch in dem Kollegium Germa-
nicum nicht ungewöhnlich, ja sie wurden selbst von solchen stillschweigend
gefordert, die sich durch nichts den Lorwurf des Hochmuths zugezogen
hatten,

"Wir saßen einst ruhig bei Tisch," berichtet unser Erzähler, "als sich einer
der Zöglinge erhob, in der Mitte des Speisesaals niederkniete, mit gefalteten
Händen das allgemeine Sündcnbekenntniß sprach und dann auf allen Bieren
unter die Tische kroch, um seinen Commilitonen und dein Pater die Füße zu
küssen. Die Sache war um so auffallender, als dieser Büßer ein Zögling war.
der fromm und harmlos, aber kränklich und mit sich unzufrieden, nie genug
thun zu können glaubte, während wir ihm das Zeugniß geben mußten, daß
er an Gefälligkeit und Aufopferung uns alle übertraf. Diese Bußübung kehrte
von Zeit zu Zeit wieder. Bald nahm dieser, bald jener sie vor, einmal alle
Jahre auch unsre Obern selbst. Ich hatte mich aus mancherlei Gründen --
unter andern auch, weil viele von uns auf reinliche Schuhe zu wenig gaben,
von dieser Handlung lange Zeit fern gehalten." "Alle mit mir angelangten
Novizen hatten bereits den Fußkuß vollzogen, selbst der sonst recht nüchtern
denkende lange Georg, welcher sich zur allgemeinen Heiterkeit dabei oft an den
Kopf stieß. Endlich sollte auch mir die verhängnißvolle Stunde schlagen. Der
Pater Spiritualis ließ nicht nach, bei jenen Unterredungen, deren ich vorhin ge¬
dacht, jedesmal zu fragen, warum ich allein mich noch der Bußübung enthalte.
Allen meinen Gründen stellte er das Bedenken entgegen, ob nicht Hochmuth
und Eitelkeit in mir wären." "Sie behaupten, es sei gar keine schwierige Sache;
ich behaupte, für Sie ist dieselbe noch sehr schwer" u. s. w. Da ich mich von
Hochmuth und Stolz nicht frei wußte, ängstigte ich mich doch dann und wann
über meine Unterlassungssünde. Endlich berieth ich mich wiederholt mit mei¬
nem Beichtvater, bis dieser endlich meinte: "um bisn, mon elrer, lÄitös eslN,,
romx>L2 los ekainss 6t la, vno8ö est uns," Ich holte mir nun vom Pater
Spiritualis Erlaubniß zu der Bußübung, was immer nöthig war. Des Pa¬
ters Angesicht bellte sich etwas auf, er ertheilte die Erlaubniß sehr willig.
Das Herz klopfte mir doch etwas. Ich wußte, daß alle erstaunen würden,
mich noch um die elfte Stunde ankommen zu sehen, und ärgerte mich im Stil¬
len, meinem ursprünglichen Vorsatz ungetreu geworden zu sein. Bei Tische
sprang ich mit Hast von meinem Platze auf; obschon ich die Augen meist nieder¬
schlug, musterte ich mir die Gesichter der übrigen doch etwas von der Seite.
Die meisten lächelten, ich that es auch. Die Handlung ging glücklich von


— „Nun können Sie gehen, Liebster.« — „Ich bin Ihnen dankbar, hochwür¬
diger Vater und empfehle mich in Ihr Gebet. I^uäkUir ^ösus Llirisws!" —
„^fumo et semper. ^men!"

Die Uebungen in der Demuth, von denen wir oben den berühmten Pa¬
ter Passaglia ein Beispiel geben sahen, waren auch in dem Kollegium Germa-
nicum nicht ungewöhnlich, ja sie wurden selbst von solchen stillschweigend
gefordert, die sich durch nichts den Lorwurf des Hochmuths zugezogen
hatten,

„Wir saßen einst ruhig bei Tisch," berichtet unser Erzähler, „als sich einer
der Zöglinge erhob, in der Mitte des Speisesaals niederkniete, mit gefalteten
Händen das allgemeine Sündcnbekenntniß sprach und dann auf allen Bieren
unter die Tische kroch, um seinen Commilitonen und dein Pater die Füße zu
küssen. Die Sache war um so auffallender, als dieser Büßer ein Zögling war.
der fromm und harmlos, aber kränklich und mit sich unzufrieden, nie genug
thun zu können glaubte, während wir ihm das Zeugniß geben mußten, daß
er an Gefälligkeit und Aufopferung uns alle übertraf. Diese Bußübung kehrte
von Zeit zu Zeit wieder. Bald nahm dieser, bald jener sie vor, einmal alle
Jahre auch unsre Obern selbst. Ich hatte mich aus mancherlei Gründen —
unter andern auch, weil viele von uns auf reinliche Schuhe zu wenig gaben,
von dieser Handlung lange Zeit fern gehalten." „Alle mit mir angelangten
Novizen hatten bereits den Fußkuß vollzogen, selbst der sonst recht nüchtern
denkende lange Georg, welcher sich zur allgemeinen Heiterkeit dabei oft an den
Kopf stieß. Endlich sollte auch mir die verhängnißvolle Stunde schlagen. Der
Pater Spiritualis ließ nicht nach, bei jenen Unterredungen, deren ich vorhin ge¬
dacht, jedesmal zu fragen, warum ich allein mich noch der Bußübung enthalte.
Allen meinen Gründen stellte er das Bedenken entgegen, ob nicht Hochmuth
und Eitelkeit in mir wären." „Sie behaupten, es sei gar keine schwierige Sache;
ich behaupte, für Sie ist dieselbe noch sehr schwer" u. s. w. Da ich mich von
Hochmuth und Stolz nicht frei wußte, ängstigte ich mich doch dann und wann
über meine Unterlassungssünde. Endlich berieth ich mich wiederholt mit mei¬
nem Beichtvater, bis dieser endlich meinte: „um bisn, mon elrer, lÄitös eslN,,
romx>L2 los ekainss 6t la, vno8ö est uns," Ich holte mir nun vom Pater
Spiritualis Erlaubniß zu der Bußübung, was immer nöthig war. Des Pa¬
ters Angesicht bellte sich etwas auf, er ertheilte die Erlaubniß sehr willig.
Das Herz klopfte mir doch etwas. Ich wußte, daß alle erstaunen würden,
mich noch um die elfte Stunde ankommen zu sehen, und ärgerte mich im Stil¬
len, meinem ursprünglichen Vorsatz ungetreu geworden zu sein. Bei Tische
sprang ich mit Hast von meinem Platze auf; obschon ich die Augen meist nieder¬
schlug, musterte ich mir die Gesichter der übrigen doch etwas von der Seite.
Die meisten lächelten, ich that es auch. Die Handlung ging glücklich von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/506>, abgerufen am 08.01.2025.