Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.aber ungleich minder sorgfältig gearbeitet als die in der Grotte selbst gefundenen. Die Gesammtheit der durch Lartet festgestellten Thatsachen läßt nur Eine Grenzbotcn II. 1362. 57
aber ungleich minder sorgfältig gearbeitet als die in der Grotte selbst gefundenen. Die Gesammtheit der durch Lartet festgestellten Thatsachen läßt nur Eine Grenzbotcn II. 1362. 57
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aber ungleich minder sorgfältig gearbeitet als die in der Grotte selbst gefundenen.
Jene scheinen die bei der Herstellung verunglückten, der weggeworfene Ausschuß
zu sein; viele sind unfertig. Mit den bestbeschaffenen Werkzeugen wurden in
der Grotte auch einige Gegenstände gefunden, die nur zum Schmuck gedient haben
können. An diese knüpft sich ihres Stoffes halber ein besonderes Interesse. Eine
Anzahl kleiner kreisförmiger, in der Mitte durchbohrter Platten einer perlmut¬
terähnlichen Substanz scheint an einen Faden gereiht als Halsband getragen
worden zu sein. Die mikroskopische Untersuchung zeigte in ihnen das wohige-
kennzeichnete Gefüge der Schalen einer Meercsmuschel. eines Cardium. Das
Mittelmeer ist 20 Meilen, der biscayische Golf 30 Meilen von Aurignac
entfernt. Der Eckzahn eines jungen Höhlenbären, der ganzen Länge nach
durchbohrt, so daß er angehängt werden konnte, war in der Weise angeschliffen
und bearbeitet, daß er eine, wenn auch rohe, doch deutliche Nachahmung des
Kopfes und Schnabels eines Vogels darstellte. Es ist dies nicht das einzige
uns erhaltene Werk der bildenden Kunst aus so alter Zeit. Im Museum von
Cluny zu Paris wird ein ebenfalls aus einer Knochengrotte Südfrankreichs
herstammender Mittelfußknochen eines Hirsches aufbewahrt, auf welchen die Ab¬
bildungen einiger Hirschkühe mit der Spitze eines Feuersteins eingeritzt sind.
Auf einem Stück Rennthiergeweih aus einer andern Grotte, der von Muffat,
ist der Kops eines Bären gar nicht übel eingeschnitten. Die Kopfbildung hat
mehr Ähnlichkeit mit der des braunen, noch jetzt in den Pyrenäen heimischen
Bären als mit der des Höhlenbären.
Die Gesammtheit der durch Lartet festgestellten Thatsachen läßt nur Eine
Deutung zu. Die Grotte von Aurignac ist von Einwohnern Aquitaniens in
uralter Zeit als Begräbnisstätte benutzt worden. Bei der Beisetzung eines Leich¬
nams wurden Schmucksachen, Waffen, Trophäen mit ins Grab gegeben. Die
Höhlenbärskelettc mögen in der Art in die Grotte gelangt sein, daß beim Be-
gräbniß eines Mannes das erlegte Raubthier mit beigesetzt wurde, wie ja Ähn¬
liche Gebräuche noch heute bei halbwilden Völkern der verschiedensten Theile der Erde
herrschen. Nach jedem Begräbniß wurde die verschließende Steinplatte vor den Ein¬
gang der Grotte gefügt und so den lcichenverzchrenden Raubthieren, den Hyänen,
der Zugang versperrt. Bei jeder Grablegung mögen Leichenschmäuse vor der
Grotte stattgefunden haben. Daher der Feuerheerd; daher die gewaltige An¬
sammlung von Knochen vor der Grotte. Daß die verschiedenen Theile der
Skelette der verzehrten Thiere nicht vollständiger hier gefunden worden sind,
mag daher rühren, daß die Schmausenden während des Mahles viele der Kno¬
chen von der Plattform vor der Höhle ins Thal des Baches hinabgeworfen
haben. Die Röhrenknochen wurden zerhackt, um das Mark aus ihnen zu nehmen.
Solche Knochen sind es hauptsächlich, die auf und über dem Heerde sich fanden.
Zu anderer Zeit wurde die Grotte und ihre Umgebung nur selten von Men-
Grenzbotcn II. 1362. 57
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