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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Oeffnen wir einen benachbarten Schrank, so erblicken wir hinter einem eisernen
Gitter die angeblich treffend ähnliche Wachsfigur des heiligen Ignaz, bekleidet
mit Gewändern, die er selbst getragen. Der rechte Fuß steht ein wenig aus dem
Gitter hervor und wird von den frommen Besuchern des Ortes inbrünstig geküßt.

Das dritte Stockwerk des Klosters ist den Germanikern eingeräumt. Die
Corridore sind hier enger, die Zimmer kleiner, auf steinernen Stufen steigt
man innerhalb dieser Stübchen zu den Fenstern empor. Eine Galerie dient
als Recrcationssaal für die Philosophen, die Theologen bewohnen den bessern
Theil und finden zur Erholung Raum genug in ihrem größern Corridor. Hier,
gegenüber der gemeinschaftlichen Capelle zum heiligen Sakrament befindet sich
auch die Wohnung des Ministers des Kollegiums und die Bibliothek, eine
Werthlose Sammlung alter theologischer und philosophischer Werke. Ein ver-
schlossner Schrank. I'Irckrnv (Hölle) genannt, birgt einige ketzerische Bücher,
unter denen sich auch einige unserer deutschen Philosophen und Theologen fin¬
den. Die Jnnenwände des dritten Stocks sind ebenfalls mit allerlei Bildern
von Heiligen, aber zugleich mit Porträts einzelner deutscher Kaiser, Fürsten
und Bischöfe geziert. Wen die Neugier bis auf den Bodenraum locken sollte,
der trifft hier zwischen altem Gerümpel das Bild Josephs des Zweiten in Le>
bensgröße. Die frommen Väter, die es anfertigen ließen, erkannten bald, daß
dieser Monarch nicht in ihr Haus gehörte, so verbannten sie ihn hier herauf
zwischen Kisten und Kasten.

Die Tagesordnung war für die beiden Abtheilungen der Zöglinge des
Germanicums: die Kammer der Philosophen oder des heiligen Stanislaus und die
Kammer der Theologen oder des heiligen Petrus und Paulus, dieselbe. Man
stand früh fünf Uhr auf, kleidete sich an, ging in die Kapelle zur Anbetung
des Sakraments, ordnete dann sein Zimmer und begann hierauf die Betrach¬
tung. Dann gab es in der Marienkapelle eine Messe, worauf das aus Kaffee
und Weißbrot bestehende Frühstück eingenommen wurde. Dann wurde im
Gange von den Philosophen vor einem Muttergotteobild knieend der Schutz
Maria's und des heiligen Stanislaus ersieht, während die Theologen in der
Sakramentskapelle ähnliche Gebete an die Apostel Petrus und Paulus richteten.
Nachdem man hierauf sein Bett gemacht und sich die Schuhe gewichst, zog
die ganze Schaar der Zöglinge paarweise und unterwegs den Rosenkranz
betend über die Straße, nach dem etwa zehn Minuten Wegs entfernten
Collegium Romanum, wo bis zehn Uhr Vorlesungen in lateinischer Sprache gehört
wurden. Die Zuhörer waren in verschiedene Gruppen oder circuli getheilt; jedem
eiieuws stand einer der tüchtigeren Schüler vor, unter dessen Leitung wiederholt
werden mußte, was der Professor vorgetragen hatte. Bei der Rückkehr aus dem
Collegium war wieder Anbetung des Sakraments, dann studirte jeder für sich.

Eine Viertelstunde vor zwölf Uhr wurde das Zeichen zur besondern Ge-


Oeffnen wir einen benachbarten Schrank, so erblicken wir hinter einem eisernen
Gitter die angeblich treffend ähnliche Wachsfigur des heiligen Ignaz, bekleidet
mit Gewändern, die er selbst getragen. Der rechte Fuß steht ein wenig aus dem
Gitter hervor und wird von den frommen Besuchern des Ortes inbrünstig geküßt.

Das dritte Stockwerk des Klosters ist den Germanikern eingeräumt. Die
Corridore sind hier enger, die Zimmer kleiner, auf steinernen Stufen steigt
man innerhalb dieser Stübchen zu den Fenstern empor. Eine Galerie dient
als Recrcationssaal für die Philosophen, die Theologen bewohnen den bessern
Theil und finden zur Erholung Raum genug in ihrem größern Corridor. Hier,
gegenüber der gemeinschaftlichen Capelle zum heiligen Sakrament befindet sich
auch die Wohnung des Ministers des Kollegiums und die Bibliothek, eine
Werthlose Sammlung alter theologischer und philosophischer Werke. Ein ver-
schlossner Schrank. I'Irckrnv (Hölle) genannt, birgt einige ketzerische Bücher,
unter denen sich auch einige unserer deutschen Philosophen und Theologen fin¬
den. Die Jnnenwände des dritten Stocks sind ebenfalls mit allerlei Bildern
von Heiligen, aber zugleich mit Porträts einzelner deutscher Kaiser, Fürsten
und Bischöfe geziert. Wen die Neugier bis auf den Bodenraum locken sollte,
der trifft hier zwischen altem Gerümpel das Bild Josephs des Zweiten in Le>
bensgröße. Die frommen Väter, die es anfertigen ließen, erkannten bald, daß
dieser Monarch nicht in ihr Haus gehörte, so verbannten sie ihn hier herauf
zwischen Kisten und Kasten.

Die Tagesordnung war für die beiden Abtheilungen der Zöglinge des
Germanicums: die Kammer der Philosophen oder des heiligen Stanislaus und die
Kammer der Theologen oder des heiligen Petrus und Paulus, dieselbe. Man
stand früh fünf Uhr auf, kleidete sich an, ging in die Kapelle zur Anbetung
des Sakraments, ordnete dann sein Zimmer und begann hierauf die Betrach¬
tung. Dann gab es in der Marienkapelle eine Messe, worauf das aus Kaffee
und Weißbrot bestehende Frühstück eingenommen wurde. Dann wurde im
Gange von den Philosophen vor einem Muttergotteobild knieend der Schutz
Maria's und des heiligen Stanislaus ersieht, während die Theologen in der
Sakramentskapelle ähnliche Gebete an die Apostel Petrus und Paulus richteten.
Nachdem man hierauf sein Bett gemacht und sich die Schuhe gewichst, zog
die ganze Schaar der Zöglinge paarweise und unterwegs den Rosenkranz
betend über die Straße, nach dem etwa zehn Minuten Wegs entfernten
Collegium Romanum, wo bis zehn Uhr Vorlesungen in lateinischer Sprache gehört
wurden. Die Zuhörer waren in verschiedene Gruppen oder circuli getheilt; jedem
eiieuws stand einer der tüchtigeren Schüler vor, unter dessen Leitung wiederholt
werden mußte, was der Professor vorgetragen hatte. Bei der Rückkehr aus dem
Collegium war wieder Anbetung des Sakraments, dann studirte jeder für sich.

Eine Viertelstunde vor zwölf Uhr wurde das Zeichen zur besondern Ge-


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[0479] Oeffnen wir einen benachbarten Schrank, so erblicken wir hinter einem eisernen Gitter die angeblich treffend ähnliche Wachsfigur des heiligen Ignaz, bekleidet mit Gewändern, die er selbst getragen. Der rechte Fuß steht ein wenig aus dem Gitter hervor und wird von den frommen Besuchern des Ortes inbrünstig geküßt. Das dritte Stockwerk des Klosters ist den Germanikern eingeräumt. Die Corridore sind hier enger, die Zimmer kleiner, auf steinernen Stufen steigt man innerhalb dieser Stübchen zu den Fenstern empor. Eine Galerie dient als Recrcationssaal für die Philosophen, die Theologen bewohnen den bessern Theil und finden zur Erholung Raum genug in ihrem größern Corridor. Hier, gegenüber der gemeinschaftlichen Capelle zum heiligen Sakrament befindet sich auch die Wohnung des Ministers des Kollegiums und die Bibliothek, eine Werthlose Sammlung alter theologischer und philosophischer Werke. Ein ver- schlossner Schrank. I'Irckrnv (Hölle) genannt, birgt einige ketzerische Bücher, unter denen sich auch einige unserer deutschen Philosophen und Theologen fin¬ den. Die Jnnenwände des dritten Stocks sind ebenfalls mit allerlei Bildern von Heiligen, aber zugleich mit Porträts einzelner deutscher Kaiser, Fürsten und Bischöfe geziert. Wen die Neugier bis auf den Bodenraum locken sollte, der trifft hier zwischen altem Gerümpel das Bild Josephs des Zweiten in Le> bensgröße. Die frommen Väter, die es anfertigen ließen, erkannten bald, daß dieser Monarch nicht in ihr Haus gehörte, so verbannten sie ihn hier herauf zwischen Kisten und Kasten. Die Tagesordnung war für die beiden Abtheilungen der Zöglinge des Germanicums: die Kammer der Philosophen oder des heiligen Stanislaus und die Kammer der Theologen oder des heiligen Petrus und Paulus, dieselbe. Man stand früh fünf Uhr auf, kleidete sich an, ging in die Kapelle zur Anbetung des Sakraments, ordnete dann sein Zimmer und begann hierauf die Betrach¬ tung. Dann gab es in der Marienkapelle eine Messe, worauf das aus Kaffee und Weißbrot bestehende Frühstück eingenommen wurde. Dann wurde im Gange von den Philosophen vor einem Muttergotteobild knieend der Schutz Maria's und des heiligen Stanislaus ersieht, während die Theologen in der Sakramentskapelle ähnliche Gebete an die Apostel Petrus und Paulus richteten. Nachdem man hierauf sein Bett gemacht und sich die Schuhe gewichst, zog die ganze Schaar der Zöglinge paarweise und unterwegs den Rosenkranz betend über die Straße, nach dem etwa zehn Minuten Wegs entfernten Collegium Romanum, wo bis zehn Uhr Vorlesungen in lateinischer Sprache gehört wurden. Die Zuhörer waren in verschiedene Gruppen oder circuli getheilt; jedem eiieuws stand einer der tüchtigeren Schüler vor, unter dessen Leitung wiederholt werden mußte, was der Professor vorgetragen hatte. Bei der Rückkehr aus dem Collegium war wieder Anbetung des Sakraments, dann studirte jeder für sich. Eine Viertelstunde vor zwölf Uhr wurde das Zeichen zur besondern Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/479>, abgerufen am 08.01.2025.