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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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d, h. den studirenden Jesuiten, und den Zöglingen verschiedener Collegien, z. B.
des Collegiums der Adeligen, des englischen, schottischen und irischen Collegiums
besucht.

Mit halb niedergeschlagenen Augen zogen die Germaniker schweigend in
die Säle und nahmen die Ehrenplätze ein. Links und rechts an den Wänden
liefen Subsellien hin, deren Bänke in gleicher Höhe mit dem Katheder standen.
Die Adeligen und die Germaniker setzten sich zur Rechten, die Jcsuitenschvlastikev
zur Linken des Professors auf diese Bänke, die Uebrigen suchten sich Hunt durch¬
einander im Parterre Platz.

Die Philosophie wurde als piaeaindulum KM, als Bvrbercitungs-
wissenschaft für die Theologie betrachtet und behandelt, und das Studium der¬
selben sollte zwei Jahre füllen. Im ersten Jahre las früh und Nachmittags
ein und derselbe Professor nach einem in den Händen der Zuhörer befindlichen
gedruckten, von dem Jesuiten Dmowsty verfaßten Leitfaden in lateinischer
Sprache über formale Logik und Metaphysik. Die ersten Wochen gingen mit
der Lehre von den Begriffen, Urtheilen und Schlüssen hin, und man lernte die
bekannten Hexameter über die verschiedenen Schlußformen auswendig. Das
Latein, welches gesprochen wurde, war in der Regel Küchenlatein, eingezwängt
in die syllogistische Form und überladen mit Kunstausdrücken, die Art des Vor-
trags die dogmatische oder synthetische. Es wurden Thesen aufgestellt und,
so gut es ging, durch Syllogismen erwiese", dann wurden die etwaigen Ein¬
würfe vorgebracht und zu widerlegen versucht. Daß es der Professor nicht
an Jnvcctivcn > "eontrsr (?<zrmg,nig,ö Mwsopdos, mxrimis liantium", sowie
gegen Lamennais, Malebranche, Hume, Rousseau u. a. fehlen ließ, wird nicht
Wunder nehmen.

Zum ersten Theil der Philosophie gehörten auch noch Psychologie und Kos¬
mologie, doch nahmen die formale Logik und Metaphysik den Professor dermaßen
in Anspruch, daß er für jene Disciplinen leine Zeit übrig behielt und es den
Schülern überlassen mußte, sich im Leitfaden darüber zu belehren. Dagegen
trug im ersten Jahre ein anderer Professor die Elementarmathematik nach einem
vom Pater Caraffa herausgegebenen Compendium vor.

Im zweiten Jahre des philosophischen Kursus hörte man Ethik und außer- °
dem Chemie und Physik. Im chemischen Laboratorium, wo die Unterrichts¬
sprache italienisch war, wurden viele Experimente und praktische Uebungen an¬
gestellt. Eine Anzahl von Auserwählten mußte noch einen dritten Cursus der
Philosophie durchmachen, in welchem alles bisher Erwähnte repetirt und zu¬
gleich etwas Astronomie getrieben wurde. Die Mitglieder dieses Cursus, un¬
ter die man nur solche aufnahm, die bei den Prüfungen der vorhergehenden
beiden Jahre mindestens die zweite Censur erhalten hatten, waren für die
Doctorwürde bestimmt.


d, h. den studirenden Jesuiten, und den Zöglingen verschiedener Collegien, z. B.
des Collegiums der Adeligen, des englischen, schottischen und irischen Collegiums
besucht.

Mit halb niedergeschlagenen Augen zogen die Germaniker schweigend in
die Säle und nahmen die Ehrenplätze ein. Links und rechts an den Wänden
liefen Subsellien hin, deren Bänke in gleicher Höhe mit dem Katheder standen.
Die Adeligen und die Germaniker setzten sich zur Rechten, die Jcsuitenschvlastikev
zur Linken des Professors auf diese Bänke, die Uebrigen suchten sich Hunt durch¬
einander im Parterre Platz.

Die Philosophie wurde als piaeaindulum KM, als Bvrbercitungs-
wissenschaft für die Theologie betrachtet und behandelt, und das Studium der¬
selben sollte zwei Jahre füllen. Im ersten Jahre las früh und Nachmittags
ein und derselbe Professor nach einem in den Händen der Zuhörer befindlichen
gedruckten, von dem Jesuiten Dmowsty verfaßten Leitfaden in lateinischer
Sprache über formale Logik und Metaphysik. Die ersten Wochen gingen mit
der Lehre von den Begriffen, Urtheilen und Schlüssen hin, und man lernte die
bekannten Hexameter über die verschiedenen Schlußformen auswendig. Das
Latein, welches gesprochen wurde, war in der Regel Küchenlatein, eingezwängt
in die syllogistische Form und überladen mit Kunstausdrücken, die Art des Vor-
trags die dogmatische oder synthetische. Es wurden Thesen aufgestellt und,
so gut es ging, durch Syllogismen erwiese», dann wurden die etwaigen Ein¬
würfe vorgebracht und zu widerlegen versucht. Daß es der Professor nicht
an Jnvcctivcn > „eontrsr (?<zrmg,nig,ö Mwsopdos, mxrimis liantium", sowie
gegen Lamennais, Malebranche, Hume, Rousseau u. a. fehlen ließ, wird nicht
Wunder nehmen.

Zum ersten Theil der Philosophie gehörten auch noch Psychologie und Kos¬
mologie, doch nahmen die formale Logik und Metaphysik den Professor dermaßen
in Anspruch, daß er für jene Disciplinen leine Zeit übrig behielt und es den
Schülern überlassen mußte, sich im Leitfaden darüber zu belehren. Dagegen
trug im ersten Jahre ein anderer Professor die Elementarmathematik nach einem
vom Pater Caraffa herausgegebenen Compendium vor.

Im zweiten Jahre des philosophischen Kursus hörte man Ethik und außer- °
dem Chemie und Physik. Im chemischen Laboratorium, wo die Unterrichts¬
sprache italienisch war, wurden viele Experimente und praktische Uebungen an¬
gestellt. Eine Anzahl von Auserwählten mußte noch einen dritten Cursus der
Philosophie durchmachen, in welchem alles bisher Erwähnte repetirt und zu¬
gleich etwas Astronomie getrieben wurde. Die Mitglieder dieses Cursus, un¬
ter die man nur solche aufnahm, die bei den Prüfungen der vorhergehenden
beiden Jahre mindestens die zweite Censur erhalten hatten, waren für die
Doctorwürde bestimmt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/498>, abgerufen am 06.01.2025.