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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Der vollständige Cursus in der Theologie umfaßte einen Zeitraum von
vier Jahren. Im ersten Jahre hörte man Dogmatik und Moral, von denen
erstere für alle Theologen ZmaugScollegium war und täglich zwei Stunden vor¬
getragen wurde. Früh las sie der in der römischen Welt vielgenannte Pater
Perrone, Verfasser einer mehrbändigen Dogmatik, Nachmittags trug sie Pater
Passaglia vor, der zu den Vertrauten des heiligen Vaters gekörte, jeht aber
bekanntlich aus dem Lager der Jesuiten und der Päpstlichgesinnten überhaupt
in das der italienischen Patrioten übergegangen und einer der heftigsten Gegner
der weltlichen Macht des Papstes geworden ist. Der erste Theil der Dogma-
tik, welche den Kern der gesammten jesuitischen Theologie umfaßte, enthielt
nach einer einleitenden Abhandlung über die wahre Religion die Tractate:
über Gott und seine Eigenschaften, über die allerheiligste Dreieinigkeit, über
Gott den Schöpfer, über die Fleischwerdung, die Verehrung der Heiligen und
die Gnade. Der zweite behandelte in verschiedenen Capiteln die Sacramente.
Dann folgte ein tractatus cle locis tlieologieis, der sich mit der Kirche Christi,
dem römischen Papst, der heiligen Schrift und der Tradition beschäftigte. Den
Schluß bildete eine Abhandlung as an^IoZiÄ lÄtionis se napi.

Der Vortrag bewegte sich durchweg in synthetischen und syllogistischen
Formen. Nach einigen einleitenden Worten folgte das Thema in verschiedenen
Propositionen, welche aus der Schrift, der Tradition, den Werken der Kirchen¬
väter, den Beschlüssen der Kirchenversammlungen u. a. bewiesen wurden.
Nach der Begründung brachte der Professor die Einwände und cui'tieultatss vor,
die in der Form von Syllogismen aufgestellt und in gleicher Weise widerlegt
wurden.

Pater Perrone war ein grimmer Gegner der protestantischen, besonders
der deutschen. Theologie, als welcher er mit gleicher Heftigkeit die rationalistische
wie die orthodoxe Richtung in der evangelischen Kirche zu geißeln Pflegte.
Nicht selten verfiel er dabei ins Komische. Kam er auf De Wette," die Tübin¬
ger Schule oder gar auf Strauß und dessen Anhänger zu sprechen, so rieb er
die eine Hand auf der andern, wie wenn er harte Stoffe in einem Mörser zer¬
kleinern wollte, und schlug dann beim Schluß der Argumentation so heftig auf
die geballte Linke, daß es laut durch den Saal schallte. "Le, gu sie vobis!
Huvs <ZM!" Die Orthodoxen, die er Pietisten nannte, verspottete er noch mehr
als die Rationalisten- "mit ihnen sei gar nichts anzufangen; kaum habe man
ihnen den unumstößlichsten Beweis von der Wahrheit der römisch-katholischen
Kirche beigebracht, flugs krochen sie in verstellter Demuth in sich selbst zusam¬
men und faselten vom heiligen Geiste."

Einst war ihm ein englisches BlKtt zu Gesicht gekommen, in welchem sich ein
Missionär über die Verfolgungen beklagte, die er von Seiten seiner römischen
College" zu erdulden gehabt. Perrone theilte, je nach Erforderniß die kläg-


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Der vollständige Cursus in der Theologie umfaßte einen Zeitraum von
vier Jahren. Im ersten Jahre hörte man Dogmatik und Moral, von denen
erstere für alle Theologen ZmaugScollegium war und täglich zwei Stunden vor¬
getragen wurde. Früh las sie der in der römischen Welt vielgenannte Pater
Perrone, Verfasser einer mehrbändigen Dogmatik, Nachmittags trug sie Pater
Passaglia vor, der zu den Vertrauten des heiligen Vaters gekörte, jeht aber
bekanntlich aus dem Lager der Jesuiten und der Päpstlichgesinnten überhaupt
in das der italienischen Patrioten übergegangen und einer der heftigsten Gegner
der weltlichen Macht des Papstes geworden ist. Der erste Theil der Dogma-
tik, welche den Kern der gesammten jesuitischen Theologie umfaßte, enthielt
nach einer einleitenden Abhandlung über die wahre Religion die Tractate:
über Gott und seine Eigenschaften, über die allerheiligste Dreieinigkeit, über
Gott den Schöpfer, über die Fleischwerdung, die Verehrung der Heiligen und
die Gnade. Der zweite behandelte in verschiedenen Capiteln die Sacramente.
Dann folgte ein tractatus cle locis tlieologieis, der sich mit der Kirche Christi,
dem römischen Papst, der heiligen Schrift und der Tradition beschäftigte. Den
Schluß bildete eine Abhandlung as an^IoZiÄ lÄtionis se napi.

Der Vortrag bewegte sich durchweg in synthetischen und syllogistischen
Formen. Nach einigen einleitenden Worten folgte das Thema in verschiedenen
Propositionen, welche aus der Schrift, der Tradition, den Werken der Kirchen¬
väter, den Beschlüssen der Kirchenversammlungen u. a. bewiesen wurden.
Nach der Begründung brachte der Professor die Einwände und cui'tieultatss vor,
die in der Form von Syllogismen aufgestellt und in gleicher Weise widerlegt
wurden.

Pater Perrone war ein grimmer Gegner der protestantischen, besonders
der deutschen. Theologie, als welcher er mit gleicher Heftigkeit die rationalistische
wie die orthodoxe Richtung in der evangelischen Kirche zu geißeln Pflegte.
Nicht selten verfiel er dabei ins Komische. Kam er auf De Wette," die Tübin¬
ger Schule oder gar auf Strauß und dessen Anhänger zu sprechen, so rieb er
die eine Hand auf der andern, wie wenn er harte Stoffe in einem Mörser zer¬
kleinern wollte, und schlug dann beim Schluß der Argumentation so heftig auf
die geballte Linke, daß es laut durch den Saal schallte. „Le, gu sie vobis!
Huvs <ZM!« Die Orthodoxen, die er Pietisten nannte, verspottete er noch mehr
als die Rationalisten- „mit ihnen sei gar nichts anzufangen; kaum habe man
ihnen den unumstößlichsten Beweis von der Wahrheit der römisch-katholischen
Kirche beigebracht, flugs krochen sie in verstellter Demuth in sich selbst zusam¬
men und faselten vom heiligen Geiste."

Einst war ihm ein englisches BlKtt zu Gesicht gekommen, in welchem sich ein
Missionär über die Verfolgungen beklagte, die er von Seiten seiner römischen
College» zu erdulden gehabt. Perrone theilte, je nach Erforderniß die kläg-


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[0499] Der vollständige Cursus in der Theologie umfaßte einen Zeitraum von vier Jahren. Im ersten Jahre hörte man Dogmatik und Moral, von denen erstere für alle Theologen ZmaugScollegium war und täglich zwei Stunden vor¬ getragen wurde. Früh las sie der in der römischen Welt vielgenannte Pater Perrone, Verfasser einer mehrbändigen Dogmatik, Nachmittags trug sie Pater Passaglia vor, der zu den Vertrauten des heiligen Vaters gekörte, jeht aber bekanntlich aus dem Lager der Jesuiten und der Päpstlichgesinnten überhaupt in das der italienischen Patrioten übergegangen und einer der heftigsten Gegner der weltlichen Macht des Papstes geworden ist. Der erste Theil der Dogma- tik, welche den Kern der gesammten jesuitischen Theologie umfaßte, enthielt nach einer einleitenden Abhandlung über die wahre Religion die Tractate: über Gott und seine Eigenschaften, über die allerheiligste Dreieinigkeit, über Gott den Schöpfer, über die Fleischwerdung, die Verehrung der Heiligen und die Gnade. Der zweite behandelte in verschiedenen Capiteln die Sacramente. Dann folgte ein tractatus cle locis tlieologieis, der sich mit der Kirche Christi, dem römischen Papst, der heiligen Schrift und der Tradition beschäftigte. Den Schluß bildete eine Abhandlung as an^IoZiÄ lÄtionis se napi. Der Vortrag bewegte sich durchweg in synthetischen und syllogistischen Formen. Nach einigen einleitenden Worten folgte das Thema in verschiedenen Propositionen, welche aus der Schrift, der Tradition, den Werken der Kirchen¬ väter, den Beschlüssen der Kirchenversammlungen u. a. bewiesen wurden. Nach der Begründung brachte der Professor die Einwände und cui'tieultatss vor, die in der Form von Syllogismen aufgestellt und in gleicher Weise widerlegt wurden. Pater Perrone war ein grimmer Gegner der protestantischen, besonders der deutschen. Theologie, als welcher er mit gleicher Heftigkeit die rationalistische wie die orthodoxe Richtung in der evangelischen Kirche zu geißeln Pflegte. Nicht selten verfiel er dabei ins Komische. Kam er auf De Wette," die Tübin¬ ger Schule oder gar auf Strauß und dessen Anhänger zu sprechen, so rieb er die eine Hand auf der andern, wie wenn er harte Stoffe in einem Mörser zer¬ kleinern wollte, und schlug dann beim Schluß der Argumentation so heftig auf die geballte Linke, daß es laut durch den Saal schallte. „Le, gu sie vobis! Huvs <ZM!« Die Orthodoxen, die er Pietisten nannte, verspottete er noch mehr als die Rationalisten- „mit ihnen sei gar nichts anzufangen; kaum habe man ihnen den unumstößlichsten Beweis von der Wahrheit der römisch-katholischen Kirche beigebracht, flugs krochen sie in verstellter Demuth in sich selbst zusam¬ men und faselten vom heiligen Geiste." Einst war ihm ein englisches BlKtt zu Gesicht gekommen, in welchem sich ein Missionär über die Verfolgungen beklagte, die er von Seiten seiner römischen College» zu erdulden gehabt. Perrone theilte, je nach Erforderniß die kläg- 62*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/499>, abgerufen am 08.01.2025.