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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Zwischen Petersburg und Kowno oder Tauroggen befinden sich mehr als
fünfzig "Stationen", wo man Thee bekommen kann. Reisende, deren Weg
nicht über die Poststraßen der Regierung führt, nehmen Samowars in ihren
Wagen mit. Ebenso macht man kleine Samowars für Offiziere, die ins Feld
rücke", und andere Personen, die in den Fall kommen können, sich an Orten
aufhalten zu müssen, wo es scbwieng ist. sich heißes Wasser zu verschaffen. Zu
demselben Zweck bat man kleine Theckästchcnvon denen jedes ein oder mehre
Gläser enthält; denn Männer unter sich trinken ihren Thee gewöhnlich aus
Gläsern. Bei Gesellschaften im Hause war es früher üblich, den Damen Tas¬
sen und nur den Männern Gläser zu geben; indeß ist dies jetzt so ziemlich außer
Gebrauch gekommen.

Die Russen gießen niemals Milch, selten Rahm in ihren Thee, häufiger
nehmen sie ein Scheibchen Citrone oder etwas eingemachtes Obst dazu, bisweilen
Rum, in der Regel aber nur Zucker, und darin haben sie vollkommen recht.
Die Vorzüge des russischen Karawanenthees vor dem, der von Kanton über
See nach dem westlichen Europa geht, sind oft gepriesen und bisweilen geleug¬
net worden. Tengoborsli, der verstorbene russische Senator, stellte beharrlich
in Abrede, daß der Kiächta-Thee irgendwie besser als der Kanton-Thee sei.
Edwards meint, entweder müsse Tengobvrsti's Geschmack seinem schriftstellerischen
Talent nachgestanden haben oder man müsse nach seinem Kapitel über Thee (wo
er zu beweisen sucht, daß es eine große Wohlthat für Nußland sein würde,
wenn man seine Häfen den Schiffen von Kanton öffne) schließen, daß sein Ge¬
schmackssinn von seinen Wünschen beeinflußt worden. "Ich meinestheils," fährt
unser Berichterstatter fort, "stehe nicht an zu behaupten, daß in London kein
solcher Thee zu finden ist, als der, welcher in Moskau und durch ganz Nußland
verkauft wird, ausgenommen in einigen Strichen am baltischen Gestade und an
der preußischen Grenze, wo man geschmuggelten Kanton-Thee feil hat."

Wir meinen, daß damit das Rechte gesagt ist. Es scheint geradezu sinn¬
los, zu behaupten, daß die lange Seereise, bei weicher der Aequator zweimal durch¬
schnitten und das Wasser, in welchem das Schiff geht, oft bis zu 80 Grad
Fahrenheit erhitzt wird, den Theeladungcn nicht schaden müsse. Wäre es in
den Schiffsräumen nicht feucht, so würde die Hitze allerdings wenig oder gar
nicht schaden können, aber jedermann, der einmal zur See gewesen, weiß, daß
die Feuchtigkeit sich selbst von den Kajüten nicht fernhalten läßt und daß die
Schiffsräume eine Atmosphäre wie Keller haben. Am wenigsten verliert durch
die Fahrt der schwarze Thee, der beim Trocknen einer stärkern Erhitzung aus¬
gesetzt wird und überdies weniger Arom einzubüßen hat als der grüne. Wenn
letzterer in Nußland unvergleichlich besser ist, als anderwärts, so kommt dies
daber, daß er von Kiächta fast nur trockne und lediglich kalte Gegenden passirt,
wo nichts von seinem eigenthümlichen Duft verdunstet.


Zwischen Petersburg und Kowno oder Tauroggen befinden sich mehr als
fünfzig „Stationen", wo man Thee bekommen kann. Reisende, deren Weg
nicht über die Poststraßen der Regierung führt, nehmen Samowars in ihren
Wagen mit. Ebenso macht man kleine Samowars für Offiziere, die ins Feld
rücke», und andere Personen, die in den Fall kommen können, sich an Orten
aufhalten zu müssen, wo es scbwieng ist. sich heißes Wasser zu verschaffen. Zu
demselben Zweck bat man kleine Theckästchcnvon denen jedes ein oder mehre
Gläser enthält; denn Männer unter sich trinken ihren Thee gewöhnlich aus
Gläsern. Bei Gesellschaften im Hause war es früher üblich, den Damen Tas¬
sen und nur den Männern Gläser zu geben; indeß ist dies jetzt so ziemlich außer
Gebrauch gekommen.

Die Russen gießen niemals Milch, selten Rahm in ihren Thee, häufiger
nehmen sie ein Scheibchen Citrone oder etwas eingemachtes Obst dazu, bisweilen
Rum, in der Regel aber nur Zucker, und darin haben sie vollkommen recht.
Die Vorzüge des russischen Karawanenthees vor dem, der von Kanton über
See nach dem westlichen Europa geht, sind oft gepriesen und bisweilen geleug¬
net worden. Tengoborsli, der verstorbene russische Senator, stellte beharrlich
in Abrede, daß der Kiächta-Thee irgendwie besser als der Kanton-Thee sei.
Edwards meint, entweder müsse Tengobvrsti's Geschmack seinem schriftstellerischen
Talent nachgestanden haben oder man müsse nach seinem Kapitel über Thee (wo
er zu beweisen sucht, daß es eine große Wohlthat für Nußland sein würde,
wenn man seine Häfen den Schiffen von Kanton öffne) schließen, daß sein Ge¬
schmackssinn von seinen Wünschen beeinflußt worden. „Ich meinestheils," fährt
unser Berichterstatter fort, „stehe nicht an zu behaupten, daß in London kein
solcher Thee zu finden ist, als der, welcher in Moskau und durch ganz Nußland
verkauft wird, ausgenommen in einigen Strichen am baltischen Gestade und an
der preußischen Grenze, wo man geschmuggelten Kanton-Thee feil hat."

Wir meinen, daß damit das Rechte gesagt ist. Es scheint geradezu sinn¬
los, zu behaupten, daß die lange Seereise, bei weicher der Aequator zweimal durch¬
schnitten und das Wasser, in welchem das Schiff geht, oft bis zu 80 Grad
Fahrenheit erhitzt wird, den Theeladungcn nicht schaden müsse. Wäre es in
den Schiffsräumen nicht feucht, so würde die Hitze allerdings wenig oder gar
nicht schaden können, aber jedermann, der einmal zur See gewesen, weiß, daß
die Feuchtigkeit sich selbst von den Kajüten nicht fernhalten läßt und daß die
Schiffsräume eine Atmosphäre wie Keller haben. Am wenigsten verliert durch
die Fahrt der schwarze Thee, der beim Trocknen einer stärkern Erhitzung aus¬
gesetzt wird und überdies weniger Arom einzubüßen hat als der grüne. Wenn
letzterer in Nußland unvergleichlich besser ist, als anderwärts, so kommt dies
daber, daß er von Kiächta fast nur trockne und lediglich kalte Gegenden passirt,
wo nichts von seinem eigenthümlichen Duft verdunstet.


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[0464] Zwischen Petersburg und Kowno oder Tauroggen befinden sich mehr als fünfzig „Stationen", wo man Thee bekommen kann. Reisende, deren Weg nicht über die Poststraßen der Regierung führt, nehmen Samowars in ihren Wagen mit. Ebenso macht man kleine Samowars für Offiziere, die ins Feld rücke», und andere Personen, die in den Fall kommen können, sich an Orten aufhalten zu müssen, wo es scbwieng ist. sich heißes Wasser zu verschaffen. Zu demselben Zweck bat man kleine Theckästchcnvon denen jedes ein oder mehre Gläser enthält; denn Männer unter sich trinken ihren Thee gewöhnlich aus Gläsern. Bei Gesellschaften im Hause war es früher üblich, den Damen Tas¬ sen und nur den Männern Gläser zu geben; indeß ist dies jetzt so ziemlich außer Gebrauch gekommen. Die Russen gießen niemals Milch, selten Rahm in ihren Thee, häufiger nehmen sie ein Scheibchen Citrone oder etwas eingemachtes Obst dazu, bisweilen Rum, in der Regel aber nur Zucker, und darin haben sie vollkommen recht. Die Vorzüge des russischen Karawanenthees vor dem, der von Kanton über See nach dem westlichen Europa geht, sind oft gepriesen und bisweilen geleug¬ net worden. Tengoborsli, der verstorbene russische Senator, stellte beharrlich in Abrede, daß der Kiächta-Thee irgendwie besser als der Kanton-Thee sei. Edwards meint, entweder müsse Tengobvrsti's Geschmack seinem schriftstellerischen Talent nachgestanden haben oder man müsse nach seinem Kapitel über Thee (wo er zu beweisen sucht, daß es eine große Wohlthat für Nußland sein würde, wenn man seine Häfen den Schiffen von Kanton öffne) schließen, daß sein Ge¬ schmackssinn von seinen Wünschen beeinflußt worden. „Ich meinestheils," fährt unser Berichterstatter fort, „stehe nicht an zu behaupten, daß in London kein solcher Thee zu finden ist, als der, welcher in Moskau und durch ganz Nußland verkauft wird, ausgenommen in einigen Strichen am baltischen Gestade und an der preußischen Grenze, wo man geschmuggelten Kanton-Thee feil hat." Wir meinen, daß damit das Rechte gesagt ist. Es scheint geradezu sinn¬ los, zu behaupten, daß die lange Seereise, bei weicher der Aequator zweimal durch¬ schnitten und das Wasser, in welchem das Schiff geht, oft bis zu 80 Grad Fahrenheit erhitzt wird, den Theeladungcn nicht schaden müsse. Wäre es in den Schiffsräumen nicht feucht, so würde die Hitze allerdings wenig oder gar nicht schaden können, aber jedermann, der einmal zur See gewesen, weiß, daß die Feuchtigkeit sich selbst von den Kajüten nicht fernhalten läßt und daß die Schiffsräume eine Atmosphäre wie Keller haben. Am wenigsten verliert durch die Fahrt der schwarze Thee, der beim Trocknen einer stärkern Erhitzung aus¬ gesetzt wird und überdies weniger Arom einzubüßen hat als der grüne. Wenn letzterer in Nußland unvergleichlich besser ist, als anderwärts, so kommt dies daber, daß er von Kiächta fast nur trockne und lediglich kalte Gegenden passirt, wo nichts von seinem eigenthümlichen Duft verdunstet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/464>, abgerufen am 08.01.2025.