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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Thee allem andern Naß vorzuziehen. Dies ist wenigstens meine Erfahrung,
Bor einigen Jahren verlangte der Iswostschik nach Beendigung einer Spazier¬
fahrt fein Trinkgeld mit den Worten: ""Na wolln"". zu einem SchuSpschen,
jetzt bittet er ohne Ausnahme um Gelb zu einer Tasse Thee -- ""na tschai"".
Selbst in scheuten an der Heerstraße, wo ich zwölf bis zwanzig Postillone
und Kutscher beisammensitzen sah, wurde nichts als Thee getrunken. Ein wohl¬
bekannter Tourist hat uns erzählt, daß jeder russische Bauer seinen Samowar
oder seine Theeurne besitze; aber dies ist nicht der Fall. Die meisten Bauern
sind zu arm, um solch ein Luxusgetränk wie Thee zu genießen, ausgenommen
gelegentlich; aber allerdings ist ein solches Geräth der erste Gegenstand, den
ein Landmann, der etwas Geld gespart hat, sich anzuschaffen pflegt, und es ist
wahr, daß in dem einen und dem andern wohlhabenden Dorfe fast jede Hütte
ihren Samowar besitzt, und daß in allen Pvsthäuscrn und Gasthöfen jeder Gast
mit einem eignen Theekessel versehen wird.

Der Samowar ist von Messing und inwendig mit Blech ausgefüttert.
Durch die Mitte geht eine Nöhre von cylindrischer Form, in die man glühende
Holzkohlen wirft. So laß< er sich leicht unter freiem Himmel erhitzen, da es
hierzu nichts als einer Handvoll Kohlen, einiger Stücke Holz oder Kien und
eines Streichhölzchens bedarf. Daher sein Werth für Picknicks, wo er geradezu
als unvermeidlicher Gast erscheint. In den Wäldern von Sakolniki, den Gär¬
ten von Maria Roschia und in der Umgebung des Petrowskipalasts, alle hart
bei Moskau, werden in den Theehäuscrn Massen von Theeurncn (wie in den
Kaffeehäusern von Konstantinopel Massen von Wasserpfeifen) für die Gäste be¬
reit gehalten, und jede Gesellschaft bekommt einen davon zu ihrem speciellen
Gebrauch. In der That, die Quantität von Thee, die in diesen Borstadt-
Wirthschaften im Frühling und Sommer consumirt wird, ist erstaunlich groß.
In Rußland gibt es kaum einen Uebergang zwischen Winter und Urühling:
sobald das Eis thaut, sproßt schon das Gras, blühen die Bäume und ist
die ganze Natur lebendig. In diesem Land der Extreme ist bisweilen zwischen
April und Mai derselbe Unterschied wie in England zwischen Januar und Juni.
Im Sommer gibt's in Moskau verschiedene allgemeine Landpartien, welche zu -
Ostern, am ersten Mai, am Himmelfahrtstag, am Trinitatissonntag u. a. statt¬
finden. Die meisten dieser Ausflüge sind festlicher Natur, einige dagegen, wie
der am ig. Mai, welcher durch eine Wallfahrt nach einem Kloster und Be-
gräbnißplatz am Don begangen wird, ernsten Charakters. Der Samowar darf
bei keinem fehlen und selbst auf dem Friedhof nicht. Auf den Friedhöfen von
Moskau und Petersburg bemerkte ich wenigstens, daß die Thorwärter derselben
für die Besucher dieser Stätten einen Borrath von Samowars bereit hielten.
Und näher besehen, was kann sich besser für einen Begräbnißplatz passen, als
eine Urne!"


Thee allem andern Naß vorzuziehen. Dies ist wenigstens meine Erfahrung,
Bor einigen Jahren verlangte der Iswostschik nach Beendigung einer Spazier¬
fahrt fein Trinkgeld mit den Worten: „„Na wolln«". zu einem SchuSpschen,
jetzt bittet er ohne Ausnahme um Gelb zu einer Tasse Thee — „„na tschai"".
Selbst in scheuten an der Heerstraße, wo ich zwölf bis zwanzig Postillone
und Kutscher beisammensitzen sah, wurde nichts als Thee getrunken. Ein wohl¬
bekannter Tourist hat uns erzählt, daß jeder russische Bauer seinen Samowar
oder seine Theeurne besitze; aber dies ist nicht der Fall. Die meisten Bauern
sind zu arm, um solch ein Luxusgetränk wie Thee zu genießen, ausgenommen
gelegentlich; aber allerdings ist ein solches Geräth der erste Gegenstand, den
ein Landmann, der etwas Geld gespart hat, sich anzuschaffen pflegt, und es ist
wahr, daß in dem einen und dem andern wohlhabenden Dorfe fast jede Hütte
ihren Samowar besitzt, und daß in allen Pvsthäuscrn und Gasthöfen jeder Gast
mit einem eignen Theekessel versehen wird.

Der Samowar ist von Messing und inwendig mit Blech ausgefüttert.
Durch die Mitte geht eine Nöhre von cylindrischer Form, in die man glühende
Holzkohlen wirft. So laß< er sich leicht unter freiem Himmel erhitzen, da es
hierzu nichts als einer Handvoll Kohlen, einiger Stücke Holz oder Kien und
eines Streichhölzchens bedarf. Daher sein Werth für Picknicks, wo er geradezu
als unvermeidlicher Gast erscheint. In den Wäldern von Sakolniki, den Gär¬
ten von Maria Roschia und in der Umgebung des Petrowskipalasts, alle hart
bei Moskau, werden in den Theehäuscrn Massen von Theeurncn (wie in den
Kaffeehäusern von Konstantinopel Massen von Wasserpfeifen) für die Gäste be¬
reit gehalten, und jede Gesellschaft bekommt einen davon zu ihrem speciellen
Gebrauch. In der That, die Quantität von Thee, die in diesen Borstadt-
Wirthschaften im Frühling und Sommer consumirt wird, ist erstaunlich groß.
In Rußland gibt es kaum einen Uebergang zwischen Winter und Urühling:
sobald das Eis thaut, sproßt schon das Gras, blühen die Bäume und ist
die ganze Natur lebendig. In diesem Land der Extreme ist bisweilen zwischen
April und Mai derselbe Unterschied wie in England zwischen Januar und Juni.
Im Sommer gibt's in Moskau verschiedene allgemeine Landpartien, welche zu -
Ostern, am ersten Mai, am Himmelfahrtstag, am Trinitatissonntag u. a. statt¬
finden. Die meisten dieser Ausflüge sind festlicher Natur, einige dagegen, wie
der am ig. Mai, welcher durch eine Wallfahrt nach einem Kloster und Be-
gräbnißplatz am Don begangen wird, ernsten Charakters. Der Samowar darf
bei keinem fehlen und selbst auf dem Friedhof nicht. Auf den Friedhöfen von
Moskau und Petersburg bemerkte ich wenigstens, daß die Thorwärter derselben
für die Besucher dieser Stätten einen Borrath von Samowars bereit hielten.
Und näher besehen, was kann sich besser für einen Begräbnißplatz passen, als
eine Urne!"


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[0463] Thee allem andern Naß vorzuziehen. Dies ist wenigstens meine Erfahrung, Bor einigen Jahren verlangte der Iswostschik nach Beendigung einer Spazier¬ fahrt fein Trinkgeld mit den Worten: „„Na wolln«". zu einem SchuSpschen, jetzt bittet er ohne Ausnahme um Gelb zu einer Tasse Thee — „„na tschai"". Selbst in scheuten an der Heerstraße, wo ich zwölf bis zwanzig Postillone und Kutscher beisammensitzen sah, wurde nichts als Thee getrunken. Ein wohl¬ bekannter Tourist hat uns erzählt, daß jeder russische Bauer seinen Samowar oder seine Theeurne besitze; aber dies ist nicht der Fall. Die meisten Bauern sind zu arm, um solch ein Luxusgetränk wie Thee zu genießen, ausgenommen gelegentlich; aber allerdings ist ein solches Geräth der erste Gegenstand, den ein Landmann, der etwas Geld gespart hat, sich anzuschaffen pflegt, und es ist wahr, daß in dem einen und dem andern wohlhabenden Dorfe fast jede Hütte ihren Samowar besitzt, und daß in allen Pvsthäuscrn und Gasthöfen jeder Gast mit einem eignen Theekessel versehen wird. Der Samowar ist von Messing und inwendig mit Blech ausgefüttert. Durch die Mitte geht eine Nöhre von cylindrischer Form, in die man glühende Holzkohlen wirft. So laß< er sich leicht unter freiem Himmel erhitzen, da es hierzu nichts als einer Handvoll Kohlen, einiger Stücke Holz oder Kien und eines Streichhölzchens bedarf. Daher sein Werth für Picknicks, wo er geradezu als unvermeidlicher Gast erscheint. In den Wäldern von Sakolniki, den Gär¬ ten von Maria Roschia und in der Umgebung des Petrowskipalasts, alle hart bei Moskau, werden in den Theehäuscrn Massen von Theeurncn (wie in den Kaffeehäusern von Konstantinopel Massen von Wasserpfeifen) für die Gäste be¬ reit gehalten, und jede Gesellschaft bekommt einen davon zu ihrem speciellen Gebrauch. In der That, die Quantität von Thee, die in diesen Borstadt- Wirthschaften im Frühling und Sommer consumirt wird, ist erstaunlich groß. In Rußland gibt es kaum einen Uebergang zwischen Winter und Urühling: sobald das Eis thaut, sproßt schon das Gras, blühen die Bäume und ist die ganze Natur lebendig. In diesem Land der Extreme ist bisweilen zwischen April und Mai derselbe Unterschied wie in England zwischen Januar und Juni. Im Sommer gibt's in Moskau verschiedene allgemeine Landpartien, welche zu - Ostern, am ersten Mai, am Himmelfahrtstag, am Trinitatissonntag u. a. statt¬ finden. Die meisten dieser Ausflüge sind festlicher Natur, einige dagegen, wie der am ig. Mai, welcher durch eine Wallfahrt nach einem Kloster und Be- gräbnißplatz am Don begangen wird, ernsten Charakters. Der Samowar darf bei keinem fehlen und selbst auf dem Friedhof nicht. Auf den Friedhöfen von Moskau und Petersburg bemerkte ich wenigstens, daß die Thorwärter derselben für die Besucher dieser Stätten einen Borrath von Samowars bereit hielten. Und näher besehen, was kann sich besser für einen Begräbnißplatz passen, als eine Urne!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/463>, abgerufen am 08.01.2025.