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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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sucht und endlich in den Abgrund dos Hochmuths gestürzt werden können.
Vierter Punkt: Betrachte, wie Christus in einem anmuthigen Gefilde bei Jeru¬
salem sich niederläßt, zwar auf bescheidenem Sitze, aber sehr schön von Ge¬
stalt und lieblich von Geberde. Fünfter Punkt: Siebe, wie der Herr des
Weltalls die auserwählten Apostel, Jünger und Diener über den Erdkreis aus¬
sendet, um allen Menschen die heilbringende Lehre zu spenden. Dritter Punkt:
Höre die ernährende Anrede Christi an diese Auserwählten. Sie sollen einem
Jeden helfen und ihn zunächst zur geistlichen und, wenn es Gott gefallen sollte,
auch zur wirtlichen Armuth, dann aber zu Schmach und Verachtung führen,
damit die Tugend der Demuth entsteht. Nun beginne ein Zwiegespräch mit
der heiligen Jungfrau, in welchem Du sie bittest, bei ihrem Sohn zu vermitteln,
daß Du unter sein Banner aufgenommen werdest, erst in geistlicher, dann in
wirklicher Armuth. dann im Ertragen von Verachtung und Beleidigung. Hier¬
auf folgt ein Ave-Mama. wonach man sich in einem zweiten Zwiegespräch
mit derselben Bitte an Christus wendet und ihn ansieht, die Genehmigung
derselben bei Gott dem Vater auszuwirken. Dann spricht man das Jcsuiten-
gebet: Anima Christi, in welchem die Seele, der Körper, das Blut, das Was¬
ser der Seitenwunde Christi u. s. w. angerufen werden, den Betenden zu hei¬
ligen, zu erlösen, zu trösten und vor dem bösen Feinde zu bewahren. Im
dritten Zwiegespräch richtet man seine Bitte direct an Gott den Bater und
schließt mit einem Paternoster.

Wir sehen aus dem Mitgetheilten, daß der heilige Ignatius eine starke
und etwas militärisch gefärbte Phantasie hat, was nicht zu verwundern, da
er eine Zeit lang Soldat war. Uebrigens bemerkt man, daß dieser Theil der
Exercitien weniger eine Uebung der Denkkraft, als der Einbildungskraft im
Auge hat. Dieselbe erhält mit jedem Vorspiel, jedem Punkt eine Art von
geistlichem Haschisch, und das <"anze läuft auf die Herbeiführung von Träumen
und Gesichten hinaus, die mit dem Gewissen nichts zu schaffen haben. Indeß
hat der Oberexercitienmeistcr der Jesuiten auch für letzteres gesorgt, freilich
auf höchst eigenthümliche Weise, die einem Menschen mit protestantischen Ge¬
wissen in doppeltem Sinn des Wortes spanisch vorkommen muß.

Wie bemerkt, gehört zu den Exercitien die besondere und die allgemeine
Gewissenserforschung. Jene wurde im Jesuitcübause zu Rom täglich zweimal,
vor dem Mittagsmahl und nach dem Abendessen, vorgenommen und zwar in
folgender Weise. Beim Aufstehen am Morgen vergegenwärtigten sich die
Theilnehmer an den Uebungen eine besondere Sünde, die man meiden wollte.
Vor Tische beteten sie dann zu Gott, er wolle behülflich sein, daß man sich
entsinne, wie oft man in jene Sünde verfallen sei, worauf die Selbstprüfung
begann. "Man fordert dabei von seiner Seele Rechenschaft über die genannte
Sünde, geht die einzelnen Tageszeiten vom Erwachen bis jetzt genau durch


sucht und endlich in den Abgrund dos Hochmuths gestürzt werden können.
Vierter Punkt: Betrachte, wie Christus in einem anmuthigen Gefilde bei Jeru¬
salem sich niederläßt, zwar auf bescheidenem Sitze, aber sehr schön von Ge¬
stalt und lieblich von Geberde. Fünfter Punkt: Siebe, wie der Herr des
Weltalls die auserwählten Apostel, Jünger und Diener über den Erdkreis aus¬
sendet, um allen Menschen die heilbringende Lehre zu spenden. Dritter Punkt:
Höre die ernährende Anrede Christi an diese Auserwählten. Sie sollen einem
Jeden helfen und ihn zunächst zur geistlichen und, wenn es Gott gefallen sollte,
auch zur wirtlichen Armuth, dann aber zu Schmach und Verachtung führen,
damit die Tugend der Demuth entsteht. Nun beginne ein Zwiegespräch mit
der heiligen Jungfrau, in welchem Du sie bittest, bei ihrem Sohn zu vermitteln,
daß Du unter sein Banner aufgenommen werdest, erst in geistlicher, dann in
wirklicher Armuth. dann im Ertragen von Verachtung und Beleidigung. Hier¬
auf folgt ein Ave-Mama. wonach man sich in einem zweiten Zwiegespräch
mit derselben Bitte an Christus wendet und ihn ansieht, die Genehmigung
derselben bei Gott dem Vater auszuwirken. Dann spricht man das Jcsuiten-
gebet: Anima Christi, in welchem die Seele, der Körper, das Blut, das Was¬
ser der Seitenwunde Christi u. s. w. angerufen werden, den Betenden zu hei¬
ligen, zu erlösen, zu trösten und vor dem bösen Feinde zu bewahren. Im
dritten Zwiegespräch richtet man seine Bitte direct an Gott den Bater und
schließt mit einem Paternoster.

Wir sehen aus dem Mitgetheilten, daß der heilige Ignatius eine starke
und etwas militärisch gefärbte Phantasie hat, was nicht zu verwundern, da
er eine Zeit lang Soldat war. Uebrigens bemerkt man, daß dieser Theil der
Exercitien weniger eine Uebung der Denkkraft, als der Einbildungskraft im
Auge hat. Dieselbe erhält mit jedem Vorspiel, jedem Punkt eine Art von
geistlichem Haschisch, und das <«anze läuft auf die Herbeiführung von Träumen
und Gesichten hinaus, die mit dem Gewissen nichts zu schaffen haben. Indeß
hat der Oberexercitienmeistcr der Jesuiten auch für letzteres gesorgt, freilich
auf höchst eigenthümliche Weise, die einem Menschen mit protestantischen Ge¬
wissen in doppeltem Sinn des Wortes spanisch vorkommen muß.

Wie bemerkt, gehört zu den Exercitien die besondere und die allgemeine
Gewissenserforschung. Jene wurde im Jesuitcübause zu Rom täglich zweimal,
vor dem Mittagsmahl und nach dem Abendessen, vorgenommen und zwar in
folgender Weise. Beim Aufstehen am Morgen vergegenwärtigten sich die
Theilnehmer an den Uebungen eine besondere Sünde, die man meiden wollte.
Vor Tische beteten sie dann zu Gott, er wolle behülflich sein, daß man sich
entsinne, wie oft man in jene Sünde verfallen sei, worauf die Selbstprüfung
begann. „Man fordert dabei von seiner Seele Rechenschaft über die genannte
Sünde, geht die einzelnen Tageszeiten vom Erwachen bis jetzt genau durch


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[0476] sucht und endlich in den Abgrund dos Hochmuths gestürzt werden können. Vierter Punkt: Betrachte, wie Christus in einem anmuthigen Gefilde bei Jeru¬ salem sich niederläßt, zwar auf bescheidenem Sitze, aber sehr schön von Ge¬ stalt und lieblich von Geberde. Fünfter Punkt: Siebe, wie der Herr des Weltalls die auserwählten Apostel, Jünger und Diener über den Erdkreis aus¬ sendet, um allen Menschen die heilbringende Lehre zu spenden. Dritter Punkt: Höre die ernährende Anrede Christi an diese Auserwählten. Sie sollen einem Jeden helfen und ihn zunächst zur geistlichen und, wenn es Gott gefallen sollte, auch zur wirtlichen Armuth, dann aber zu Schmach und Verachtung führen, damit die Tugend der Demuth entsteht. Nun beginne ein Zwiegespräch mit der heiligen Jungfrau, in welchem Du sie bittest, bei ihrem Sohn zu vermitteln, daß Du unter sein Banner aufgenommen werdest, erst in geistlicher, dann in wirklicher Armuth. dann im Ertragen von Verachtung und Beleidigung. Hier¬ auf folgt ein Ave-Mama. wonach man sich in einem zweiten Zwiegespräch mit derselben Bitte an Christus wendet und ihn ansieht, die Genehmigung derselben bei Gott dem Vater auszuwirken. Dann spricht man das Jcsuiten- gebet: Anima Christi, in welchem die Seele, der Körper, das Blut, das Was¬ ser der Seitenwunde Christi u. s. w. angerufen werden, den Betenden zu hei¬ ligen, zu erlösen, zu trösten und vor dem bösen Feinde zu bewahren. Im dritten Zwiegespräch richtet man seine Bitte direct an Gott den Bater und schließt mit einem Paternoster. Wir sehen aus dem Mitgetheilten, daß der heilige Ignatius eine starke und etwas militärisch gefärbte Phantasie hat, was nicht zu verwundern, da er eine Zeit lang Soldat war. Uebrigens bemerkt man, daß dieser Theil der Exercitien weniger eine Uebung der Denkkraft, als der Einbildungskraft im Auge hat. Dieselbe erhält mit jedem Vorspiel, jedem Punkt eine Art von geistlichem Haschisch, und das <«anze läuft auf die Herbeiführung von Träumen und Gesichten hinaus, die mit dem Gewissen nichts zu schaffen haben. Indeß hat der Oberexercitienmeistcr der Jesuiten auch für letzteres gesorgt, freilich auf höchst eigenthümliche Weise, die einem Menschen mit protestantischen Ge¬ wissen in doppeltem Sinn des Wortes spanisch vorkommen muß. Wie bemerkt, gehört zu den Exercitien die besondere und die allgemeine Gewissenserforschung. Jene wurde im Jesuitcübause zu Rom täglich zweimal, vor dem Mittagsmahl und nach dem Abendessen, vorgenommen und zwar in folgender Weise. Beim Aufstehen am Morgen vergegenwärtigten sich die Theilnehmer an den Uebungen eine besondere Sünde, die man meiden wollte. Vor Tische beteten sie dann zu Gott, er wolle behülflich sein, daß man sich entsinne, wie oft man in jene Sünde verfallen sei, worauf die Selbstprüfung begann. „Man fordert dabei von seiner Seele Rechenschaft über die genannte Sünde, geht die einzelnen Tageszeiten vom Erwachen bis jetzt genau durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/476>, abgerufen am 08.01.2025.