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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Das andere Beispiel wurde unserm Berichterstatter selbst vorgelegt. Man
setzte ihm den Fall:

gelangt hören M<z, durch einen ihm unbekannten Irrthum in den Be¬
sitz Von hundert Thalern Papiergeld, welche rechtmäßig dem K zukommen, und
verausgabt diese Summe in seinem Geschäfte. IZ entdeckt das- Versehen und
fordert sein Geld zurück. Wozu ist ^ verpflichtet?" Unser Jcsuitcnzögling ant¬
wortete ohne Verzug: "Dem K die hundert Thaler, sobald der Irrthum er¬
wiesen, zurückzuerstatten." "Aber," entgegnete der Professor, "er bat die hun¬
dert Thaler Papiergeld ausgegeben und ist also nicht mehr im Besitz des dem
L gehörenden Gutes. Der Grundsatz: rss ela,eng,t äominum kann also hier
keine Anwendung finden, wie es der Fall sein würde, wenn ^. dieselben Geld¬
scheine noch in seinem Besitz hätte." Unser junger Mann erwiderte: "Bei Geld
ist es nicht das Werthzeichen, sondern der Werth, der in Betracht kommt. Hat
^. nicht mehr dasselbe Papiergeld, so hat er dafür andere Deckung erlangt, und
diese ist bis zum Werthe von hundert Thalern Eigenthum des L, mithin der
Grundsatz: rs" e.ig.und elomimiru allerdings anwendbar und ^ ersatzpflichtig."

"Ninims, nimme!" rief der Professor zu aller Erstaunen. ist darum
nicht zu verpflichten. Wundern Sie sich nicht, meine Herren,", fuhr er dann
weise lächelnd fort, "wir müssen die Entscheidung nach feststehenden Grundsätzen
treffen. ^. ist zur Restitution nicht verpflichtet, weil die hundert Thaler nicht
mehr in seinem Besitz sind. Aber wir haben ja noch einen andern maßgeben¬
den Grundsatz: ächte i'L<l<l<zi'C IZ, in <zus.ut.um ks.et,u8 sse elitior, qua, cum
coMito srrors eos^ki-t bona, tulös; s,t<mi ks.et.uiz "se ckitior procul cludio 100
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valor-e L/'

Solche Spitzfindigkeiten machten vielen von den Zöglingen großes Ver¬
gnügen. Wie viel sie mit einer gesunden Moral zu thun haben, welchen Werth
sie einem rechtschaffnen Gewissen gegenüber beanspruchen, brauchen wir nicht
auseinanderzusetzen.

Von Exegese, Hermeneutik, biblischer Linguistik u. tgi. war unter diesen
mpdernen ^Scholastikern nicht viel mehr die Rede als unter den mittelalterlichen,
und Kirchengeschichte bekamen die Theologen des Eollegium Romanum nur ein¬
mal wöchentlich zu hören. Allerdings hatten alle ein lateinisches Neues Testa¬
ment, auch befand sich in der Bibliothek eine lateinische, eine griechische und
eine hebräische, ja selbst eine deutsche Bibel (Uebersetzung Alliolis); allein ein¬
mal war die Zeit mit andern Studien zu sehr ausgefüllt, und dann mußten
junge Leute, die von Kind auf der Bibel ferne gestanden, zu gering von der
Nothwendigkeit der Bibelkenntniß denken, als daß sie ohne starken Antrieb von
außen sich viel mit ihr beschäftigt hätten. Die Exegese einzelner Abschnitte
der heiligen Schrift und die hebräische Sprache wurden erst im dritten Jahr


Das andere Beispiel wurde unserm Berichterstatter selbst vorgelegt. Man
setzte ihm den Fall:

gelangt hören M<z, durch einen ihm unbekannten Irrthum in den Be¬
sitz Von hundert Thalern Papiergeld, welche rechtmäßig dem K zukommen, und
verausgabt diese Summe in seinem Geschäfte. IZ entdeckt das- Versehen und
fordert sein Geld zurück. Wozu ist ^ verpflichtet?" Unser Jcsuitcnzögling ant¬
wortete ohne Verzug: „Dem K die hundert Thaler, sobald der Irrthum er¬
wiesen, zurückzuerstatten." „Aber," entgegnete der Professor, „er bat die hun¬
dert Thaler Papiergeld ausgegeben und ist also nicht mehr im Besitz des dem
L gehörenden Gutes. Der Grundsatz: rss ela,eng,t äominum kann also hier
keine Anwendung finden, wie es der Fall sein würde, wenn ^. dieselben Geld¬
scheine noch in seinem Besitz hätte." Unser junger Mann erwiderte: „Bei Geld
ist es nicht das Werthzeichen, sondern der Werth, der in Betracht kommt. Hat
^. nicht mehr dasselbe Papiergeld, so hat er dafür andere Deckung erlangt, und
diese ist bis zum Werthe von hundert Thalern Eigenthum des L, mithin der
Grundsatz: rs» e.ig.und elomimiru allerdings anwendbar und ^ ersatzpflichtig."

„Ninims, nimme!" rief der Professor zu aller Erstaunen. ist darum
nicht zu verpflichten. Wundern Sie sich nicht, meine Herren,", fuhr er dann
weise lächelnd fort, „wir müssen die Entscheidung nach feststehenden Grundsätzen
treffen. ^. ist zur Restitution nicht verpflichtet, weil die hundert Thaler nicht
mehr in seinem Besitz sind. Aber wir haben ja noch einen andern maßgeben¬
den Grundsatz: ächte i'L<l<l<zi'C IZ, in <zus.ut.um ks.et,u8 sse elitior, qua, cum
coMito srrors eos^ki-t bona, tulös; s,t<mi ks.et.uiz «se ckitior procul cludio 100
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Solche Spitzfindigkeiten machten vielen von den Zöglingen großes Ver¬
gnügen. Wie viel sie mit einer gesunden Moral zu thun haben, welchen Werth
sie einem rechtschaffnen Gewissen gegenüber beanspruchen, brauchen wir nicht
auseinanderzusetzen.

Von Exegese, Hermeneutik, biblischer Linguistik u. tgi. war unter diesen
mpdernen ^Scholastikern nicht viel mehr die Rede als unter den mittelalterlichen,
und Kirchengeschichte bekamen die Theologen des Eollegium Romanum nur ein¬
mal wöchentlich zu hören. Allerdings hatten alle ein lateinisches Neues Testa¬
ment, auch befand sich in der Bibliothek eine lateinische, eine griechische und
eine hebräische, ja selbst eine deutsche Bibel (Uebersetzung Alliolis); allein ein¬
mal war die Zeit mit andern Studien zu sehr ausgefüllt, und dann mußten
junge Leute, die von Kind auf der Bibel ferne gestanden, zu gering von der
Nothwendigkeit der Bibelkenntniß denken, als daß sie ohne starken Antrieb von
außen sich viel mit ihr beschäftigt hätten. Die Exegese einzelner Abschnitte
der heiligen Schrift und die hebräische Sprache wurden erst im dritten Jahr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/501>, abgerufen am 08.01.2025.