Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.Wohl schon unter Nicolaus wenig oder keine Gefahr hatte. D. R.). Bei einer' Philaret muß gegenwärtig fast achtzig Jahre alt sein. Er ist ein kleiner Ein andrer berühmter Kanzelredner war der Erzbischof Augustin von Mos¬ Wohl schon unter Nicolaus wenig oder keine Gefahr hatte. D. R.). Bei einer' Philaret muß gegenwärtig fast achtzig Jahre alt sein. Er ist ein kleiner Ein andrer berühmter Kanzelredner war der Erzbischof Augustin von Mos¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114217"/> <p xml:id="ID_1398" prev="#ID_1397"> Wohl schon unter Nicolaus wenig oder keine Gefahr hatte. D. R.). Bei einer'<lb/> Gelegenheit im Troiza-Kloster, dessen Archimandrit der Metropolit von Moskau<lb/> ist, hielt er dem Kaiser Nicolaus eine merkwürdige Predigt über die Pflichten<lb/> eines Herrschers, die natürlich nie veröffentlicht worden ist. Neuerdings, als<lb/> Alexander der Zweite sein erstes Rundschreiben an den Adel in Betreff der<lb/> Bauernbefreiung erließ, hielt er im Tschudoff-Kloster im Kreml einen trefflichen<lb/> Vortrag über die Pflichten der verschiedenen Klassen der Gesellschaft gegen den<lb/> Kaiser und die Obliegenheiten der Gutsbesitzer gegen ihre Leibeignen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1399"> Philaret muß gegenwärtig fast achtzig Jahre alt sein. Er ist ein kleiner<lb/> abgemagerter Greis mit feinen Gesichtszügen, langen weißen Haaren, einge-<lb/> sunlnen Augen und sehr leiser Stimme. Wenn er seine Predigt beginnt, ist<lb/> er vollkommen unverständlich, aber allmälig, wenn er von seinem Gegenstand<lb/> warm wird, schwillt seine Stimme stärker an, seine halberloschenen Augen leuchten,<lb/> und seine Worte machen den mächtigsten Eindruck auf seine Zuhörer. „Das<lb/> letzte Mal", sagt unser Reisender, „hörte ich ihn im Tschudoff-Kloster, aber<lb/> obwohl er den Gottesdienst verrichtete, war er nicht im Stande, die Predigt<lb/> zu halten, die deshalb von einem der dienenden Geistlichen von seinem Manu¬<lb/> skript abgelesen wurde, wobei derselbe neben dem Metropoliten auf den Stu¬<lb/> fen vor der Jkonostasis stand. Beim Schluß der Predigt drängte sich die Ge¬<lb/> meinde, welche alle Theile der Kirche füllte, um den Metropoliten, um seinen<lb/> Segen zu empfangen und ihm die Hände zu küssen. Philaret lebt ein Leben<lb/> von fast beispielloser Enthaltsamkeit sowohl was Nahrung als was Schlaf be¬<lb/> trifft. Er arbeitet beinahe unablässig und ahndet die geringste Nachlässigkeit<lb/> auf Seiten der ihm untergebnen Geistlichkeit, wie man sagt, mit der größten<lb/> Strenge. Die Moskaner sagen deshalb, daß seine tägliche Nahrung „aus einem<lb/> Gründling und drei Priestern" bestehe." —</p><lb/> <p xml:id="ID_1400" next="#ID_1401"> Ein andrer berühmter Kanzelredner war der Erzbischof Augustin von Mos¬<lb/> kau, der sich besonders durch die Reden einen Namen gemacht hat. die er an<lb/> Alexander den Ersten und die Moskaner Landwehr im Jahre 1S12 hielt. Gleich¬<lb/> falls großen Ruf besitzt der Erzbischof Jnnocent von Odessa, der während der<lb/> Belagerung von Sebastopol der Garnison des Platzes als eine Art Oberfcld-<lb/> prediger zur Seite stand und bei dieser Gelegenheit eine Reihe von Vortragen<lb/> hielt, die später in einer der Monatsschriften Se. Petersburgs erschienen. „Ein<lb/> sehr merkwürdiger Sermon, der vor. mehren Jahren von Jnnocent an einem<lb/> Charfreitag vorgetragen wurde, ist von Baron Haxthausen in seinem werthvollen<lb/> Buch über Nußland mitgetheilt worden. Da die deutsche Uebersetzung des Ba¬<lb/> rons, deren Unterlage ihm von einem russischen Studenten geliefert wurde,<lb/> nicht ganz genau ist, so zögre ich nicht eine wörtliche Uebertragung davon zu<lb/> geben. Ich muß dabei vorausschicken, daß man am Charfreitag in den russi¬<lb/> schen Kirchen (wie in den römisch-katholischen. D. R.) an allgemein sichtbarer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0437]
Wohl schon unter Nicolaus wenig oder keine Gefahr hatte. D. R.). Bei einer'
Gelegenheit im Troiza-Kloster, dessen Archimandrit der Metropolit von Moskau
ist, hielt er dem Kaiser Nicolaus eine merkwürdige Predigt über die Pflichten
eines Herrschers, die natürlich nie veröffentlicht worden ist. Neuerdings, als
Alexander der Zweite sein erstes Rundschreiben an den Adel in Betreff der
Bauernbefreiung erließ, hielt er im Tschudoff-Kloster im Kreml einen trefflichen
Vortrag über die Pflichten der verschiedenen Klassen der Gesellschaft gegen den
Kaiser und die Obliegenheiten der Gutsbesitzer gegen ihre Leibeignen.
Philaret muß gegenwärtig fast achtzig Jahre alt sein. Er ist ein kleiner
abgemagerter Greis mit feinen Gesichtszügen, langen weißen Haaren, einge-
sunlnen Augen und sehr leiser Stimme. Wenn er seine Predigt beginnt, ist
er vollkommen unverständlich, aber allmälig, wenn er von seinem Gegenstand
warm wird, schwillt seine Stimme stärker an, seine halberloschenen Augen leuchten,
und seine Worte machen den mächtigsten Eindruck auf seine Zuhörer. „Das
letzte Mal", sagt unser Reisender, „hörte ich ihn im Tschudoff-Kloster, aber
obwohl er den Gottesdienst verrichtete, war er nicht im Stande, die Predigt
zu halten, die deshalb von einem der dienenden Geistlichen von seinem Manu¬
skript abgelesen wurde, wobei derselbe neben dem Metropoliten auf den Stu¬
fen vor der Jkonostasis stand. Beim Schluß der Predigt drängte sich die Ge¬
meinde, welche alle Theile der Kirche füllte, um den Metropoliten, um seinen
Segen zu empfangen und ihm die Hände zu küssen. Philaret lebt ein Leben
von fast beispielloser Enthaltsamkeit sowohl was Nahrung als was Schlaf be¬
trifft. Er arbeitet beinahe unablässig und ahndet die geringste Nachlässigkeit
auf Seiten der ihm untergebnen Geistlichkeit, wie man sagt, mit der größten
Strenge. Die Moskaner sagen deshalb, daß seine tägliche Nahrung „aus einem
Gründling und drei Priestern" bestehe." —
Ein andrer berühmter Kanzelredner war der Erzbischof Augustin von Mos¬
kau, der sich besonders durch die Reden einen Namen gemacht hat. die er an
Alexander den Ersten und die Moskaner Landwehr im Jahre 1S12 hielt. Gleich¬
falls großen Ruf besitzt der Erzbischof Jnnocent von Odessa, der während der
Belagerung von Sebastopol der Garnison des Platzes als eine Art Oberfcld-
prediger zur Seite stand und bei dieser Gelegenheit eine Reihe von Vortragen
hielt, die später in einer der Monatsschriften Se. Petersburgs erschienen. „Ein
sehr merkwürdiger Sermon, der vor. mehren Jahren von Jnnocent an einem
Charfreitag vorgetragen wurde, ist von Baron Haxthausen in seinem werthvollen
Buch über Nußland mitgetheilt worden. Da die deutsche Uebersetzung des Ba¬
rons, deren Unterlage ihm von einem russischen Studenten geliefert wurde,
nicht ganz genau ist, so zögre ich nicht eine wörtliche Uebertragung davon zu
geben. Ich muß dabei vorausschicken, daß man am Charfreitag in den russi¬
schen Kirchen (wie in den römisch-katholischen. D. R.) an allgemein sichtbarer
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