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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Unser Reisender hat sich, um sein Kapitel über den Thee in Rußland zu
vervollständigen, Mühe gegeben, das Datum seiner ersten Einführung in das
Czarenrcich zu erkunden, aber ohne Erfolg, "Es ist indeß sicher," bemerkt er,
"daß die Russen schon vor dem Einfall der Mongolen beträchtlichen Handel
mit dem Osten trieben, und wahrscheinlich waren die Mongolen, welche von
den Grenzen China's kamen, selbst mit dem Theegenuß bekannt. Erwiesen ist,
daß Rußland nach seiner Unterwerfung in regelmäßigem Handelsverkehr mit
dem Norden Europa's einerseits, und mit Persien, Indien und China andrerseits
stand -- ein Verkehr, welcher großentheils durch Nowgorod vermittelt wurde.
Nach der Austreibung der Tartaren ferner und der Eroberung Sibiriens ver¬
suchten die Russen Handelsverbindungen mit dem himmlischen Reich anzuknüpfen.
1606 schon ging ihr erster Gesandter in dieser Angelegenheit nach Peking, doch
langte er, da in der Mongolei eine Revolution aufgebrochen, niemals dort an.
Verschiedene andere Gesandtschaften machten ebenso fruchtlose Versuche, Einlaß
in China zu erhalten, und erst im Jahre l654 glückte es Baikoff mit einem
Gefolge von Attaches nach einer Reise von zwei vollen Jahren, Peking zu
erreichen. Baikoff, verdrießlich darüber, daß der Kaiser sich weigerte, ihn zu
empfangen, kehrte 1657 nach Moskau zurück. Es war kein Handelsvertrag
zu Stande gekommen, aber der Gesandte war zugleich ein geschickter Kundschaf¬
ter gewesen. Er hatte verschiedene practikable Straßen zwischen Sibirien und
dem Innern China's entdeckt!, und seit dieser Zeit sind fortwährend Kara¬
wanen zwischen Rußland und dem Lande des Thee's hin und hergezogen. Die
Engländer trieben um diese Zeit bedeutenden Handel mit Archangel, und es
scheint, daß schon die erste russische Karawane von China Thee mitbrachte, und
daß ein Theil davon nach England ausgeführt wurde; denn wir lesen in Pepy's
"Tagebuch" die Stelle: "Schickte nach einer Tasse Thee, einem chinesischen Ge¬
tränk, von dem ich noch nie getrunken habe." Das Datum dieser Notiz fällt
in das Jahr l66i. --

Wir kommen jetzt zu einigen Mittheilungen aus dem, was Edwards über
öffentliche Wirthschaften (Traktirs) und geschlossene Gesellschaften, Clubs u. drgl.
sagt. Ein echter russischer Trattir (vom französischen et-lritönr) ist in Peters¬
burg nicht zu finden. Es gibt hier nur Cafe's und Restaurants in franzö¬
sischem oder Wirthshäuser in deutschem Styl. In Moskau verhält sich
das so ziemlich umgekehrt. Eins von den großen dortigen Theehäusern
ist mindestens zwölfmal so geräumig als ein gewöhnliches französisches
Kaffeehaus. Zu den besten gehört das Troizkoi Traktir, wo die Kaufleute
sich treffen, um die Geschäfte, die sie auf der Börse -- d. h. auf der Straße
unten -- eingeleitet haben, abzuschließen. Petersburg ist in dieser Hinsicht
besser daran, es hat eine regelmäßige Börse und sogar eine Kapelle daran, in
welcher die Kaufleute vor ihrer gewöhnlichen Nachmittagsarbeit (die Börscnzeit


Unser Reisender hat sich, um sein Kapitel über den Thee in Rußland zu
vervollständigen, Mühe gegeben, das Datum seiner ersten Einführung in das
Czarenrcich zu erkunden, aber ohne Erfolg, „Es ist indeß sicher," bemerkt er,
„daß die Russen schon vor dem Einfall der Mongolen beträchtlichen Handel
mit dem Osten trieben, und wahrscheinlich waren die Mongolen, welche von
den Grenzen China's kamen, selbst mit dem Theegenuß bekannt. Erwiesen ist,
daß Rußland nach seiner Unterwerfung in regelmäßigem Handelsverkehr mit
dem Norden Europa's einerseits, und mit Persien, Indien und China andrerseits
stand — ein Verkehr, welcher großentheils durch Nowgorod vermittelt wurde.
Nach der Austreibung der Tartaren ferner und der Eroberung Sibiriens ver¬
suchten die Russen Handelsverbindungen mit dem himmlischen Reich anzuknüpfen.
1606 schon ging ihr erster Gesandter in dieser Angelegenheit nach Peking, doch
langte er, da in der Mongolei eine Revolution aufgebrochen, niemals dort an.
Verschiedene andere Gesandtschaften machten ebenso fruchtlose Versuche, Einlaß
in China zu erhalten, und erst im Jahre l654 glückte es Baikoff mit einem
Gefolge von Attaches nach einer Reise von zwei vollen Jahren, Peking zu
erreichen. Baikoff, verdrießlich darüber, daß der Kaiser sich weigerte, ihn zu
empfangen, kehrte 1657 nach Moskau zurück. Es war kein Handelsvertrag
zu Stande gekommen, aber der Gesandte war zugleich ein geschickter Kundschaf¬
ter gewesen. Er hatte verschiedene practikable Straßen zwischen Sibirien und
dem Innern China's entdeckt!, und seit dieser Zeit sind fortwährend Kara¬
wanen zwischen Rußland und dem Lande des Thee's hin und hergezogen. Die
Engländer trieben um diese Zeit bedeutenden Handel mit Archangel, und es
scheint, daß schon die erste russische Karawane von China Thee mitbrachte, und
daß ein Theil davon nach England ausgeführt wurde; denn wir lesen in Pepy's
„Tagebuch" die Stelle: „Schickte nach einer Tasse Thee, einem chinesischen Ge¬
tränk, von dem ich noch nie getrunken habe." Das Datum dieser Notiz fällt
in das Jahr l66i. —

Wir kommen jetzt zu einigen Mittheilungen aus dem, was Edwards über
öffentliche Wirthschaften (Traktirs) und geschlossene Gesellschaften, Clubs u. drgl.
sagt. Ein echter russischer Trattir (vom französischen et-lritönr) ist in Peters¬
burg nicht zu finden. Es gibt hier nur Cafe's und Restaurants in franzö¬
sischem oder Wirthshäuser in deutschem Styl. In Moskau verhält sich
das so ziemlich umgekehrt. Eins von den großen dortigen Theehäusern
ist mindestens zwölfmal so geräumig als ein gewöhnliches französisches
Kaffeehaus. Zu den besten gehört das Troizkoi Traktir, wo die Kaufleute
sich treffen, um die Geschäfte, die sie auf der Börse — d. h. auf der Straße
unten — eingeleitet haben, abzuschließen. Petersburg ist in dieser Hinsicht
besser daran, es hat eine regelmäßige Börse und sogar eine Kapelle daran, in
welcher die Kaufleute vor ihrer gewöhnlichen Nachmittagsarbeit (die Börscnzeit


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[0466] Unser Reisender hat sich, um sein Kapitel über den Thee in Rußland zu vervollständigen, Mühe gegeben, das Datum seiner ersten Einführung in das Czarenrcich zu erkunden, aber ohne Erfolg, „Es ist indeß sicher," bemerkt er, „daß die Russen schon vor dem Einfall der Mongolen beträchtlichen Handel mit dem Osten trieben, und wahrscheinlich waren die Mongolen, welche von den Grenzen China's kamen, selbst mit dem Theegenuß bekannt. Erwiesen ist, daß Rußland nach seiner Unterwerfung in regelmäßigem Handelsverkehr mit dem Norden Europa's einerseits, und mit Persien, Indien und China andrerseits stand — ein Verkehr, welcher großentheils durch Nowgorod vermittelt wurde. Nach der Austreibung der Tartaren ferner und der Eroberung Sibiriens ver¬ suchten die Russen Handelsverbindungen mit dem himmlischen Reich anzuknüpfen. 1606 schon ging ihr erster Gesandter in dieser Angelegenheit nach Peking, doch langte er, da in der Mongolei eine Revolution aufgebrochen, niemals dort an. Verschiedene andere Gesandtschaften machten ebenso fruchtlose Versuche, Einlaß in China zu erhalten, und erst im Jahre l654 glückte es Baikoff mit einem Gefolge von Attaches nach einer Reise von zwei vollen Jahren, Peking zu erreichen. Baikoff, verdrießlich darüber, daß der Kaiser sich weigerte, ihn zu empfangen, kehrte 1657 nach Moskau zurück. Es war kein Handelsvertrag zu Stande gekommen, aber der Gesandte war zugleich ein geschickter Kundschaf¬ ter gewesen. Er hatte verschiedene practikable Straßen zwischen Sibirien und dem Innern China's entdeckt!, und seit dieser Zeit sind fortwährend Kara¬ wanen zwischen Rußland und dem Lande des Thee's hin und hergezogen. Die Engländer trieben um diese Zeit bedeutenden Handel mit Archangel, und es scheint, daß schon die erste russische Karawane von China Thee mitbrachte, und daß ein Theil davon nach England ausgeführt wurde; denn wir lesen in Pepy's „Tagebuch" die Stelle: „Schickte nach einer Tasse Thee, einem chinesischen Ge¬ tränk, von dem ich noch nie getrunken habe." Das Datum dieser Notiz fällt in das Jahr l66i. — Wir kommen jetzt zu einigen Mittheilungen aus dem, was Edwards über öffentliche Wirthschaften (Traktirs) und geschlossene Gesellschaften, Clubs u. drgl. sagt. Ein echter russischer Trattir (vom französischen et-lritönr) ist in Peters¬ burg nicht zu finden. Es gibt hier nur Cafe's und Restaurants in franzö¬ sischem oder Wirthshäuser in deutschem Styl. In Moskau verhält sich das so ziemlich umgekehrt. Eins von den großen dortigen Theehäusern ist mindestens zwölfmal so geräumig als ein gewöhnliches französisches Kaffeehaus. Zu den besten gehört das Troizkoi Traktir, wo die Kaufleute sich treffen, um die Geschäfte, die sie auf der Börse — d. h. auf der Straße unten — eingeleitet haben, abzuschließen. Petersburg ist in dieser Hinsicht besser daran, es hat eine regelmäßige Börse und sogar eine Kapelle daran, in welcher die Kaufleute vor ihrer gewöhnlichen Nachmittagsarbeit (die Börscnzeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/466>, abgerufen am 08.01.2025.