Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Stelle einen Sarg aufzustellen pflegt, um die Gemeinde an das Leiden und den
Tod des Erlösers zu erinnern."

Der Sermon lautete: "Einst hatte ein frommer Einsiedler seinen Brüdern
etwas zu sage", die vor" ihm belehrt zu werden erwarteten. Durchdrungen von
einem tiefen Gefühl der Armuth des Menschengeschlechtes rief der alte Marin
statt irgend welcher Belehrung aus: Brüder, lasset uns weinen, und sie fielen
allesammt zu Boden und vergossen Thränen. Ich weiß. Brüder, daß ihr jetzt
Worte der Belehrung von mir erwartet, aber meine Lippen schließen sich unfrei¬
willig beim Anblick unsres Herrn im Sarge. Wer wagte zu sprechen, während
er chweigt. Und läßt sich irgend etwas zu euch sagen von Gott und seiner
Wahrheit und von dein Menschen und seiner Unwahrheit, was diese Wunden
nicht hundertfciltiglich eindringlicher aussprächen? Können die, welche von ihnen
nicht gerührt werden, von schwachem Menschenwort bewegt werden? Auf Gol¬
gatha war kein Prediger, dort sah man sie nur schluchzen und an die Brust
schlagen. Und an der Seite des Sarges ist kein Raum für die Predigt, son¬
dern nur für Buße und Thränen. Brüder, unser Herr und Erlöser ist im
Large. Laßt uns beten und weinen. Amen!"

Man sieht, es ist Krummacher'scher Styl, jn welchem der berühmte Erzbi-
schof predigt. Edwards scheint ihn zu bewundern. Wir finden weniger Ursache
da^u. doch ist anzuerkennen, wie kurz der Redner sich zu fassen wußte, und das
wird. Manchem auch etwas werth scheinen.

Kiefs, die alte Hauptstadt der Großfürsten. Moskau, die Stadt der Czaren,
Petersburg die moderne Kaiserstadt haben jedes sein berühmtes Hauptkloster.
Das in Kicff ist das älteste, das der Troiza oder Drcinigteit bei Moskau das
historisch merkwürdigste, das Alexander Ncwsti-Kloster zu Petersburg ist wie die
Stadt von neuerem Datum, erinnert aber an einen der größten Heiligen und
Helden Altrußlcmdö. welcher die 'Schweden und die Deutschen auf dem Eis der
Newa schlug, woher sein Beiname Newski.

Jn der Mongole"- und Tartarenzeit und später noch unter der Herrschaft
der Polen waren die Klöster Rußlands nicht blos Zufluchtsstätten für weltmüde
Seelen, sondern zugleich die Festungen des Landes, und das gilt von einigen
in gewissem Grade noch jetzt. Die Festung am Weißen Meer, die während des
letzten Kriegs von den Engländern bombardirt wurde, war nichts als ein be¬
festigtes Kloster, und nach der Meinung gläubiger Russen war es nur der hei¬
lige Charakter des Gebäudes und ein gewisses wundcrthätiges Bild der Jung¬
frau (welches die meisten Kugeln auffing), wodurch es vor Zerstörung bewahrt
wurde.

Die Katakomben der Laura von Kieff sind voll von den Gebeinen der
durch die Tartaren ermordeten Märtyrer. Dagegen knüpfen sich an die Laura
der Troiza nur Erinnerungen an Triumphe der russischen Waffen, an den Aus-


Stelle einen Sarg aufzustellen pflegt, um die Gemeinde an das Leiden und den
Tod des Erlösers zu erinnern."

Der Sermon lautete: „Einst hatte ein frommer Einsiedler seinen Brüdern
etwas zu sage», die vor» ihm belehrt zu werden erwarteten. Durchdrungen von
einem tiefen Gefühl der Armuth des Menschengeschlechtes rief der alte Marin
statt irgend welcher Belehrung aus: Brüder, lasset uns weinen, und sie fielen
allesammt zu Boden und vergossen Thränen. Ich weiß. Brüder, daß ihr jetzt
Worte der Belehrung von mir erwartet, aber meine Lippen schließen sich unfrei¬
willig beim Anblick unsres Herrn im Sarge. Wer wagte zu sprechen, während
er chweigt. Und läßt sich irgend etwas zu euch sagen von Gott und seiner
Wahrheit und von dein Menschen und seiner Unwahrheit, was diese Wunden
nicht hundertfciltiglich eindringlicher aussprächen? Können die, welche von ihnen
nicht gerührt werden, von schwachem Menschenwort bewegt werden? Auf Gol¬
gatha war kein Prediger, dort sah man sie nur schluchzen und an die Brust
schlagen. Und an der Seite des Sarges ist kein Raum für die Predigt, son¬
dern nur für Buße und Thränen. Brüder, unser Herr und Erlöser ist im
Large. Laßt uns beten und weinen. Amen!"

Man sieht, es ist Krummacher'scher Styl, jn welchem der berühmte Erzbi-
schof predigt. Edwards scheint ihn zu bewundern. Wir finden weniger Ursache
da^u. doch ist anzuerkennen, wie kurz der Redner sich zu fassen wußte, und das
wird. Manchem auch etwas werth scheinen.

Kiefs, die alte Hauptstadt der Großfürsten. Moskau, die Stadt der Czaren,
Petersburg die moderne Kaiserstadt haben jedes sein berühmtes Hauptkloster.
Das in Kicff ist das älteste, das der Troiza oder Drcinigteit bei Moskau das
historisch merkwürdigste, das Alexander Ncwsti-Kloster zu Petersburg ist wie die
Stadt von neuerem Datum, erinnert aber an einen der größten Heiligen und
Helden Altrußlcmdö. welcher die 'Schweden und die Deutschen auf dem Eis der
Newa schlug, woher sein Beiname Newski.

Jn der Mongole»- und Tartarenzeit und später noch unter der Herrschaft
der Polen waren die Klöster Rußlands nicht blos Zufluchtsstätten für weltmüde
Seelen, sondern zugleich die Festungen des Landes, und das gilt von einigen
in gewissem Grade noch jetzt. Die Festung am Weißen Meer, die während des
letzten Kriegs von den Engländern bombardirt wurde, war nichts als ein be¬
festigtes Kloster, und nach der Meinung gläubiger Russen war es nur der hei¬
lige Charakter des Gebäudes und ein gewisses wundcrthätiges Bild der Jung¬
frau (welches die meisten Kugeln auffing), wodurch es vor Zerstörung bewahrt
wurde.

Die Katakomben der Laura von Kieff sind voll von den Gebeinen der
durch die Tartaren ermordeten Märtyrer. Dagegen knüpfen sich an die Laura
der Troiza nur Erinnerungen an Triumphe der russischen Waffen, an den Aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114218"/>
          <p xml:id="ID_1401" prev="#ID_1400"> Stelle einen Sarg aufzustellen pflegt, um die Gemeinde an das Leiden und den<lb/>
Tod des Erlösers zu erinnern."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1402"> Der Sermon lautete: &#x201E;Einst hatte ein frommer Einsiedler seinen Brüdern<lb/>
etwas zu sage», die vor» ihm belehrt zu werden erwarteten. Durchdrungen von<lb/>
einem tiefen Gefühl der Armuth des Menschengeschlechtes rief der alte Marin<lb/>
statt irgend welcher Belehrung aus: Brüder, lasset uns weinen, und sie fielen<lb/>
allesammt zu Boden und vergossen Thränen. Ich weiß. Brüder, daß ihr jetzt<lb/>
Worte der Belehrung von mir erwartet, aber meine Lippen schließen sich unfrei¬<lb/>
willig beim Anblick unsres Herrn im Sarge. Wer wagte zu sprechen, während<lb/>
er chweigt. Und läßt sich irgend etwas zu euch sagen von Gott und seiner<lb/>
Wahrheit und von dein Menschen und seiner Unwahrheit, was diese Wunden<lb/>
nicht hundertfciltiglich eindringlicher aussprächen? Können die, welche von ihnen<lb/>
nicht gerührt werden, von schwachem Menschenwort bewegt werden? Auf Gol¬<lb/>
gatha war kein Prediger, dort sah man sie nur schluchzen und an die Brust<lb/>
schlagen. Und an der Seite des Sarges ist kein Raum für die Predigt, son¬<lb/>
dern nur für Buße und Thränen. Brüder, unser Herr und Erlöser ist im<lb/>
Large.  Laßt uns beten und weinen. Amen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1403"> Man sieht, es ist Krummacher'scher Styl, jn welchem der berühmte Erzbi-<lb/>
schof predigt. Edwards scheint ihn zu bewundern. Wir finden weniger Ursache<lb/>
da^u. doch ist anzuerkennen, wie kurz der Redner sich zu fassen wußte, und das<lb/>
wird. Manchem auch etwas werth scheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1404"> Kiefs, die alte Hauptstadt der Großfürsten. Moskau, die Stadt der Czaren,<lb/>
Petersburg die moderne Kaiserstadt haben jedes sein berühmtes Hauptkloster.<lb/>
Das in Kicff ist das älteste, das der Troiza oder Drcinigteit bei Moskau das<lb/>
historisch merkwürdigste, das Alexander Ncwsti-Kloster zu Petersburg ist wie die<lb/>
Stadt von neuerem Datum, erinnert aber an einen der größten Heiligen und<lb/>
Helden Altrußlcmdö. welcher die 'Schweden und die Deutschen auf dem Eis der<lb/>
Newa schlug, woher sein Beiname Newski.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1405"> Jn der Mongole»- und Tartarenzeit und später noch unter der Herrschaft<lb/>
der Polen waren die Klöster Rußlands nicht blos Zufluchtsstätten für weltmüde<lb/>
Seelen, sondern zugleich die Festungen des Landes, und das gilt von einigen<lb/>
in gewissem Grade noch jetzt. Die Festung am Weißen Meer, die während des<lb/>
letzten Kriegs von den Engländern bombardirt wurde, war nichts als ein be¬<lb/>
festigtes Kloster, und nach der Meinung gläubiger Russen war es nur der hei¬<lb/>
lige Charakter des Gebäudes und ein gewisses wundcrthätiges Bild der Jung¬<lb/>
frau (welches die meisten Kugeln auffing), wodurch es vor Zerstörung bewahrt<lb/>
wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1406" next="#ID_1407"> Die Katakomben der Laura von Kieff sind voll von den Gebeinen der<lb/>
durch die Tartaren ermordeten Märtyrer. Dagegen knüpfen sich an die Laura<lb/>
der Troiza nur Erinnerungen an Triumphe der russischen Waffen, an den Aus-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0438] Stelle einen Sarg aufzustellen pflegt, um die Gemeinde an das Leiden und den Tod des Erlösers zu erinnern." Der Sermon lautete: „Einst hatte ein frommer Einsiedler seinen Brüdern etwas zu sage», die vor» ihm belehrt zu werden erwarteten. Durchdrungen von einem tiefen Gefühl der Armuth des Menschengeschlechtes rief der alte Marin statt irgend welcher Belehrung aus: Brüder, lasset uns weinen, und sie fielen allesammt zu Boden und vergossen Thränen. Ich weiß. Brüder, daß ihr jetzt Worte der Belehrung von mir erwartet, aber meine Lippen schließen sich unfrei¬ willig beim Anblick unsres Herrn im Sarge. Wer wagte zu sprechen, während er chweigt. Und läßt sich irgend etwas zu euch sagen von Gott und seiner Wahrheit und von dein Menschen und seiner Unwahrheit, was diese Wunden nicht hundertfciltiglich eindringlicher aussprächen? Können die, welche von ihnen nicht gerührt werden, von schwachem Menschenwort bewegt werden? Auf Gol¬ gatha war kein Prediger, dort sah man sie nur schluchzen und an die Brust schlagen. Und an der Seite des Sarges ist kein Raum für die Predigt, son¬ dern nur für Buße und Thränen. Brüder, unser Herr und Erlöser ist im Large. Laßt uns beten und weinen. Amen!" Man sieht, es ist Krummacher'scher Styl, jn welchem der berühmte Erzbi- schof predigt. Edwards scheint ihn zu bewundern. Wir finden weniger Ursache da^u. doch ist anzuerkennen, wie kurz der Redner sich zu fassen wußte, und das wird. Manchem auch etwas werth scheinen. Kiefs, die alte Hauptstadt der Großfürsten. Moskau, die Stadt der Czaren, Petersburg die moderne Kaiserstadt haben jedes sein berühmtes Hauptkloster. Das in Kicff ist das älteste, das der Troiza oder Drcinigteit bei Moskau das historisch merkwürdigste, das Alexander Ncwsti-Kloster zu Petersburg ist wie die Stadt von neuerem Datum, erinnert aber an einen der größten Heiligen und Helden Altrußlcmdö. welcher die 'Schweden und die Deutschen auf dem Eis der Newa schlug, woher sein Beiname Newski. Jn der Mongole»- und Tartarenzeit und später noch unter der Herrschaft der Polen waren die Klöster Rußlands nicht blos Zufluchtsstätten für weltmüde Seelen, sondern zugleich die Festungen des Landes, und das gilt von einigen in gewissem Grade noch jetzt. Die Festung am Weißen Meer, die während des letzten Kriegs von den Engländern bombardirt wurde, war nichts als ein be¬ festigtes Kloster, und nach der Meinung gläubiger Russen war es nur der hei¬ lige Charakter des Gebäudes und ein gewisses wundcrthätiges Bild der Jung¬ frau (welches die meisten Kugeln auffing), wodurch es vor Zerstörung bewahrt wurde. Die Katakomben der Laura von Kieff sind voll von den Gebeinen der durch die Tartaren ermordeten Märtyrer. Dagegen knüpfen sich an die Laura der Troiza nur Erinnerungen an Triumphe der russischen Waffen, an den Aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/438
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/438>, abgerufen am 08.01.2025.