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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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ohne zu essen trinken, sehr selten aber nach einer Mahlzeit, während in Eng¬
land und Deutschland das eigentliche Trinken den Schluß zu bilden pflegt.

Interessant ist, was Edwards von dem Champagnertrinken in Rußland
bemerkt. Er sagt: "Man spricht von der ungeheuren Masse Champagner, die
in Nußland vertilgt werden soll. Indeß kostet die Flasche Champagner hier
fünf Rubel (die Steuer allein beträgt für die Bouteille einen Rubel) und so
wird er nur von sehr bemittelten Personen regelmäßig getrunken. Nichtsdesto¬
weniger geht die Champagnerflasche bei russischen Diners häusiger herum als
bei englischen. Sie erscheint gewöhnlich mit dem Dessert, und es folgt nach
ihr kein andrer Wein. Die reichen Kaufleute sollen bei ihren Abendgesellschaf¬
ten sehr tapfer Champagner zechen, aber der einzige Kaufmann, in dessen Haus
ich speiste, hatte unglücklicher Weise westliche Sitten angenommen, und so, gab
es den Abend über nichts als Thee." Sicher ist. daß nach den Begriffen aller
wohlhabenden Russen zu jeder Festlichkeit des Hauses Champagner gehört.
Man gibt ihn bei Diners und Bällen, bei Taufen, Verlobungen und Hoch¬
zeiten, beim Abschied und bei der Rückkehr von Freunden. Denen, die keinen
echten beschaffen können, liefert der russische Weinbau ein vortreffliches Surro¬
gat in Gestalt des "Donskvi" und des "Krimst'ol", Weinen vom Don und aus
der Krim. Da diese nur den fünften Theil des Preises für echten Sect kosten,
fo versteht sich von selbst, daß sie von betrügerischen Händlern oder sparsamen
Wirthen nicht selten für jenen substituirt werden.

Man hat oft gesagt, und wir möchten diese Ansicht theilen, daß die Rus¬
sen den Champagner besonders deshalb gern trinken, weil er theuer ist. Un¬
ser Berichterstatter ist andrer Meinung. Er sagt, die Russen lieben schäumende
Getränke und deshalb natürlich auch, und vor allen andern, den Champagner,
das beste darunter. Unter den schäumenden Getränken, weiche Rußland eigen¬
thümlich sind, mag noch Kislya Schtschi, Aepfel-Kwas und Waditza erwähnt
werden. Kislya Schtschi wird ans drei Sorten Schrot, zwei Arten Malz und
gedörrten Aepfeln, Aepfel-Kwas aus Malz, Schrot und vielen Aepfeln, Wa¬
ditza (wörtlich: Wässerchen) aus Syrup, Wasser und etwas Branntwein be¬
reitet. Alle diese Sommergetränke werden auf Flaschen im Eiskeller aufbewahrt.

"Thee," sagt Gerebzvff, "ist für jedermann bei uns ein gewöhnlicher Ver-
brauchsartikcl geworden und ersetzt, vorteilhaft für die Moralität, Branntwein
und Bier; denn bei allen Gelegenheiten, wenn ein Geschäft abzuschließen, ein
Bekannter zu bewirthen ist, wenn ein Freund Besuch macht oder Abschied
nimmt, wird jetzt Thee statt Bier oder Branntwein gegeben." Edwards be¬
stätigt dies und bemerkt ferner: "Die mittlern und obern Klassen trinken zwci-
vder dreimal des Tages Thee. Einmal des Morgens und oft zweimal des
Abends. Der Jswostschik. der früher im Ruf stand, ein Trunkenbold zu sein,
eine Eigenschaft, die heutige Reisende ihm noch immer beilegen, scheint den


ohne zu essen trinken, sehr selten aber nach einer Mahlzeit, während in Eng¬
land und Deutschland das eigentliche Trinken den Schluß zu bilden pflegt.

Interessant ist, was Edwards von dem Champagnertrinken in Rußland
bemerkt. Er sagt: „Man spricht von der ungeheuren Masse Champagner, die
in Nußland vertilgt werden soll. Indeß kostet die Flasche Champagner hier
fünf Rubel (die Steuer allein beträgt für die Bouteille einen Rubel) und so
wird er nur von sehr bemittelten Personen regelmäßig getrunken. Nichtsdesto¬
weniger geht die Champagnerflasche bei russischen Diners häusiger herum als
bei englischen. Sie erscheint gewöhnlich mit dem Dessert, und es folgt nach
ihr kein andrer Wein. Die reichen Kaufleute sollen bei ihren Abendgesellschaf¬
ten sehr tapfer Champagner zechen, aber der einzige Kaufmann, in dessen Haus
ich speiste, hatte unglücklicher Weise westliche Sitten angenommen, und so, gab
es den Abend über nichts als Thee." Sicher ist. daß nach den Begriffen aller
wohlhabenden Russen zu jeder Festlichkeit des Hauses Champagner gehört.
Man gibt ihn bei Diners und Bällen, bei Taufen, Verlobungen und Hoch¬
zeiten, beim Abschied und bei der Rückkehr von Freunden. Denen, die keinen
echten beschaffen können, liefert der russische Weinbau ein vortreffliches Surro¬
gat in Gestalt des „Donskvi" und des „Krimst'ol", Weinen vom Don und aus
der Krim. Da diese nur den fünften Theil des Preises für echten Sect kosten,
fo versteht sich von selbst, daß sie von betrügerischen Händlern oder sparsamen
Wirthen nicht selten für jenen substituirt werden.

Man hat oft gesagt, und wir möchten diese Ansicht theilen, daß die Rus¬
sen den Champagner besonders deshalb gern trinken, weil er theuer ist. Un¬
ser Berichterstatter ist andrer Meinung. Er sagt, die Russen lieben schäumende
Getränke und deshalb natürlich auch, und vor allen andern, den Champagner,
das beste darunter. Unter den schäumenden Getränken, weiche Rußland eigen¬
thümlich sind, mag noch Kislya Schtschi, Aepfel-Kwas und Waditza erwähnt
werden. Kislya Schtschi wird ans drei Sorten Schrot, zwei Arten Malz und
gedörrten Aepfeln, Aepfel-Kwas aus Malz, Schrot und vielen Aepfeln, Wa¬
ditza (wörtlich: Wässerchen) aus Syrup, Wasser und etwas Branntwein be¬
reitet. Alle diese Sommergetränke werden auf Flaschen im Eiskeller aufbewahrt.

„Thee," sagt Gerebzvff, „ist für jedermann bei uns ein gewöhnlicher Ver-
brauchsartikcl geworden und ersetzt, vorteilhaft für die Moralität, Branntwein
und Bier; denn bei allen Gelegenheiten, wenn ein Geschäft abzuschließen, ein
Bekannter zu bewirthen ist, wenn ein Freund Besuch macht oder Abschied
nimmt, wird jetzt Thee statt Bier oder Branntwein gegeben." Edwards be¬
stätigt dies und bemerkt ferner: „Die mittlern und obern Klassen trinken zwci-
vder dreimal des Tages Thee. Einmal des Morgens und oft zweimal des
Abends. Der Jswostschik. der früher im Ruf stand, ein Trunkenbold zu sein,
eine Eigenschaft, die heutige Reisende ihm noch immer beilegen, scheint den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/462>, abgerufen am 08.01.2025.