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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Statten: in meinem rothen Rock kroch ich unter den Tischen umher, küßte die
unreinlichen Schuhe und war des Lorwurfs von Hochmuth überhoben/'

Alle Zöglinge hielten die kirchlich vorgeschriebenen Fasten mit peinlichster
Genauigkeit, viele auch legten sich allerhand Privattasteiungen auf. bearbeiteten
sich mit Geißeln, trugen Cilicien u. d. in. Geißeln gab es verschiedenartige:
die einfachsten bestanden aus Stricken mit kleinen Knoten an den Enden, an¬
dere waren mit Bleikugeln, spitzen Zacken oder Rädchen versehen.^ Einen Bu߬
psalm hersagend, lag man in seiner Zelle auf den Knien und.ljeß sich die
Streiche auf den entblößten Rücken fallen, wobei einige so ernst verfuhren, daß
rothe Striemen sichtbar blieben, häusig auch Blut floß. Die Cilicien sind Ket¬
ten aus hufeisenförmigen, etwa einen Zoll langen Drahtglicdern, deren stumpfe
Zacken nach innen gekehrt sind. Man gürtet sie um den bloßen Leib, und die
Zacken lassen oft blutige Spuren zurück, selbst dann, wenn die Kette nur schlaff
am Leibe hängt. Einige Zöglinge, welche mit diesem Instrument die böse
Lust dämpfen zu können glaubten, peinigten sich entsetzlich und legten die Kette
auch zur Nachtzeit an, wodurch der Schlaf häusig unterbrochen wurde. Ein
Gegenstück zu diesen Eifervollen erzählt unser Jesuitenzögling im Nach¬
stehenden:

"Ein Baier, der erst kurze Zeit im Collegium war und auf mich immer
den Eindruck eines Duckmäusers machte, trug zur Bekämpfung seines Fleisches
das Cilicium. Wiewohl er sich im Ganzen sehr verschlossen zeigte, erhielt ich
doch einmal von ihm Mittheilung darüber. Er behauptete, wenig oder gar
keinen Schmerz zu empfinden, obschon er die Kette so scharf angezogen habe,
daß sie bei mir im gleichen Fall tief ins Fleisch gedrungen sein würde, und er
war nicht magerer als ich, Er wollte nur dünne röthliche Streifen davon ge¬
tragen haben, so daß ich glaubte, die Haut dieses jungen Mannes müßte wie
die des hörnernen Siegfried beschaffen sein. Einige Wochen daraus beklagte sich
der Vorsteher der Wäschkammer, daß die Hemden desselben Zöglings in der
Hüftcngegend immer eine Menge kleiner Löcher zeigten. Das Räthsel wurde
bald gelöst: der schlaue Baier hatte bei seiner Bußübung die Stacheln des
Ciliciums in gutem Glauben nach außen gekehrt."

Der Maimonat war im Collegium besonders der Verehrung Mariens ge¬
widmet, und es gab dann allerlei Andachten zu Ehren der Mutter Gottes, die
nach einem von dem Jesuiten Muzzarelli verfaßten Handbüchlein vorgenommen
wurden, aus dem unser Berichterstatter sehr ergötzliche Proben mittheilt. Fer¬
ner bemühten sich die Obern des Kollegiums sehr, eine Fastenandacht einzu¬
führen.

Von den kirchlichen Festen wurde von den Jesuiten natürlich der Tag des
Stifters ihres Ordens, der 31. Juli, besonders feierlich begangen. Dann wurde die
Kirche des Klosters al (?esu mil Gobelins geschmückt, welche Scenen aus dem


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Statten: in meinem rothen Rock kroch ich unter den Tischen umher, küßte die
unreinlichen Schuhe und war des Lorwurfs von Hochmuth überhoben/'

Alle Zöglinge hielten die kirchlich vorgeschriebenen Fasten mit peinlichster
Genauigkeit, viele auch legten sich allerhand Privattasteiungen auf. bearbeiteten
sich mit Geißeln, trugen Cilicien u. d. in. Geißeln gab es verschiedenartige:
die einfachsten bestanden aus Stricken mit kleinen Knoten an den Enden, an¬
dere waren mit Bleikugeln, spitzen Zacken oder Rädchen versehen.^ Einen Bu߬
psalm hersagend, lag man in seiner Zelle auf den Knien und.ljeß sich die
Streiche auf den entblößten Rücken fallen, wobei einige so ernst verfuhren, daß
rothe Striemen sichtbar blieben, häusig auch Blut floß. Die Cilicien sind Ket¬
ten aus hufeisenförmigen, etwa einen Zoll langen Drahtglicdern, deren stumpfe
Zacken nach innen gekehrt sind. Man gürtet sie um den bloßen Leib, und die
Zacken lassen oft blutige Spuren zurück, selbst dann, wenn die Kette nur schlaff
am Leibe hängt. Einige Zöglinge, welche mit diesem Instrument die böse
Lust dämpfen zu können glaubten, peinigten sich entsetzlich und legten die Kette
auch zur Nachtzeit an, wodurch der Schlaf häusig unterbrochen wurde. Ein
Gegenstück zu diesen Eifervollen erzählt unser Jesuitenzögling im Nach¬
stehenden:

„Ein Baier, der erst kurze Zeit im Collegium war und auf mich immer
den Eindruck eines Duckmäusers machte, trug zur Bekämpfung seines Fleisches
das Cilicium. Wiewohl er sich im Ganzen sehr verschlossen zeigte, erhielt ich
doch einmal von ihm Mittheilung darüber. Er behauptete, wenig oder gar
keinen Schmerz zu empfinden, obschon er die Kette so scharf angezogen habe,
daß sie bei mir im gleichen Fall tief ins Fleisch gedrungen sein würde, und er
war nicht magerer als ich, Er wollte nur dünne röthliche Streifen davon ge¬
tragen haben, so daß ich glaubte, die Haut dieses jungen Mannes müßte wie
die des hörnernen Siegfried beschaffen sein. Einige Wochen daraus beklagte sich
der Vorsteher der Wäschkammer, daß die Hemden desselben Zöglings in der
Hüftcngegend immer eine Menge kleiner Löcher zeigten. Das Räthsel wurde
bald gelöst: der schlaue Baier hatte bei seiner Bußübung die Stacheln des
Ciliciums in gutem Glauben nach außen gekehrt."

Der Maimonat war im Collegium besonders der Verehrung Mariens ge¬
widmet, und es gab dann allerlei Andachten zu Ehren der Mutter Gottes, die
nach einem von dem Jesuiten Muzzarelli verfaßten Handbüchlein vorgenommen
wurden, aus dem unser Berichterstatter sehr ergötzliche Proben mittheilt. Fer¬
ner bemühten sich die Obern des Kollegiums sehr, eine Fastenandacht einzu¬
führen.

Von den kirchlichen Festen wurde von den Jesuiten natürlich der Tag des
Stifters ihres Ordens, der 31. Juli, besonders feierlich begangen. Dann wurde die
Kirche des Klosters al (?esu mil Gobelins geschmückt, welche Scenen aus dem


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[0507] Statten: in meinem rothen Rock kroch ich unter den Tischen umher, küßte die unreinlichen Schuhe und war des Lorwurfs von Hochmuth überhoben/' Alle Zöglinge hielten die kirchlich vorgeschriebenen Fasten mit peinlichster Genauigkeit, viele auch legten sich allerhand Privattasteiungen auf. bearbeiteten sich mit Geißeln, trugen Cilicien u. d. in. Geißeln gab es verschiedenartige: die einfachsten bestanden aus Stricken mit kleinen Knoten an den Enden, an¬ dere waren mit Bleikugeln, spitzen Zacken oder Rädchen versehen.^ Einen Bu߬ psalm hersagend, lag man in seiner Zelle auf den Knien und.ljeß sich die Streiche auf den entblößten Rücken fallen, wobei einige so ernst verfuhren, daß rothe Striemen sichtbar blieben, häusig auch Blut floß. Die Cilicien sind Ket¬ ten aus hufeisenförmigen, etwa einen Zoll langen Drahtglicdern, deren stumpfe Zacken nach innen gekehrt sind. Man gürtet sie um den bloßen Leib, und die Zacken lassen oft blutige Spuren zurück, selbst dann, wenn die Kette nur schlaff am Leibe hängt. Einige Zöglinge, welche mit diesem Instrument die böse Lust dämpfen zu können glaubten, peinigten sich entsetzlich und legten die Kette auch zur Nachtzeit an, wodurch der Schlaf häusig unterbrochen wurde. Ein Gegenstück zu diesen Eifervollen erzählt unser Jesuitenzögling im Nach¬ stehenden: „Ein Baier, der erst kurze Zeit im Collegium war und auf mich immer den Eindruck eines Duckmäusers machte, trug zur Bekämpfung seines Fleisches das Cilicium. Wiewohl er sich im Ganzen sehr verschlossen zeigte, erhielt ich doch einmal von ihm Mittheilung darüber. Er behauptete, wenig oder gar keinen Schmerz zu empfinden, obschon er die Kette so scharf angezogen habe, daß sie bei mir im gleichen Fall tief ins Fleisch gedrungen sein würde, und er war nicht magerer als ich, Er wollte nur dünne röthliche Streifen davon ge¬ tragen haben, so daß ich glaubte, die Haut dieses jungen Mannes müßte wie die des hörnernen Siegfried beschaffen sein. Einige Wochen daraus beklagte sich der Vorsteher der Wäschkammer, daß die Hemden desselben Zöglings in der Hüftcngegend immer eine Menge kleiner Löcher zeigten. Das Räthsel wurde bald gelöst: der schlaue Baier hatte bei seiner Bußübung die Stacheln des Ciliciums in gutem Glauben nach außen gekehrt." Der Maimonat war im Collegium besonders der Verehrung Mariens ge¬ widmet, und es gab dann allerlei Andachten zu Ehren der Mutter Gottes, die nach einem von dem Jesuiten Muzzarelli verfaßten Handbüchlein vorgenommen wurden, aus dem unser Berichterstatter sehr ergötzliche Proben mittheilt. Fer¬ ner bemühten sich die Obern des Kollegiums sehr, eine Fastenandacht einzu¬ führen. Von den kirchlichen Festen wurde von den Jesuiten natürlich der Tag des Stifters ihres Ordens, der 31. Juli, besonders feierlich begangen. Dann wurde die Kirche des Klosters al (?esu mil Gobelins geschmückt, welche Scenen aus dem 63*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/507>, abgerufen am 08.01.2025.