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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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wisscnserforschung gegeben, um zwölf läuteten die Glocken zum Angelus Domini
-und zugleich zum Mittagsessen, welches jede Kammer in einem besondern Refec-
torium einnahm. Bei Tische wurden die Speisen von zwei Gcrmanikern herum¬
gereicht, und ein Lector las aus lateinischen und italienischen Autoren, biswei¬
len auch aus Stvilbergs Religionsgeschichte, Voigts Gregor der Siebente
und Hurters Geburt und Wiedergeburt vor. DaS Essen war stets gut und
reichlich, und alle Mittage und Abende wurde für jeden eine große Flasche
wohlschmeckenden Weines aufgesetzt, von dem die meisten nur ein Viertel zu
trinken vermochten. Bei besondern Gelegenheiten, wie hohen kirchlichen Fest¬
tagen, gab es mehre Fleischgerichte, auch wurde dann nach Tische Kaffee und
Eis herumgegeben, und nach Vorlesung des Martyrvlogiums war "Deo gra-
tias", d. h. es war freie Unterhaltung gestattet.

Nach Tische begaben sich die Zöglinge zu einer dritten Anbetung des Sa¬
kraments auf fünf Minuten in die Kapelle, worauf sich die Philosophen in
ihre Gallerie. die Theologen, in ihren Korridor zur Recreation verfügten. Jeder
hatte sich hierzu den ihm aus der Kapelle zunächst Folgenden zum' "Socius"
zu nehmen, mit dem er sich im Auf- und Abwandeln unterhalten konnte. Sich
den Socius fre> zu wählen war nicht gestattet, wie denn überhaupt Partitular-
freundschasten verpönt waren. Die vorschriftsmäßige Anrede der Zöglinge
unter einander lautete Domine, LiMore oder Herr, sich Du zu nennen war
verboten, die Unterhaltung mußte Mittags in lateinischer, Abends in italienischer
Sprache geführt werden.

Nach der Recreation schlief man ein Weilchen. Dann war mit Ausnahme
der beiden letzten Monate des Svmmersemesters im Collegium Romanum wie¬
der eine Stunde Vorlesung nebst darauf folgendem Repctitionscirlel, und hieran
schloß sich ein Spaziergang, der sich im Winter bis fünf, im Sommer M
gegen acht Uhr ausdehnte. Nach dem Abendessen war Recreation. dieser folgte
ein gemeinschaftliches Gebet und.die Vorbereitung zur Betrachtung des nächsten
Morgens, weiche die Novizen gemeinsam unter Leitung des Pater Spiritualis,
die übrigen für sich auf ihrer Stube mit Hülfe eines Bctrachtungsbuchs hielten.
Danach wurde allgemeine Gewissenserforschung angestellt, und nachdem noch
eine kurze aäora.t.lo hö-nati SÄCiÄmouti stattgefunden, fand man endlich auf dem
Plane der Tagesordnung das erquickende Wort cubitus.

Außer der Recreationszeit durften die Zöglinge nicht mit einander sprechen,
ja sich nicht einmal laut begrüßen. Keinem war erlaubt, den andern ohne
dringende Veranlassung auf seiner Zelle zu besuchen. War dies unvermeidlich,
so mußte der Zweck des Besuchs bei offner Thür und so rasch als möglich er¬
ledigt werden. Setzen durfte man sich dabei nicht, auch der Bewohner des
Zimmers hatre sich sofort nach Eintritt des Besuchers zu erheben und stehen
zu bleiben, bis jener sich wieder entfernt.


wisscnserforschung gegeben, um zwölf läuteten die Glocken zum Angelus Domini
-und zugleich zum Mittagsessen, welches jede Kammer in einem besondern Refec-
torium einnahm. Bei Tische wurden die Speisen von zwei Gcrmanikern herum¬
gereicht, und ein Lector las aus lateinischen und italienischen Autoren, biswei¬
len auch aus Stvilbergs Religionsgeschichte, Voigts Gregor der Siebente
und Hurters Geburt und Wiedergeburt vor. DaS Essen war stets gut und
reichlich, und alle Mittage und Abende wurde für jeden eine große Flasche
wohlschmeckenden Weines aufgesetzt, von dem die meisten nur ein Viertel zu
trinken vermochten. Bei besondern Gelegenheiten, wie hohen kirchlichen Fest¬
tagen, gab es mehre Fleischgerichte, auch wurde dann nach Tische Kaffee und
Eis herumgegeben, und nach Vorlesung des Martyrvlogiums war „Deo gra-
tias", d. h. es war freie Unterhaltung gestattet.

Nach Tische begaben sich die Zöglinge zu einer dritten Anbetung des Sa¬
kraments auf fünf Minuten in die Kapelle, worauf sich die Philosophen in
ihre Gallerie. die Theologen, in ihren Korridor zur Recreation verfügten. Jeder
hatte sich hierzu den ihm aus der Kapelle zunächst Folgenden zum' „Socius"
zu nehmen, mit dem er sich im Auf- und Abwandeln unterhalten konnte. Sich
den Socius fre> zu wählen war nicht gestattet, wie denn überhaupt Partitular-
freundschasten verpönt waren. Die vorschriftsmäßige Anrede der Zöglinge
unter einander lautete Domine, LiMore oder Herr, sich Du zu nennen war
verboten, die Unterhaltung mußte Mittags in lateinischer, Abends in italienischer
Sprache geführt werden.

Nach der Recreation schlief man ein Weilchen. Dann war mit Ausnahme
der beiden letzten Monate des Svmmersemesters im Collegium Romanum wie¬
der eine Stunde Vorlesung nebst darauf folgendem Repctitionscirlel, und hieran
schloß sich ein Spaziergang, der sich im Winter bis fünf, im Sommer M
gegen acht Uhr ausdehnte. Nach dem Abendessen war Recreation. dieser folgte
ein gemeinschaftliches Gebet und.die Vorbereitung zur Betrachtung des nächsten
Morgens, weiche die Novizen gemeinsam unter Leitung des Pater Spiritualis,
die übrigen für sich auf ihrer Stube mit Hülfe eines Bctrachtungsbuchs hielten.
Danach wurde allgemeine Gewissenserforschung angestellt, und nachdem noch
eine kurze aäora.t.lo hö-nati SÄCiÄmouti stattgefunden, fand man endlich auf dem
Plane der Tagesordnung das erquickende Wort cubitus.

Außer der Recreationszeit durften die Zöglinge nicht mit einander sprechen,
ja sich nicht einmal laut begrüßen. Keinem war erlaubt, den andern ohne
dringende Veranlassung auf seiner Zelle zu besuchen. War dies unvermeidlich,
so mußte der Zweck des Besuchs bei offner Thür und so rasch als möglich er¬
ledigt werden. Setzen durfte man sich dabei nicht, auch der Bewohner des
Zimmers hatre sich sofort nach Eintritt des Besuchers zu erheben und stehen
zu bleiben, bis jener sich wieder entfernt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/480>, abgerufen am 08.01.2025.