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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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liebste Stimme annehmend, seinen Schülern das Schreiben mit, natürlich la¬
teinisch: "vodsmus tot erueos, tot vsxÄtionok; g.d i^tin .-ZÄesräotidus."
-- "<Zniä!" schrie er dazwischen. "Vos vt eruev"? Vos qui g-ddorretis s.
erues ins-Zi" tuam äiadolus ixsv? -- Le in natos Gitters, um soripsit i"te
erucikör: et Köuuit nun' uxor g.1toi um ullum. ^.irZc^neur re;Anus! De su
umous truetus omnium ladoium, omnium vex^tionum timtÄSMiz cruel8:
novus ists ullus!"

Die Grundprincipien der Ethik waren schon im philosophischen Kursus vor¬
getragen; jetzt galt es hauptsächlich >der Anwendung derselben auf die verschie¬
denen in der Praxis vorkommenden Fälle, wie sie dem Priester später zur
Entscheidung (in der Beichte) vorgelegt werden konnten. Nach kurzer Auf¬
stellung der Thesen, etwa in der Reihenfolge der zehn Gebote, kamen dann die
Entscheidungen über die Fälle L u. s. w., wobei die Lehre vom Probabilis-
mus eine wichtige Rolle spielte. Nach dieser Lehre ist es dem Priester erlaubt,
seine Entscheidung nach einer von approbirten .Kirchenlehrern vorgetragnen
Sentenz zu treffen, wenn ihm dies nur prodadilis dünkt, obgleich eine andere
Entscheidung aus sittlichen Gründen vrolzMIior sein konnte.

Zwei Beispiele werden diese eigenthümliche Sorte von Moral verdeut¬
lichen.

^ schmuggelt für seinen Bedarf ein unerhebliches Quantum Waare über
die Grenze. Frage: ist er vom Beichtvater anzuhalten, den der Steuerkasse
zugefügten Schaden zu ersetzen? Antwort: LöiitentiÄ probabilioiJa, denn
sein Gewissen verlangt, daß er sich den Landesgesetzen füge, und die Schrift
sagt: Gebet Schoß dem Schoß gebührt. L"ut<mein> probadilis (für welche der
Beichtvater sich also auch entscheiden kann): Nein, denn obschon sündigte,
komm er die Steuerbeamten betrügen oder etwa gar bestechen sollte, so ist doch
ein solches Einschmuggeln selbst nicht als ein zum Ersatz verpflichtender Betrug
der Steuerkasse anzusehen; denn es läßt sich nicht denken, jemand, der ohne er¬
tappt zu werden, eine Kleinigkeit einschmuggelt, sei hinterher gesetzlich verpflichtet,
den der Zollkasse verursachten Schaden zu ersetzen. Ludizuaeiitui: Aber wenn
aus dem schmuggeln ein Geschäft macht? Antwort: Lcmtentig, xiodÄbilis-
Kimir et prods-dilior: Er ist von dem Beichtvater, soweit er sich dadurch be¬
reichert bat, zum Ersatz zu verpflichten, aber nicht etwa noch zu der besondern
Geldstrafe, die das Gesetz meist außer dem Schadenersatz noch fordert. Lententjg,
xrodadilis: er muß von seinem Beichtvater auf das Ordnungswidrige seiner
Handlungsweise aufmerksam gemacht werden, die schon darum sündhaft ist,
weil er eines Gewinnes halber sich und die Seinigen großer Gefahr aussetzt.
Zum Ersatz ist er mit richten anzuhalten, weil derartige Gesetze bloße Straf¬
gesetze sind, die nur in Kraft treten, wenn die zuständige Behörde selbst ein¬
schreitet.


liebste Stimme annehmend, seinen Schülern das Schreiben mit, natürlich la¬
teinisch: „vodsmus tot erueos, tot vsxÄtionok; g.d i^tin .-ZÄesräotidus."
— „<Zniä!" schrie er dazwischen. „Vos vt eruev»? Vos qui g-ddorretis s.
erues ins-Zi« tuam äiadolus ixsv? — Le in natos Gitters, um soripsit i«te
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umous truetus omnium ladoium, omnium vex^tionum timtÄSMiz cruel8:
novus ists ullus!"

Die Grundprincipien der Ethik waren schon im philosophischen Kursus vor¬
getragen; jetzt galt es hauptsächlich >der Anwendung derselben auf die verschie¬
denen in der Praxis vorkommenden Fälle, wie sie dem Priester später zur
Entscheidung (in der Beichte) vorgelegt werden konnten. Nach kurzer Auf¬
stellung der Thesen, etwa in der Reihenfolge der zehn Gebote, kamen dann die
Entscheidungen über die Fälle L u. s. w., wobei die Lehre vom Probabilis-
mus eine wichtige Rolle spielte. Nach dieser Lehre ist es dem Priester erlaubt,
seine Entscheidung nach einer von approbirten .Kirchenlehrern vorgetragnen
Sentenz zu treffen, wenn ihm dies nur prodadilis dünkt, obgleich eine andere
Entscheidung aus sittlichen Gründen vrolzMIior sein konnte.

Zwei Beispiele werden diese eigenthümliche Sorte von Moral verdeut¬
lichen.

^ schmuggelt für seinen Bedarf ein unerhebliches Quantum Waare über
die Grenze. Frage: ist er vom Beichtvater anzuhalten, den der Steuerkasse
zugefügten Schaden zu ersetzen? Antwort: LöiitentiÄ probabilioiJa, denn
sein Gewissen verlangt, daß er sich den Landesgesetzen füge, und die Schrift
sagt: Gebet Schoß dem Schoß gebührt. L«ut<mein> probadilis (für welche der
Beichtvater sich also auch entscheiden kann): Nein, denn obschon sündigte,
komm er die Steuerbeamten betrügen oder etwa gar bestechen sollte, so ist doch
ein solches Einschmuggeln selbst nicht als ein zum Ersatz verpflichtender Betrug
der Steuerkasse anzusehen; denn es läßt sich nicht denken, jemand, der ohne er¬
tappt zu werden, eine Kleinigkeit einschmuggelt, sei hinterher gesetzlich verpflichtet,
den der Zollkasse verursachten Schaden zu ersetzen. Ludizuaeiitui: Aber wenn
aus dem schmuggeln ein Geschäft macht? Antwort: Lcmtentig, xiodÄbilis-
Kimir et prods-dilior: Er ist von dem Beichtvater, soweit er sich dadurch be¬
reichert bat, zum Ersatz zu verpflichten, aber nicht etwa noch zu der besondern
Geldstrafe, die das Gesetz meist außer dem Schadenersatz noch fordert. Lententjg,
xrodadilis: er muß von seinem Beichtvater auf das Ordnungswidrige seiner
Handlungsweise aufmerksam gemacht werden, die schon darum sündhaft ist,
weil er eines Gewinnes halber sich und die Seinigen großer Gefahr aussetzt.
Zum Ersatz ist er mit richten anzuhalten, weil derartige Gesetze bloße Straf¬
gesetze sind, die nur in Kraft treten, wenn die zuständige Behörde selbst ein¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/500>, abgerufen am 08.01.2025.